Gutachter: Keine gefährlichen Situationen bei Fahrern mit zerstochenen Reifen Fall Mollath: Reifenstechereien sind nicht beweisbar

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Ob Gustl Mollath (57) 129 Autoreifen durchstochen hat, ist nicht bewiesen. Aber eines steht schon fest: Wenn ja, war das nicht gefährlich für die Fahrer. Das sagte der Ingenieur und Reifenexperte Hubert Rauscher (45) beim Wiederaufnahmeverfahren vor dem Landgericht Regensburg. Damit wäre ein Grund für die Unterbringung von Mollath in der geschlossenen Psychiatrie hinfällig. Und damit wäre ihm eine Entschädigung für sieben Jahre in der Psychiatrie sicher.

 
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Reifenstechen ist kein Kavaliersdelikt, es kann zu lebensgefährlichen Situationen führen, betonte der Sachverständige. Allerdings sei es in keinem einzigen Fall, der in der Anklage steht, die zu Mollaths Unterbringung in die Psychiatrie brachte, zu einer gefährlichen Situation gekommen. Die einzigen beiden Fälle, bei denen ein Fahrer mit 200 km/h einen Druckverlust bemerkte oder in einer engeren Spur einer Baustelle ins Schlingern gekommen sei soll, wurden gar nicht erst angeklagt. Dass Mollath als allgemeingefährlich gilt, hat auch mit den angeblichen Reifenstechereien zu tun. Im Urteil von 2006 hieß es sinngemäß, er weite seine Aggression auch auf andere aus und bringe sie damit in Gefahr.

Aber selbst die grundsätzliche Frage, ob überhaupt Reifen durchstochen wurden, kann der Sachverständige nicht beantworten: „Das kann ich nicht beurteilen. Das kann sein.“ Es gebe Alternativ-Ursachen, etwa wenn ein Fahrer auf einer Gehsteigkante fahre und die Felge beschädige, könnte das dazu führen, dass der Reifen Luft verliert. Oder wenn ein Reifen schon älter sei. Oder wenn beim Reifenwechsel Fehler gemacht worden seien und das Ventil beschädigt worden sei. Das Fazit des Reifensachverständigen Rauscher: „Ich kann nicht sagen, ob die Reifen mutwillig beschädigt worden sind, das ist offen.“

Mollath Webreportage

Bei den angeblichen Opfern von Mollaths Reifen-Zerstörungstour durch Nürnberg konnte der Sachverständige acht Jahre nach der angeklagten Tat keine einzige gefährliche Situation erkennen. Wer mit einem luftleeren Reifen fahre, komme immer zu gefährlichen Situationen. Diese Aussage aber sei „zu pauschal“. Denn die Betroffenen haben nicht während der Fahrt bemerkt, dass ihr Reifen Luft verlor, sondern erst danach oder schon davor.

Mollath war in Verdacht gekommen, weil alle Betroffenen, denen Reifen zerstochen worden waren, zu der Gruppe von Menschen gehörten, die mit der Scheidung von seiner Frau beschäftigt oder in den Streit um seine Habe beschäftigt involviert waren. „Da eine bestimmte Personengruppe geschädigt wurde, muss es das Gericht entscheiden“, sagte Rauscher.

Bei einem der Geschädigten war Mollath kurz vor den Reifenstechereien mit einem angespitzten Schraubenzieher vorbeigekommen und gesagt, er sei bereit sich zu wehren. Tatsächlich hält der Sachverständige einen gespitzten Schraubenzieher für ein mögliches Werkzeug, schnell durch die etwa acht Millimeter dicke Flanke eines Reifens zu stechen. Er zeigt es an einem großen Reifen, den er im Gerichtssaal auf den Tisch stellt: Ein kurzer, leichter Stich, und die Reifenflanke ist verletzt. In spätestens einer halben Stunde wäre die Luft raus. Auf einem Polizeivideo, das nicht mehr existiert, war ein Mann zu sehen, der kurz zusticht. Er soll Kleidung getragen haben, wie Mollath sie trug. Eine ähnliche wurde bei einer Razzia in seinem Haus gefunden. Aber Mollath hatte einem Autohändler einen flach zugespitzten Schraubenzieher gezeigt, keinen angespitzten. Damit sei es laut Sachverständigem schwieriger, einen Reifen zu beschädigen.

Auf dem Werkstattgelände des Autohändlers, dem Mollath das Werkzeug gezeigt hat, waren mehr als 50 Reifen zerstochen. Die Frage von Staatsanwalt Wolfhard Meindl, ob bei dem „Massensterben“ dieser Reifen ein „natürlicher Tod“ wahrscheinlich sei, sagte der Sachverständige: „Dazu kann ich nichts sagen.“

Auch dass Mollath die Reifen so heimtückisch angestochen haben soll, dass sie erst während der Fahrt die Luft verlieren, hält Rauschen für nicht möglich. Diese Art der Manipulation sei nur „sehr theoretisch“. Heute anstechen und morgen ein Reifenplatzer? Rauscher: „Das kannst vergessen“.

Während der Wiederaufnahme in Regensburg zeigte sich an vielen Stellen, wie schlampig das Nürnberger Landgericht in der Beweisaufnahme gearbeitet hat. Weder wurden die beschädigten Reifen aufbewahrt noch hat im Jahr 2006 ein Gutachter einen Blick darauf geworfen oder die Gefährlichkeit eingeschätzt. Auch das Video wurde nicht aufbewahrt, auf dem ein Mann zu sehen war, der Autoreifen bei der betroffenen Personengruppe beschädigt hatte. Sogar nicht alle Fälle zerstochener Reifen wurden angeklagt. Trotzdem wurde Mollath deswegen zwar freigesprochen, aber wegen Schuldunfähigkeit in die Psychiatrie eingewiesen.

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