Ein Abend in vier Akten Geschickt inszeniert: Das Geburtstagskonzert im Festspielhaus

Von Florian Zinnecker
Anders als sonst saßen die Musiker - dirigiert von Christian Thielemann - beim Geburtstagskonzert nicht im Graben, sondern auf der Bühne. Foto: red

Mindestens in einem Punkt sind Konzerte Opernaufführungen immer überlegen: Man kann sie inszenieren, ohne dass jemand damit rechnet. Natürlich war das Konzert zum 200. Geburtstag Richard Wagners nicht das erste, das je im Bayreuther Festspielhaus stattfand, und ebenso wenig fand an diesem Abend auf dem Grünen Hügel zum ersten Mal etwas außerhalb der Festspielzeit statt. Auch wenn das – auch an dem Abend, um den es hier geht – immer wieder behauptet wurde: Das täuscht.

 
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Bayreuth bleiben an diesem Tag ja aber noch genug andere Superlative: Es dirigierte Christian Thielemann, der aktuell fast schon offiziell als bester denkbarer Wagner-Dirigent gilt. Es musizierte das Orchester der Bayreuther Festspiele, das tatsächlich beste Wagner-Orchester der Welt, das grundsätzlich nur von Ende Juni bis Ende August überhaupt existiert, und dies auch nur (von wenigen Gastspielen abgesehen) auf dem Grünen Hügel. Und das alles im Bayreuther Festspielhaus, dem einzigen Theater der Welt, das allein zur Aufführung der Werke eines einzigen Komponisten gebaut worden ist, ein Haus, das längst von den Mythen und Legenden überragt wird, die sich um das Haus spinnen; ein Haus mit der fabelhaftesten, sängerfreundlichsten Wagner-Akustik der Welt. So wie hier klingt Wagner nirgendwo sonst. „Wie ein Märchen steht das Ding da in der plumpen Wirklichkeit", schrieb Cosima einst über das Haus sie bezog sich auf die Außenmauern, aber es stimmt auch für alles andere.

Bei einem Konzert mit solchen Rahmenbedingungen ist im Grunde von vornherein ausgemacht, dass es ein großer, großer Erfolg werden wird, alles andere ist nicht denkbar, und so ist es keine allzu große Überraschung, dass dieses Konzert auch tatsächlich – und übrigens: mit Recht – als großer Erfolg gelten darf.

Viel interessanter ist aber, was zwischen den Zeilen stand. Denn man musste schon genau hinschauen, um zu sehen, wie geschickt und subtil der Abend inszeniert war. Vielleicht kommt man der Inszenierung sogar am besten auf die Spur, wenn man das Konzert als Oper zu verstehen versucht.

Das Bühnenbild: Ein Holzschnitt von Anselm Kiefer, der an der Bühnenrückwand hängt. Ein Original. „Das Rheingold" heißt es und gehört zum „Rhein"-Zyklus, der zurzeit in der Schau „De L'Allemagne" im Louvre hängt – die Schau thematisiert die Frage, was deutsche Kunst ist und ob sie zwingend in die Katastrophe führt. Kiefers „Rheingold" ist ein hochinteressantes Bild, es zeigt den Rhein, der Betrachter kann vom Ufer aus das andere schon erkennen, man sieht viel Wasser, sehr viel Himmel, dazwischen ein schmaler Streifen Land. Dieses Panorama aber ist von Baumstämmen zerschnitten, der Betrachter muss sich den Rhein selbst zusammensetzen, und mittendrin in diesem Geflecht schwebt ein Polyeder, ein ungleichmäßiges Vieleck. Man weiß nicht, was es ist, was es soll, woher es kommt, es ist da, und der Blick kommt nicht daran vorbei.

Dieses Bild also hängt an der Bühnenrückwand, und es sagt so viel über Richard Wagner, dass sich eine Festrede tatsächlich erübrigt.

Erster Aufzug: Die Walküre. Eva-Maria Westbroek, Johan Botha und Kwanchul Youn singen. Der erste Aufzug der „Walküre" handelt von einem Mann, der aus feindlicher Umgebung in die warme Stube flieht, er findet dort Liebe, seinen Todfeind und die Waffe, mit der er ihn besiegen kann. Das Ende ist offen, es besteht Hoffnung, dass alles gut wird, es kann aber auch anders kommen. Es gibt wahrscheinlich keine Stelle in einer Wagneroper, die Wagner selbst so präzise auf den Punkt bringt, und dazu Bläser-Pathos ebenso wie leise Streicher enthält; man kann Wagner – sein Leben, seine Musik, seine Wirkung – sehr gut an diesem ersten Aufzug erklären.

Zweiter Aufzug: „Tristan"-Vorspiel und Liebestod. Wagner, der Techniker. Es ist das Schicksalsstück von Christian Thielemann, er selbst verbreitet die Geschichte, wie er einst bei einem renommierten Dirigierwettbewerb damit durchfiel, weil er, anstatt zu brillieren, lieber mit den Musikern arbeiten wollte.

Er verzichtet auf die große Breite und auch aufs Fortissimo, es ist das erste Stück nach der Pause, das ist eine Aussage, das musikalisch revolutionärste Stück Wagner soll die Aufmerksamkeit des Publikums wieder einfangen, na gut. Der „Tristan" ist ferner, zusammen mit „Lohengrin", das einzige Stück, das er noch nicht in Bayreuth dirigiert hat. Er wird dies aber 2015 tun, die Inszenierung besorgt dann Katharina Wagner; die Produktion wird mit Spannung erwartet.

Dritter Aufzug: Siegfrieds Rheinfahrt und der Trauermarsch. Wagner, der Märchenerzähler. Die Platzierung dieses Programmpunkts in der Programmabfolge weist auf seine Stellung im Konzert hin. Es steht im Zentrum, und genauso dirigiert Thielemann auch: Jetzt ist das Fortissimo da, auch das Pathos, fast der ganze „Ring" steckt in diesen zwei Orchesterstellen, und an der Bühnenrückwand hängt nach wie vor Anselm Kiefer.

Und schließlich vierter Aufzug: Das „Meistersinger"-Vorspiel. Wagner, das Nationalheiligtum, es ist natürlich reine Absicht, mit diesem Stück zu schließen, es bedeutet: Nichts wird ausgeklammert, auch nicht der wuchtige C-Dur-Reichsparteitags-Wagner, und Thielemann gelingt die Pointe: So schlank, so sensibel war dieses Stück selten, die alten Muster sind überwindbar, soll das heißen, und wir haben sie überwunden, wir stoßen vor zum wahren Kern der Musik, und seht nur her, wie viel Gehalt doch darin steckt. Es ist ein Meistersinger-Vorspiel, das sich nicht selbst feiert.

Und dann, zum Finale des Finales, gestattet sich Thielemann doch noch ein bisschen Wucht. Und Pomp. Und Breite. Ganz kurz, ganz am Ende. Wie um einfach nur darauf hinzuweisen, wo der Unterschied liegt.

Der Jubel fiel dann genauso groß aus wie erwartet. Für ein Konzert, das alles sagte, was es zu sagen gab. Und kein Wort mehr.