Ein Star-Countertenor in Bayreuth

Von Michael Weiser
Der weltbekannte Countertenor und Regisseur Max Emanuel Cencic. Foto: red Foto: red

Kann man Barockoper so inszenieren, dass sie uns heute etwas sagen hat? Aber ja, findet Max Emanuel Cencic. Er ist einer der bedeutendsten Countertenöre der Gegenwart, aber auch erfolgreicher Opernregisseur, der Wilhelmines Epoche musikalisch Urständ feiern lässt. Am Freitag ist Max Emanuel Cencic mit der Oper „Siroe“ von Johann Adolph Hasse im Markgräflichen Opernhaus zu Gast. Wir sprachen mit dem kroatisch-österreichischen Star über seine multiple Persönlichkeit, unterschätzte Barockopern, Travestie im Papst-Staat und Krimis aus der römischen Kaiserzeit.

 
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Herr Cencic, wie gefällt Ihnen das Markgräfliche Opernhaus?

Max Emanuel Cencic: Ich finde es sehr schön dort, ich bin aber allerdings nicht das erste Mal da. Vor zwölf, dreizehn Jahren habe ich bereits dort gesungen, in „La Fida Ninfa“ von Vivaldi. Das Opernhaus hat Vergleich zu anderen Theatern aus dieser Zeit eine gute Akustik. Es ist, was den Klang betrifft, nicht so wahnsinnig trocken.

 

Mit sechs den ersten Fernsehauftritt, mit elf Starsolist bei den Wiener Sängerknaben. Wie schafft man es da, auf dem Boden zu bleiben und nicht als Kinderstar auszubrennen?

Max Emanuel Cencic: Keine Ahnung. Ich denke, jeder hat seinen Weg im Leben. Bei mir war es die Musik. Aber es gab ja auch bei mir eine Zeit mit Ups and Downs.

 

Ganz frühe Koloraturen: Der sechsjährige Max Emanuel Cencic. Quelle Youtube

 

Die Downs – war das während des Bürgerkriegs in Jugoslawien?

Cencic: Ja. Ich meine, wir waren schon draußen. Aber da wurde es auch enger. Weil meine Eltern, mitten im Berufsleben stehend, so um die 40 Jahre alt, nicht mehr in dem Staat leben konnten, in dem sie sich eingerichtet hatten. Da musste ich aushelfen.

 

Aber das ganz schön erfolgreich.

Cencic: Na ja, ich hatte nur begrenzte Möglichkeiten. Wenn Sie vierzehn, fünfzehn oder sechzehn Jahre alt sind, dann können sie karrieremäßig nicht ohnehin nicht viel machen. Es gibt vereinzelte Konzerte, Auftritte in Opern. Aber die 90er waren dem Barock gegenüber nicht so wahnsinnig aufgeschlossen. da gab es erst einige Festival, die sich gerade formierten. Man kann es so sagen: Ich war etwas zu exotisch für die Zeit. In München gab zum Beispiel es eine Serie mit Händel-Revivals. Ich hätte schon gewollt, mich haben die aber damals noch nicht gewollt (lacht).

 

Sie sind sozusagen eine multiple Persönlichkeit, sind Sänger, Regisseur und künstlerischer Leiter einer Agentur und eines Labels. Warum tun Sie sich diesen Stress an?

Cencic: Das frage ich mich auch manchmal. Na ja, ich habe eben den Wunsch, immer wieder Projekte ins Leben zu rufen. Da muss man manchmal überall ein bisschen anpacken. Es ist vor allem die Freude daran, musikalische Projekte zu machen, die außerhalb des Mainstreams sind, in denen man was Neues machen kann. Ich könnte ja auch dauernd auftreten, was ich auch ab und zu tue. Ich habe nicht aufgehört damit, habe nach wie vor Engagements, in denen ich ganz normal als Sänger auftrete, Aber eben auch eigene künstlerische Projekte, die ich mit Kollegen realisiere. Wie den „Siroe“: Ich suche mir eine Barockoper aus, stelle die Sänger zusammen, dazu das Orchester. Und dann touren wir. Und damit haben wir auch großen Erfolg. Zuletzt haben wir mit Nicola Porporas „Germanico in Germania“ den Preis der deutschen Schallplattenkritik bekommen. So etwas begeistert mich.

 

Ein bisschen Stoff für die Gender-Diskussion

Abseits vom Mainstream unternehmen Sie einiges. Sie haben schon mal alle Stimmen mit Männern besetzt, auch die Frauenrollen. Aus historischer Aufführungspraxis heraus, weil im Theater früher Frauen auf der Bühne nichts verloren hatten?

