Premierenkritik "Rheingold" bei den Festspielen

Von Florian Zinnecker
Foto: Festspiele Bayreuth Foto: red

Nur im Orchestergraben geht es vorwärts, die Bühne dreht sich um sich selbst: Kirill Petrenko rückt bei der "Rheingold"-Premiere den Irrtum gerade, dass die Musik im Castorf-"Ring" nur Filmmusik sein darf. Das bleibt nicht folgenlos.

 
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Im Parkett sitzen an diesem Abend wieder die Kollegen aus den großen Feuilletons, ein Umstand, dem man nicht zu viel Bedeutung beimessen muss, aber ein bisschen schon: Neu ist dieses „Rheingold" ja wirklich nicht mehr, die Produktion geht ins dritte Jahr, und die szenische Lesart des Werks war schon im Premierenjahr keine Sensation.

Aber Kirill Petrenko am Pult des besten Wagneropernorchesters der Welt wollen sie schon nochmal hören, bevor er am Ende der Saison Bayreuth den Rücken kehrt. Und wieder nach München fährt, von wo aus er in ein paar Jahren zu den Berliner Philharmonikern aufbrechen wird. Also haben die Kollegen den „Lohengrin“-Tag und die angrenzenden Nächte genutzt, um schnell eine Premiere in Salzburg zu erledigen, bei den anderen Festspielen, und hier sind sie nun wieder, bei Petrenko in Bayreuth, zum letzten Mal.

Es gibt Ereignisse, die man besser nicht versäumt.

Zwei Stunden und siebzehn Minuten braucht Petrenko für den „Ring“-Vorabend, er treibt den Puls des Werks nach oben, und seit wann sind da eigentlich Klarinetten im Vorspiel? Sein „Rheingold“ ist kein Bad im angedickten Wagnerklang, kein Eintauchen in den Moment, kein Schwelgen zwischen Streicherwogen und Walhall-Motiv - die Musik dreht sich nicht um sich selbst, sondern prescht vorwärts, hin zur nächsten Farbe, zur nächsten Entdeckung, immer weiter, bis zum brutalen Fortissimo am Ende. Was nicht nur spannend ist, sondern - in einem Werk übers Treiben und Getriebensein - auch extrem schlüssig.

Auf der Bühne steht in diesem Jahr eine ganze Reihe neuer Sänger; etwa die Hälfte der Rollen sind neu besetzt, die wichtigsten: John Daszak als Loge und der glänzende Albert Dohmen als Alberich. Andreas Hörl singt Fafner, Allison Oakes ist Freia, Daniel Schmutzhard debütiert als Donner, Andreas Conrad  ist Mime. Die tollsten Stimmen aber waren im vergangenen Jahr auch schon dabei: Claudia Mahnke als Fricka und Nadine Weissmann als Erda.

Diese Saison ist die letzte mit Wolfgang Koch als Wotan, der vor allem den „Ring“-Vorabend stimmlich wie darstellerisch prägt. Sein Wotan ist von einem Alberich stimmlich und ästhetisch absolut nicht mehr zu unterscheiden. Eine perfekte Pointe in einer Produktion, in der musikalisch und auf der Bühne alles, aber auch wirklich alles in Frage gestellt wird.

Es ist ja auch gar nicht so, wie es aussieht: dass die Musik hier zum Hintergrundrauschen degradiert wäre, weil die Bilder auf der Bühne alles andere ersäufen. Im Gegenteil: Die Bühne dreht sich im Kreis (als Drehbühne ja tatsächlich, aber auch in anderer Hinsicht), vorwärts geht es nur im Orchestergraben, ohne die Musik wäre in dieser Inszenierung wirklich alles nichts. Ob das so bezweckt war oder einfach passiert ist: Wen soll das noch kümmern.

Schon lange war ein „Rheingold“ nicht so packend, schon lange war der Applaus für Sänger und Musik nicht mehr so groß.

Und nächstes Jahr?

Frank Castorfs Rheingoldkrimi im superschmierigen Golden Motel, in dem zweieinviertel Stunden lang außer gewalttätigem Grundrauschen eigentlich nichts Wesentliches passiert, wird dann - mit anderem Wotan und anderem Klang - ein anderes Stück sein.