Zimmer mit Aussicht auf Freiheit Ein Ortsbesuch im Bezirkskrankenhaus Bayreuth

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 Foto: red

Gustl Mollath erhebt schwere Vorwürfe gegen das Bezirksklinikum Bayreuth: Schlafentzug, Kaltduschen, Schikanen, Anfeindungen. Das bringt nicht nur die Klinik in Verruf, sondern auch die ganze Psychiatrie. Zu Unrecht.

 
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Ein schönes Gefühl ist es nicht, hier drin zu sein. Auch nicht als Besucher. Das Wissen, der Mann mit dem Schlüssel wird jede Tür wieder aufschließen, macht es nicht angenehmer. Und es sind fast alle Türen verschlossen hier, in dieser Mischung aus Krankenhaus und Gefängnis. Bezirkskrankenhaus Bayreuth, Bäume, Wiesen, ein Kiosk, eine Art Kirche, Gärtnerei, Therapie- und Sportmöglichkeiten und Parkplätze verteilen sich auf ein paar Hektar Gelände. Aber nur auf ein paar Quadratmeter schaut im Moment eine ganze Medienlandschaft: ein Zimmer mit einem Schrank, einem Bett, einem Tisch, einem Regal, einer Nasszelle. Sie sehen alle gleich aus, ein bisschen wie in einem einfachen Hotel. In einem solchen Zimmer lebt Hans G. (41).

„Ich fühle mich nicht wie eingesperrt“, sagt er. Ob er das nur sagt, weil der Mann mit dem Schlüssel dabei ist. „Ich sag meine Meinung, wie sie ist, und nicht, ob’s jemand hören will.“ Hans G. heißt in Wirklichkeit anders, ein Kraftpaket von Mannsbild, Arme wie Baseballschläger, tätowiert, Händedruck wie ein Schraubstock. Einer, der keine Angst haben muss, zu sagen, was er denkt. Seit vier Monaten ist er in der Klinik. „Hier wird mir geholfen, ich merk das.“

Vorher war er im Knast. Sucht, Absturz, Gewalt. Da wollte er raus. Ausgerechnet im Bezirkskrankenhaus sieht er seine „letzte Chance“. Er hat ein Kind draußen, seit Jahren nicht gesehen. Seine Stimme klingt weicher jetzt. Er wolle was erreichen. „Wer’s nicht will …“, Pause, „… der hat schon.“

Wie sieht der Erfolg der Therapien aus? Dazu laufen Untersuchungen am IFQM – dem Institut für Qualitätsmanagement des Maßregelvollzugs in Bayern, das an der Fachklinik für Forensische Psychiatrie und Psychotherapie am Bezirksklinikum Regensburg ist. Zahlen liegen dem Ministerium noch nicht vor. Auch die durchschnittliche Zeit, wie lange Patienten in der Forensik untergebracht sind, wird untersucht. Allerdings erst seit diesem Jahr. Die Ergebnisse werden voraussichtlich Mitte 2014 vorliegen.

Seit Monaten ist die Bayreuther Einrichtung schweren Vorwürfen ausgesetzt, sehen sich die Mitarbeiter „diffamiert“. Gustl Mollath (56), der behauptet, er sitze zu Unrecht wegen angeblicher Gefährlichkeit hier, sagte: Die Leute, die hier arbeiten, hätten eine „Dreier-Mischung“: Sie seien „alle selbst psychisch krank“, „kriminell“. Und „blöd“. Das sitzt.

Die wenigsten, mit denen wir sprechen, möchten ihren Namen in der Zeitung lesen. „20 Jahre haben wir hier unsere Arbeit gemacht“, sagt Diplom-Pädagoge Gerd Fuchs (58), „und plötzlich stehen wir im Rampenlicht.“ Es klingt nicht genervt, aber enttäuscht. „Grotesk“ sei das.

„Sie können alles sehen.“ Er zeigt die Musik-, Sport- oder Arbeitstherapie, den Raum mit dem Brennofen für Töpfersachen, die kleine Turnhalle, selbst den kleinsten Abstellraum. Nächstes Jahr wird der Anbau fertig, in dem alles größer sein wird. „Keine Schläuche für Kaltduschen“, sagt ein anderer. Und das klingt bitter.

Das Sozialministerium reagiert auf die Foltervorwürfe – gar nicht. Dafür sei der Bezirk zuständig. Geht es den Vorwürfen nach? Ein Sprecher verweist darauf, dass die Einrichtungen durch unabhängige Besuchskommissionen besucht würden. Und von der Nationalen Stelle zur Verhütung von Folter und dem Europäischen Ausschuss zur Verhütung von Folter (CPT).

