Eine Liebe in Zeiten des Krieges

Heike Hampl
 Foto: red

Georges Roodthooft lernte mit zehn Jahren Richard Wagners Musik kennen – Seit 1963 besucht er die Festspiele.

 
Schließen

Diesen Artikel teilen

Es war im Jahr 1941, Belgien war unter deutscher Besatzung. Georges Roodthooft war zehn Jahre alt und lebte mit seinen Eltern in Brüssel. Die saßen mit Onkels und Tanten zusammen und unterhielten sich über Dinge, die der kleine Georges schrecklich langweilig fand. Über Geld, die Börse, über Investitionen. Georges setzte sich vor das Radio, lauschte dem Klang der Musik mit dem leisen Rauschen der Kurzwellen im Hintergrund. Und dann geschah es: Georges hörte die Aufnahme einer „Tannhäuser“-Vorstellung in Stuttgart. „Ich habe nichts verstanden“, sagt der heute 81-jährige Belgier. „Aber es war wunderbare Musik.“ Nachdem der kleine Georges im Radio diese Musik gehört hatte, bekniete er seine Eltern: „Ich muss Wagner auf Schallplatte haben!“

Es war der Beginn einer Leidenschaft. Richard Wagner zog Roodthooft in seinen Bann. Heuer besucht der Belgier die Festspiele in Bayreuth zum 49. Mal. Zusammen mit seiner Frau Florence, mit der er seit 55 Jahren verheiratet ist. „Ich wünsche mir nichts sehnlicher, als ein 50. Mal zu kommen“, sagt er.

Schallplatte erst nach dem Krieg

Heute kann Georges von Besuchen bei den Festspielen träumen, vor 70 Jahren musste er sich erst mal um eine Platte bemühen. Schallplatten im Krieg? Und dann auch noch von Wagner? Einem Deutschen? Einem Komponisten aus dem Land, das Belgien überfallen hatte? Georges musste sich noch vier Jahre gedulden, so lange, bis der Krieg vorbei war. „Dann habe ich mein gesamtes erspartes Taschengeld für meine erste Schallplatte ausgegeben.“

Roodthoofts Augen werden groß, wenn er sich daran erinnert. So groß wie sie damals wohl waren, als er die Schallplatte in den Händen hielt. Seine erste Wagner-Aufnahme: die Ouvertüre des „Tannhäuser“. „Eine Aufnahme aus dem Jahr 1930, aus Bayreuth“, schwärmt Georges und dehnt seine Worte. „So ein wunderbares Souvenir.“ Roodthooft begann, Schallplatten zu sammeln. Wagner, Mahler, Beethoven, Brahms. Wie viele Platten es heute sind, kann der frühere Elektroingenieur nicht sagen. Es sind zu viele.

Georges Roodthooft ging oft in Brüssel in die Oper. Dort lernte er Wolfgang und Wieland Wagner persönlich kennen. Wolfgang sprach den Belgier 1954 an: „Sind Sie auch Wagnerianer?“ Die beiden kamen ins Gespräch und gingen wieder getrennte Wege. Einige Jahre später stöberte Georges zusammen mit Florence in einem Schallplattengeschäft auf dem Place De Brouckère nahe der Oper, als plötzlich Wieland Wagner vor ihnen stand. Georges hielt ein Programmheft von „Tristan und Isolde“ in den Händen, da sprach Wieland ihn an. Georges erkannte ihn sofort. „Sie kennen mich?“ fragte Wieland ihn amüsiert. „Waren Sie denn schon einmal in Bayreuth?“ „Nein“, antwortete Georges. „Aber irgendwann komme ich.“

Eine Offenbarung

Es sollte bis 1963 dauern. Nach Jahren des Sparens konnte Georges zum ersten Mal nach Bayreuth reisen und die Festspiele besuchen. Er hatte Karten für „Tristan und Isolde“ bekommen und reiste zusammen mit Florence nach Bayreuth. Im Gedränge vor der Vorstellung entdeckte Florence Wieland Wagner, der in Gespräche vertieft war. Als Wieland Wagner Georges Roodhooft sah, erkannte er den Belgier sofort. „Place De Brouckère“, rief Wieland ihm zu. „Ich war so glücklich darüber“, sagt Roodthooft. Schon bei seinem ersten Besuch wusste der Belgier, dass er nach Bayreuth zurückkehren würde. „In der Pause nach dem ersten Akt hat Georges geweint und gesagt: Nächstes Jahr kommen wir wieder“, sagt Florence Roodhooft. Ihr Ehemann nickt energisch. Er selbst erinnert sich noch sehr gut an seinen ersten Besuch im Festspielhaus: „Die Inszenierung von Wieland Wagner war sehr gut. Es war eine Offenbarung für mich. Karl Böhm hat dirigiert, unser Lieblingsdirigent.“ Florence Roodthooft liebt Musik ebenso wie ihr Mann. Nur mit Wagner war es am Anfang schwer. „Sonntags legte er schon morgens um sechs Wagner-Schallplatten auf“, erzählt sie. Erst mit der Zeit habe sie die Schönheit der Musik erkannt.

Wenn es um Namen und Daten rund um die Festspiele geht, funktioniert Roodhooft wie eine Maschine. Wolfgang Wagner, mit dem die beiden ein gutes Verhältnis pflegten, habe einmal zu Florence Roodhooft gesagt: „Ihr Mann ist kein Mann, er ist ein Computer.“ Man müsse ihm nur auf die Schulter klopfen und ihm eine Jahreszahl nennen, dann spucke er alles Wichtige aus, was auf dem Grünen Hügel in jenem Jahr passiert sei. Georges Roodhooft lacht, als seine Frau diese Geschichte erzählt. Er schüttelt den Kopf und wehrt mit der Hand ab. Als sei es ihm peinlich, so viel zu wissen.

Roodthooft hält viel von den Deutschen, wegen „ihrer Disziplin, ihrem Organisationstalent und ihrem Kunstreichtum“. Deswegen hat er als junger Mann Deutsch gelernt. „Jeden Tag viermal sieben Minuten.“ Am liebsten liest er Goethe, Schiller und die Manns. „Meine Frau mag eher Novalis“, sagt er. Roodthooft liest die Bücher oft auf Deutsch.

Roodthooft, der selbst nie ein Instrument spielte, ist Vorsitzender des französischsprachigen Richard-Wagner-Verbandes in Belgien. Er gibt seit 1996 ein Journal über Wagner heraus. Deswegen, verrät er, bekommt er auch jedes Jahr Karten für die Festspiele. Roodthooft könnte nicht leben ohne den alljährlich Besuch in Bayreuth. In Brüssel wartet ein Kalender auf ihn. „Dann muss ich immer 50 Wochen abreißen, bis ich endlich wieder in meinem Bayreuth bin.“

Foto: Hampl