Ein seltener Shakespeare im Zentrum

Von Frank Piontek
Der König, ein Hipster: Szene aus dem "Perikles" im Zentrum. Foto: Andreas Harbach Foto: red

Man kennt den (angeblichen) Autor, kaum aber das Stück: Shakespeares "Perikles" wird noch seltener gespielt als "Coriolan" oder "Wintermärchen" und gehört damit zu den ganz seltenen Ladenhütern im Angebot unter der Marke "Shakespeare". Haben wir Ladenhüter gesagt? In der Fassung des Theaters Total aus Bochum müsste es eigentlich riesigen Zulauf finden.

 
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Das Stück wird selten gespielt, obwohl es angeblich von William Shakespeare geschrieben wurde. In die erste Gesamtausgabe wurde die „Romanze“ nicht aufgenommen, und man darf mit guten Gründen an Shakespeares Autorschaft zweifeln. Nicht aber an der Güte des Stückes. Es macht eben nicht der Text die Aufführung, sondern das, was man seit geraumer Zeit als „Performance“ zu bezeichnen pflegt.

Das Bochumer Theater Total also spielt „Perikles. König von Tyrus“ mit dem neckischen Untertitel „Wenn Tyrannen küssen“ im Europasaal des „Zentrums“ vor einem Publikum von begeisterten jungen Leuten, die aus dem Gymnasium Christian Ernestinum rekrutiert wurden. Das Bayreuther Bildungsbürgertum fehlt wieder mal weitgehend.

War das nun von Shakespeare?

Es verpasst eine hoch unterhaltsame und theatralisch beeindruckende Aufführung eines spannenden und berührenden Stücks, das am Ende zweifeln lässt, ob nicht doch die letzten drei Akte vom Autor zumindest des „Wintermärchens“ geschrieben wurden. Die zwei Dutzend jungen Spieler, die die Produktion des Bochumer Projekttheaters tragen – ein paar Monate proben, dann ein paar Monate durch die Lande tingeln –, haben unter Barbara Wollrath-Kramer ein Stück erarbeitet, dessen Aufbereitung sich nicht in allzu naheliegenden Aktualisierungen erschöpft.

Nicht einfach ein Kommentar zur Gegenwart

Man spielt die Geschichte des Königs Perikles, dessen Leben über Unglücksfällen, unfreiwilligen Seefahrten und Fluchten im Mittelmeer dahinzugehen scheint, klugerweise nicht so sehr als Kommentar zur schrecklichen Gegenwart. Zwei verschiebbare Rampen, ein bisschen Nebel, eine atmosphärisch sparsame wie dichte Musik aus schwebenden Harmonien und einfachen Beats und eine stimmige Lichtregie (Grün für den bösen König, Sandbraun für das Reich des Perikles...) genügen, um den Raum anzudeuten: den Palast, den Strand, das Meer.

In diesen Räumen, in denen sich der Erzähler – ein Jüngling mit E-Gitarre und Hut –, der gute König: der hochgewachsene, schlanke Hipsterbartträger Jørn Stocker, seine Gattin, seine tugendhafte, selbst im Puff noch reine Tochter Marina, der gute Berater, drei liebenswürdige Fischer und der miese, inzestuöse König Antiochus und viele Höflinge bewegen, schauen wir auf technisch erstklassig inszenierte Szenen (bravourös: der Seesturm), angesichts der Zufallsdramaturgie erstaunlich gut motivierte Emotionen und genaue Rhythmen.

Eine Göttin weint vor Rührung

Das Theater Total ist auch eine Bilderanstalt: faszinierend, wie die Tochter des Antiochus, in die sich Perikles verknallt, als goldene Todesgöttin mit 22 Armen den Anwärter auf ihre Hand dämonisch bezirzt. Wunderbar, wie ein tänzerisches Hochzeitsfest unmerklich in ein stilles, großes Schlafbild übergeht. Magisch die Szene des Erwachens der für tot gehaltenen Königin; Klavier und Violoncello geben die Begleitmusik ab, bevor die Lyrik im Bordell gebrochen wird: vor allem durch die typisch „shakespeareschen“ Clowns, vor allem die brutale Puffmutter, die wie in Joyce’s „Ulysses“ stark behaart daherkommt. Das Finale aber ist ein märchenhafter Traum: Göttin Diana erscheint – ja, es ist eine Erscheinung – auf der Empore, gibt dem Schläfer Perikles ihre Anweisung durch, und es wird alles, alles gut. Am Ende weint sogar die Göttin – vor Rührung.

Als totaler Theaterliebhaber kann man’s gut verstehen.

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