Günther Denzler (CSU), Präsident des Bezirkstages, die der Klinik übergeordnete politische Instanz, liest die Vorwürfe „mit Sorge“. Er sagt, die Klinikmitarbeiter „wären doch dumm“, Fehler im Umgang mit Patienten zu machen. „Die wissen doch, sie stehen unter besonderer Beobachtung.“ Denzlers Befürchtung: Hinter den Vorwürfen steckt „eine gewisse Systematik“.

Hans G., der mit den starken Armen, „wohnt“ seit vier Monaten auf der Station FP11. Eine geschlossene Abteilung der Forensik. Im Fernsehraum läuft Kika, daneben liegt die Küche, in denen sie sich am Wochenende was kochen. Diesmal Schäuferla. Raus darf er oft.

Nach vier Monaten, Hans G. hat doch einiges auf dem Kerbholz? Es kommt nicht unbedingt auf die Straftat, sondern die Prognose der Gutachter an: Ob der Patient im Rahmen der Erkrankung künftig keine Straftaten mehr begehen wird. „Das wird als ungerecht empfunden“, sagt Michael Zappe, Stellvertretender Leiter der Klinik Bayreuth.

Die Bayreuther Einrichtung gilt in Fachkreisen als liberal. Mehr als 25 000 gewährte Vollzugslockerungen von begleitetem Ausgang ins Kino bis zum tageweisen Urlaub gibt es nach einer internen Zählung. „’ne Menge Leute gehen raus“, sagt Zappe. Für Schikanen habe man da gar keine Zeit.

Über der Station von Hans G. liegt die Station FP4. Die, in der auch Mollath untergebracht ist. Dort lebt seit drei Jahren Peter F., der gerade von der Ergotherapie kommt und auch völlig anders heißt. Im Zweierzimmer steht ein Fernseher. Drei Tage bestimmt er das Programm, vier Tage sein Zimmernachbar. Nächste Woche ist es umgekehrt. Draußen habe er „Haus und Hof“. Es sei schwer, sich von hier drin aus drum zu kümmern. „Aber es ist machbar.“ Peter F. entschuldigt sich, dass das Bad nicht aufgeräumt ist. Erzählt von der Physiotherapie, von seinen Töpferarbeiten, seiner Einzeltherapie. Es sei jedem überlassen, was er aus seiner Zeit mache. „Wenn man an seinem Problem arbeiten will …“ Was es ist, sagt er nicht, auch ein Foto möchte er nicht.

Warum ein Reporter da ist, weiß er natürlich. Nein, von den nächtlichen Kontrollen bekommt er nichts mit. Trotz seines „leichten Schlafes“. Peter F. nennt sich „sehr therapiewillig“ und nein, das sei für ihn keine „Folterkammer“. „Aber wenn jemand was suchen würde, er würde was finden.“ Das hänge von der „Therapiewilligkeit“ ab. Andere wollten einen anderen Weg gehen, sagt er. Ungefragt, das meiste. Auch das: Spontanheilung gebe es nicht. Und ja: „Wenn einer 50 Telefongespräche kriegt am Tag und ausgerufen wird, das ist nicht schön.“ Deshalb sind die Anrufzeiten geregelt. In den 14 Bezirkskrankenhäusern sind nach Zahlen des Ministeriums 2525 Patienten, 219 davon leben in Wohngruppen oder Heimen.

Die Vorwürfe Mollaths treffen nicht nur das Klinikum. „Sie zerstören das Vertrauen auf Kosten der Patienten“, sagt Herbert Steinböck (59). Er ist Chefarzt der Klinik für Forensik im Klinikum München-Ost und zweiter Sprecher der Maßregelvollzugsleiter Bayerns. Und das in einer Zeit, in der Patienten viel mehr den Psychiater trauten als früher. „Weil sich die Verhältnisse extrem gebessert haben.“ Viele Inhaftierte ziehen die Forensik der Zelle vor. „Das ist Knast light.“

Hans G., der Kräftige, geht heute einkaufen, geht aus der Station, dem Haus, dem Gelände runter zum Netto. „Wenn du Lockerungen hast, bist du nur zum Schlafen da.“ Im Gefängnis, „lassen sie dich spüren, wo du bist.“ Jede Nacht weckte ihn der laute Schlüssel des Personals. „Du erschrickst bis auf den Tod.“

Die nächtlichen Zimmerkontrollen hier „krieg ich gar nicht mit“. Er sagt das ungefragt. Hier schließt ihn keiner aufs Zimmer ein. Im Moment hilft er, die Station zu verschönern. Hier solle man sich zeigen, wie man ist, sagte er. Zum Schluss quetscht Hans G. noch mal die Hand des Besuchers.

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