Cencic: Nur im vatikanischen Staat gab es dieses Verbot. Ich wollte aus unterschiedlichsten Gründen eine männliche Besetzung haben. Zum einen fand ich es einfach verrückt, dass in Rom 200 Jahre lang Travestietheater Teil der Operngeschichte war. Die Inszenierung war nicht irgendwie „originalgetreu“, sie war modern. Dahinter stand auch die Idee, der Gender-Diskussion, die damals aufgeflammt ist, ein bisschen Stoff zu bieten. Und auch, den Menschen Countertenöre näherzubringen. Da gab es viele Vorurteile. Und schließlich hatte ich das Bedürfnis, eine Produktion mit top Countertenören zu machen.

 

Nervt es Sie manchmal, dass viele Barockopern abstruse Libretti haben?

Cencic: Na ja, die Opern des 19. Jahrhunderts sind ja auch abstrus. Ich habe kürzlich „La Donna del Lago“ inszeniert, und diese Geschichte ist ja vollkommen abstrus. Ich finde, dass die Libretti des 18. Jahrhunderts in vielerlei Hinsicht reeller sind als die Libretti des 19. Jahrhunderts. „Siroe“ zum Beispiel hat eine Geschichte, die sehr klar und nachvollziehbar erzählt wird. Wie ein klares Drama. Ich glaube, dass man bei den Libretti des Barocks auf die Details achten muss, dass die aber oft übersehen werden. Diese Details sind manchmal subtil, sie nehmen manchmal Bezug auf die griechische Tragödie. Besonders schwierig wird es, wenn sich da Motive aus Ovids Metamorphosen herleiten.

 

So hört sich ein Star des Counter-Fachs an: Max Emanuel Cencic, aus der CD "Nicola Porpora: Opera Arias". Quelle Youtube

 

IhrSiroe“ hat ein Libretto vom damaligen Star-Autor Metastasio. Wilhelmine hat sich mal über eine Oper mit Metastasio-Libretto mokiert, die ohne Striche gespielt worden sei. Wie viel haben Sie denn gestrichen?

Cencic: Nicht sehr viel. Was Sie in der Vorstellung merken werden, ist, dass ich bei den Sängern erwarte, dass sie die Rezitative singen und spielen wie Schauspieler. Jedes Wort, das sie sagen, muss eine Bedeutung haben. Das Problem ist üblicherweise, dass in den Rezitativen einfach die Akkorde hingehämmert werden und dann singen die Sänger einfach einen Ton nach dem anderen. Das ist, als würden Sie einen Shakespeare einfach durchsprechen, ohne auf die Worte achtzugeben. Da meinen Sie dann auch, das sei stinklangweilig. Eine fünfstündige Metastasio-Oper kann hinreißend sein. Sie muss nur richtig interpretiert werden.

 

Man ging doch aber damals sehr frei mit Werken, hat weggelassen und hinzugefügt, wie es gerade passte.

Cencic: Metastasio ist was ganz anderes. Pasticcios waren kommerzielle Stücke. Da hat man versucht, innerhalb kürzester Zeit eine Oper zu vermarkten. Metastasio aber erzählt richtige Geschichen. „Ezio“ zum Beispiel liest sich wie ein Krimiroman. Es ist unglaublich, mit welcher tiefenpsychologischen Beobachtungsgabe er wahnsinnigen Kaiser Valentinian darstellt. Das hat so richtig Qualitäten wie in dieses alten Hollywoodfilmen. Wenn man diese Dialoge liest – es ist einfach irre, wie er diesen wahnsinnigen und diktatorischen Kaiser darstellt.

 

Was interessiert Sie an Geschichte?

Cencic: Die Tatsache, dass sich Geschichte wiederholt, dass die Menschen nichts daraus lernen. Das ist etwas, was wir in der Kunst im Theater immer wieder sehen. Natürlich haben die Stoffe deswegen so lange ihre Gültigkeit. Das griechische Theater fasziniert, weil es Dinge verhandelt, die sich bei den Menschen niemals ändern. Im Theater und in der Oper drückt sich das so aus, dass gerade die lebendige Kunst den psychologischen Charakter immer wieder spiegelt, mit diesen Rollen, in die man schlüpft: das Opfer, die Unterdrücker, was weiß ich, die Helden, die Gegenhelden. Hätten Sie mich vor 20 Jahren gefragt, ob sich das was ändert, hätte ich gesagt, klar. Heute bin ich eher skeptisch. Man schaut in die Nachrichten und denkt sich, irgendwie hat sich nichts geändert.


Info:Siroe“ ist ausverkauft; doch erfahrungsgemäß gehen immer wieder Karten zurück. Es könnte sich lohnen, am Freitagnachmittag online nachzuschauen oder an der Abendkasse (ab 19 Uhr) im Opernhaus nachzufragen.