Wotan grollt
Nein, diesmal wissen wir nicht, wie Cosima Wagner reagiert hätte, hätte einer ihrer Festspiel-Sänger, zudem noch ein ehemaliger Wotan, in Wahnfried einen ganzen Lieder-Zyklus Robert Schumanns gesungen. Immerhin hatte Schumann einst dem jungen Wagner die Gelegenheit verschafft, in seiner Musikzeitschrift zu publizieren. Und Schumann hatte sich zur Meinung durchgerungen, dass der „Tannhäuser“ nicht so schlecht klinge, wie er notiert wurde.
„Die Dichterliebe“ also in Wahnfried. Auf der Bühne steht Albert Dohmen. Mit seiner Stimme und Deutung der Lieder könnte das Opus 48 auch „16 ernste Gesänge“ heißen, aber der Titel ist Brahms vorbehalten, den Dohmen und sein Begleiter Jendrik Springer an den Schluss gesetzt haben.
Allerschwärzeste Romantik
Schon Straussens fünf Einzellieder erklangen im selben Ton: ernst, dunkel, schwer, in jedem Fall ironiefrei, ja finster. Nicht, dass diese Einseitigkeit falsch wäre: sie irritiert nur einen Moment, bis der Hörer begreift, dass dies eben das Programm ist. Es ist so einseitig wie bannend. Natürlich nimmt es den Liedern Schumanns jene Spuren von Ironie, die der Komponist den Texten Heines im musikalischen Satz abgewann – aber der Sänger, der am Abend in jenem Opernmodus verharrt, den ihm die Interpretation des aktuellen Alberich aufzuzwingen scheint, ist konsequent. So vehement, wie Springer bisweilen den Steinway traktiert, so nachdrücklich verweist Dohmen auf die allerschwärzeste Romantik, die in Schumanns Deutung verborgen ist.
Sehr langsam beginnt schon das Mailied, sehr dunkel bleibt der melancholische Grundton der Stimme auch dort, wo Text und Musik ein leichteres Valeur erlaubten; Rose und Lilie besitzen das Bleigewicht der Verzweiflung, und dass ein Jüngling ein Mädchen liebt, ist eine sarkastische, keine federleicht ironische Feststellung. Wer so im Traum zu weinen hat, ist völlig verzweifelt. Die Liebe ist bei diesen beiden Herren eine sehr dunkle Macht, Dohmen singt sozusagen immer in Moll. Hier steht ein zutiefst Verwundeter, der seinen Schmerz demonstrativ herauslässt: mit einer unbändigen Lust an Todesbildern und -sehnsüchten.
Dass Brahms „Ernste Gesänge“ mit prophetenhafter Strenge aus dem Munde eines alttestamentarischen Predigers kommen, verwundert nicht. Und dass man in diesen Tagen einige von Strauss Lied-Klassikern nicht so psychogrammatisch gehört hat, ist klar, mag auch „Allerseelen“ so hymnisch wie aus dem Munde Jupiters dringen, dem Strauss in der „Liebe der Danae“ gehuldigt hat. Hier singt ein Gott – ein Gott der tiefsten Stimmlage, der wie Wotan grollt.
Haus Wahnfried, Richard-Wagner-Straße 48, 95444 Bayreuth