Hinter verschlossenen Türen musste sich Holger E. wegen Missbrauchs einer Freundin von Peggy verantworten Fall Peggy:Sieben Monate für früheren Verdächtigen

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Nichtöffentlicher Prozess vor dem Landgericht Hof: Holger E. ist wegen sexuellen Missbrauchs seiner Nichte im April 2001 in Lichtenberg angeklagt. Foto: Sat1 Bayern Foto: red

Er kam in Fußfesseln, sein Blick war leer. Der schwere Mann mit Glatze, blaues Sweatshirt, Jeans und Turnschuhe, war schnell aus dem Polizeiwagen im Gericht verschwunden. Holger E. (31), der wegen Missbrauchs an seiner eigenen dreijährigen Tochter für sechs Jahre verurteilt ist, musste sich vor dem Landgericht Hof erneut wegen Missbrauchs verantworten. Das Urteil: sieben Monate ohne Bewährung.

 
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Er hat seine Nichte, als sie neun Jahre alt war missbraucht, kurz bevor Peggy verschwand. In dem gleichen Haus, in dem die 2001 spurlos verschwundene Peggy Knobloch lebte. Wohl in der Lichtenberger Wohnung, in der auch Peggy immer war: In der Wohnung des Nachbarn, der ein Stiefbruder von Holger E. ist. Das Urteil wird noch heute erwartet.

Fast eine Stunde war die 23 Jahre alte Frau im Gerichtssaal. Danach sah sie müde aus in ihrer weißen Bluse, die langen blonden Haare zu einem Pferdeschwanz gebunden. Um die Stirn hatte sie sich einen geflochtenen Zopf gelegt. Das Landgericht hatte es ermöglicht, dass sie unbemerkt ins Gebäude kommen konnte. Darüber war sie froh. Als sie neun Jahre alt war, hatte Holger E. sie missbraucht. 14 Jahre später wird dem Täter der Prozess gemacht, 14 Jahre später muss sie sich durch die Erinnerungen quälen. Jetzt will sie nur noch eins: "Einen Strich drunter machen und ein neues Leben beginnen", sagte sie dem Kurier. Ihre Familie und ihr Freund warteten, während sie im Gerichtssaal aussagte. Was, darüber will sie nicht mehr sprechen.

Von Holger E. war auch nicht viel zu sehen, die Türen zum Gerichtssaal 019 blieben zu. Nur das Klirren seiner Fußfesseln drang auf den Gang. Beide, Holger E. und sein Stiefbruder, Peggys Nachbar und der Vater der jungen Frau, waren lange im Visier der Ermittler. Beide galten als verdächtig, etwas mit dem Verschwinden von Peggy zu tun gehabt zu haben. Der Nachbar hatte angegeben, zum Zeitpunkt von Peggys Verschwinden am Computer gesessen zu haben – doch das war nicht nachweisbar. Holger E. hatte angegeben, er sei an dem Tag in der Berufsschule in Halle gewesen. Aber das war gelogen. Bis heute konnte nicht sicher nachgewiesen werden, wo er wirklich war.

Ins Verdacht gekommen, doch zu wissen, was mit Peggy passiert war, war er gleich zu Anfang der Ermittlungen im Jahr 2001. Die Ermittler fanden einen handgeschriebenen Zettel in Peggys Schulheft. Darauf standen die Nummer und der Name von Holger E. Er kannte da Mädchen schon von früheren Besuchen in Lichtenberg. Polizisten fanden außerdem ein Amulett mit dem Foto von Peggy, das der Mann nach ihrem Verschwinden immer bei sich trug. Als er fast zehn Jahre später wegen Missbrauchs von Kindern festgenommen wurde, soll er im Knast im sächsischen Burg geprahlt haben, Peggy würde keiner finden. Wenig später gestand er, dass es mit dem Mädchen zweimal in den Schulferien zu „Kuscheln und Küssen“ gekommen sei in Lichtenberg. Allerdings sei dies auf ihren Wunsch hin geschehen. Denn immer habe sie die kleine Schwester von Holger E. sein wollen. Als die Beamten ihm ein Foto von Peggy abnehmen wollten, habe er „Heulkrämpfe“ bekommen. Mit ihrem Verschwinden, so beteuerte er immer, habe er nichts zu tun. Allerdings räumte er ein, die Tochter seines Stiefbruders, des Nachbarn von Peggy, missbraucht zu haben.

Keine der Aussagen, die Holger E. im Fall Peggy machte, reichte für eine Anklage aus. Es konnte ihm bis heute nicht nachgewiesen werden, wie er als damals 17-Jähriger ohne Führerschein nach Lichtenberg hätte kommen können. Als Verdächtiger im Fall Peggy schied er deshalb schon vor mehr als einem Jahr aus. Er habe keine strafrelevanten Angaben gemacht, sagte der Bayreuther Leitende Oberstaatsanwalt Herbert Potzel. Auch Holger E.s Stiefbruder, der Nachbar von Peggy, zählt nicht mehr zur Zahl der Verdächtigen.

Was hinter den Türen des Sitzungssaal 019 im Landgericht vor sich ging, das wird geheim bleiben.  Ein Gerichtspsychiater erstattete gleich morgens sein Gutachten, auch ein Ermittler der Sondergruppe Peggy aus Bayreuth. Weil Holger E. zur Tatzeit erst 17 war, war die Öffentlichkeit ausgeschlossen. Auch Fotos im Gerichtssaal oder auf dem Gelände waren nicht erlaubt. Einige des Unterstützerkreises von Ulvi Kulac warteten vor dem Gericht. Kulac, der 2004 wegen Mordes an Peggy verurteilt worden war, soll in diesem Sommer auch aus der geschlossenen Psychiatrie entlassen worden, wo er seit zehn Jahren wegen Missbrauchs an Kindern sitzt. Die Strafe für Peggys Mord trat er nie an – außerdem wurde er in einem Wiederaufnahmeverfahren vor dem Landgericht Bayreuth im Frühjahr 2014 freigesprochen – wegen Mangels an Beweisen. Für viele aus seinem Unterstützerkreis zählt Holger E. immer noch zu den Hauptverdächtigen.

Der Missbrauch der damals neunjährigen Tochter des Nachbarn war herausgekommen, als das Mädchen sich erst Jahre später ihren Eltern erklärte. Der Vater erstattete daraufhin Anzeige.

Der Fall Peggy geht indes hinter den Kulissen weiter. Nach der ZDF-Sendung „Aktenzeichen XY“, in der es auch um den Lichtenberger Fall ging, sind laut Polizei etwa 200 Hinweise eingegangen. Bei der Verhandlung am Hofer Landgericht haben sich "im Ermittlungsverfahren wegen Tötung von Peggy Knobloch keine neuen Erkenntnisse ergeben", sagte Bernhard Heim, Pressesprecher am  Landgericht.

Holger E. wurde wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in Tateinheit mit versuchtem sexuellen Missbrauch Widerstandsunfähiger zu einer Jugendstrafe von sieben Monaten ohne Bewährung verurteilt.

Der Angeklagte war im Wesentlichen geständig. In der Beweisaufnahme wurde u.a. das Tatopfer als Zeugin vernommen und ein Sachverständiger gehört.

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