Er wollte dazugehören und wurde verprügelt

Von Sarah Bernhard
Saahel Smeelkeil wurde von Unbekannten verprügelt. Zweimal brachen sie ihm den Kiefer, sein Smartphone überlebte den Angriff nicht. Foto: Andreas Harbach Foto: red

Saahel Smeelkeil, 24, Afghane, geduldeter Asylbewerber, will ein Teil der deutschen Gesellschaft werden. Also sucht er sich Arbeit, eine Wohnung, Freunde. Den Hass einiger zieht er dennoch auf sich: Unbekannte prügeln Smeelkeil krankenhausreif, weil er Ausländer ist. Erst ist er wütend. Doch dann fasst er einen Entschluss.

 
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Charmant. Das ist die Eigenschaft, die Saahel Smeelkeil am besten beschreibt. Umgänglich, höflich, offenes Lächeln, das trifft es ebenfalls. Wenn der 24-Jährige erzählt, dass er manchmal mit „Heil Hitler“ begrüßt wird, lacht er, statt sich zu ärgern. Wenn er im Ramadan den ganzen Tag fastet, erwähnt er das nur, um gegenüber der Bedienung im Café nicht unhöflich zu wirken.

Was Smeelkeil anpackt, zieht er durch. Im Moment macht er eine Ausbildung zum Anlagenmechaniker, jobbt nebenher in einem Restaurant, hat eine eigene Wohnung. „Ich will nicht mit Hartz IV im Asylantenheim wohnen. Ich will auf eigenen Beinen stehen, damit die Leute Respekt vor mir haben“, sagt er. Den Sprachkurs hat er von seinem eigenen Geld bezahlt. Saahel Smeelkeil will unbedingt dazugehören.

"Halt die Fresse, scheiß Kanacke"

Am Abend des 30. April gönnt sich der 24-Jährige eine Pause von der vielen Arbeit. Er nimmt den Zug nach Bayreuth, trifft dort seinen Arbeitskollegen, sie feiern. Kurz nach fünf Uhr morgens macht sich Smeelkeil mit einem Bekannten aus dem Irak auf den Weg nach Hause, sie hätten sich nur unterhalten, sagt Smeelkeil. „Halt die Fresse, scheiß Kanacke“, hört er plötzlich jemanden hinter sich rufen. „Ein Mädchen, ein bisschen pummelig, das mit einem Mann hinter uns her lief“, sagt Smeelkeil. Es gibt bisher keine Zeugen für dieses Zusammentreffen, "aber warum sollte ich das erfinden?"

„Scheiß Ausländer“, ruft die Frau laut Smeelkeil. Er antwortet nicht. Wer auf „Scheiß Ausländer“ reagiert, gehört definitiv nicht dazu. Dreimal, sagt er, bleibt er ruhig. Doch beim vierten Mal hat er die Schnauze voll. „Was willst du von mir, verpiss dich!“, schreit er zurück. „Da kamen aus der Seitenstraße noch mehr Männer. ‚Ihr scheiß Ausländer kommt her und arbeitet nichts‘, haben sie gesagt. ‚Ich arbeite‘, habe ich geantwortet.“ Er zeigt den Männern seinen Ausweis, auf dem sein Arbeitgeber vermerkt ist.

Dreimal schlagen die Unbekannten zu

Dann bekommt Smeelkeil  von hinten einen Schlag auf den Kopf. Er fällt. „Ich weiß noch, ich sah Schuhe, wie sie Soldaten anziehen“, sagt er. Dreimal versucht er aufzustehen, dreimal schlagen die Unbekannten wieder zu. „Aus polizeilicher Sicht gibt es keinerlei Anhaltspunkte, dass Herr Smeelkeil zurückgeschlagen hat“, sagt Polizeihauptmeister Heiko Engelhardt, der den Fall bearbeitet.

66 Straftaten mit fremdenfeindlichem Hintergrund gab es im Jahr 2015 in Oberfranken, neun davon in der Stadt Bayreuth, zehn im Landkreis. Meist gehe es um rechte Propaganda, Nötigungen oder Bedrohungen kämen nur „vereinzelt“ vor, sagt Polizeisprecher Alexander Czech.

"Ich wollte keinen Ärger haben"

Als Smeelkeil das nächste Mal aufsieht, sind die Angreifer weg. Er wartet ein paar Minuten, spuckt Blut. „Ich war richtig kaputt, aber ich bin trotzdem wieder aufgestanden, weil ich keinen Ärger haben wollte.“ Er erwischt noch den Zug zurück nach Kulmbach, doch es wird schlimmer. Irgendwann ruft er den Notarzt, der holt die Polizei und bringt Smeelkeil ins Kulmbacher Klinikum.

Nach einer Stunde die Diagnose: Unterkieferfraktur links, Kieferwinkelfraktur rechts, so steht es im Entlassungsbericht, der dem Kurier vorliegt. Gleich zweimal haben die Unbekannten dem 24-Jährigen den Kiefer gebrochen.

Einen Monat lang kann Smeelkeil nur Suppe essen

Smeelkeil ist geschockt. Und erstattet doch noch Anzeige. Dann wird er an die Gesichtschirurgische Klinik nach Erlangen verlegt, zwei Operationen folgen, einen Monat kann er nur flüssige Nahrung zu sich nehmen. Er soll zu Hause bleiben, schleppt sich trotzdem zur Arbeit und in die Berufsschule. „Wenn einer gefragt hat, habe ich einfach ,Alles prima‘ gesagt, damit ich nicht nervig werde.“ Nur nicht auffallen. Einfach weiter versuchen, dazuzugehören.

Bis heute hat Saahel Smeelkeil manchmal Schmerzen. Verantworten muss sich dafür aber wohl niemand: Die Polizei hat bisher keine weiteren Zeugen ausgemacht, der Iraker ist verschwunden. „Die Wahrscheinlichkeit, die Täter zu finden, wird als eher gering angesehen“, sagt Polizeihauptmeister Engelhardt.

"Ich hatte meinen Weg gefunden und dann kommen solche Leute"

„Ich hatte meinen Weg gefunden und dann kommen solche Leute“, sagt Smeelkeil. „Warum?“ Manchmal, ganz selten, merkt man doch, dass er die Sache nicht verwunden hat. Dass er nicht verstehen kann, warum er doch nicht dazugehört. „Warum?“, fragt er nochmal und starrt auf die Tischplatte. „Nur, weil ich schwarze Haare habe?“

Einen Moment später hebt er den Blick wieder. Und lacht. „Ach weißt du“, sagt er dann, „es gibt gute und schlechte Leute. Überall. Ich mache einfach weiter."

Zeugen gesucht

Falls jemand diesen Vorfall am 1. Mai gegen 5.30 Uhr am Mainufer zwischen Busbahnhof und Bahnhofsstraße beobachtet hat, wird er gebeten, sich bei der Polizeiinspektion Bayreuth-Stadt unter der Telefonnummer 0921/506-2130 zu melden.

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