Damals schon hatte er sich weitgehend von der Außenwelt abgeschnitten. Zu Familienfesten kam er selten oder gar nicht. Später wurde er gar nicht mehr eingeladen. Diese Ausgrenzung war eine Folge seiner selbst gewählten Isolation. „Geht nicht mehr auf Kremitz, es ist alles anders“, hatte die Oma mal gesagt.
Es war, als er begann, das kleine Haus am Hang und den Garten umzubauen. Geld war anfangs da, auch von einer Erbschaft aus der Zeit Ende der 190er Jahre. Keine große Summe, aber ein Mercedes wäre drin gewesen. Trotzdem griffen ihm immer wieder Familienmitglieder unter die Arme. Das Bauvorhaben nahm plötzlich einen großen Teil seiner Zeit in Anspruch. Bauantrag auf Bauantrag folgte, die Projekte wurden größer.
Er grub dermaßen tief den Hang, dass das Haus einzustürzen drohte. Mehrere Lkw voller Beton waren nötig, um das Loch aufzufüllen. In der Zeit wohnte er bei seiner Mutter, seine junge Lebensgefährtin bei ihren Eltern in Zettmeisel. Die möchten nicht mit der Presse sprechen, betonen aber, Christian R. sei ein guter Vater für seine inzwischen vierjährige Tochter gewesen.
Eine Stahltüre zum Wohnzimmer
Er arbeitete Tag und Nacht, „sieben Tage die Woche“, im und am Haus. Woher das Geld kam? Unklar. Ins Wohnzimmer ließ er eine Stahltür bauen. Was immer er plante, es ging ihm nicht schnell genug. „Und alles wollte er selbst machen“, sagt ein Verwandter, „wie früher“. So soll er selbst einen Bagger gefahren haben, um schwere Teile ins Haus zu schaffen, was schiefging. Gäste empfing er schon längst nicht mehr, im Gegenteil: Er wollte eine fast fünf Meter hohe Mauer vor sein Haus bauen. „Warum, versteht keiner“, sagt ein enger Verwandter.
Der Verwandte versteht auch nicht, warum Christian R. diesen Bunker ins Haus gebaut hat, mit Bauteilen einer Spezialfirma in der Schweiz, dem kleinen Land, in dem es mehr als 300.000 Bunker in den Kellern von Häusern gibt. Wovor hat er Angst? Wovor suchte er Schutz? Wozu die Waffen? Rüstete er sich gegen eine Welt voller Feinde, falls sie ihn angreifen wollten? Ein anderes Familienmitglied will wissen, dass es der bevorstehende Weltuntergang war. Der Maya-Kalender datierte diesen auf den 21. Dezember 2012.
In dieser Situation zog seine Oma aus. Wieder eine dieser Geschichten: Er soll sie geschlagen haben, genau wie er seine Lebensgefährtin geschlagen haben soll. In Wirklichkeit, das bestätigen Verwandte, hat er die Oma nur „geschubst“. Den Grund weiß niemand. Er besucht sie sogar noch im Altersheim.
Schon längst war aus dem kurzhaarigen Buchhalter ein anderer Mensch geworden: lange Haare, Zottelbart. Einer, der die Welt in Freund und Feind unterteilt. Einer der sich „verfolgt fühlte“, sagt ein Verwandter. Einer der, sich wegen seiner Art auch als Feindbild eignet – und mit den Nachbarn im Dauerstreit liegt. Einer, der – so lautet der Vorwurf des Staatsanwaltes – sich am Geld seines einzigen Kunden vergreift.
„Die Ermittlungen laufen noch“, sagt Juliane Krause (45), Oberstaatsanwältin aus Bayreuth. Mehr dürfe sie nicht sagen. Nur noch, dass „intensiv“ ermittelt wird. Auch der Anwalt von Christian R. schweigt. Höflich, aber bestimmt verweist er auf seine Schweigepflicht.
Hat Christian R. 280.000 Euro unterschlagen?
Wo die 280.000 Euro sind, um die R. seinen Kunden betrogen haben soll, ist noch offen. Die Firma, ein mittelständisches Unternehmen in der Region, schweigt. „Ich kann dazu nichts sagen, bitte haben Sie Verständnis.“ Nach Informationen des Kuriers hat R. wohl über Jahre eine perfekt getarnte Buchführung mit doppeltem Boden gemacht. Das Geld soll er auf Konten im Ausland umgeleitet haben. Dabei soll R. – einst bester Steuerprüfer seiner Klasse – derart subtil vorgegangen sein, dass ihm über längere Zeit niemand auf die Spur kam. „Eiskalt war der“, sagt ein Beteiligter. Aber die Firma merkte, dass Geld fehlte, prüfte die Bücher und zeigte ihn an. Bei den Ermittlungen soll sogar die europäische Polizeibehörde Interpol eingeschaltet gewesen sein. Bestätigung dort gibt es natürlich keine.
R. sitzt seit Dezember in Untersuchungshaft, nach Informationen des Kuriers ist er auf der Krankenstation. Er ist nach einer Handverletzung ein chronischer Schmerzpatient. Über Jahre nahm er Oxicodon, ein extrem starkes Schmerzmittel, das abhängig machen kann und viele Nebenwirkungen hat. Ob sich dadurch seine Persönlichkeit verändert hat, muss ein psychiatrischer Gutachter entscheiden. Noch steht nicht fest, wer die Aufgabe übernehmen soll. Aber er könnte herausfinden, dass R. nur vermindert oder gar nicht schuldfähig ist – für manche seiner Vergehen.
So könnte er auch das Hasch, das er in seinem Bunker gelagert hatte, gegen seine Schmerzen genommen haben. „Indizien weisen bei einigen Vergehen darauf hin“, sagt ein Verfahrensbeteiligter. Bei einigen aber auch nicht. Als die Spezialkräfte der Polizei den Bunker nicht aufbekamen, zeigte er sich kooperativ. Das Verfahren gegen ihn dürfte erst im Sommer beginnen. Ihm drohen mehrere Jahre Haft.