Eilmeldung

"Reichsbürger" zu Haftstrafe verurteilt

Von Manfred Scherer
Der Prozess gegen Oliver N. rief großes Medieninteresse hervor. Sogar das Fernsehen war da. ⋌Foto: Manfred Scherer Foto: red

Der Prozess gegen einen „Reichsbürger“ endet am Donnerstag nach sechsstündiger Verhandlung mit einer Sensation: Der Angeklagte akzeptiert die sechsmonatige Haftstrafe, die Amtsrichter Stefan Käsbohrer verhängt. Das Urteil eines Richters eines Staates, den er angeblich nicht anerkennt. Wie das?

 
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Großes Kino im Justizpalast. Der Bayerische Rundfunk und sogar die ARD sind da. Zur Berichterstattung über den „Reichsbürger“ Oliver N. (49) aus Bayreuth. Noch nicht lange her ist der Mord eines anderen „Reichsbürgers“ an einem Polizisten in Georgensgmünd. Politiker haben angekündigt, die seltsame Gruppierung stärker zu beobachten. Im Zuhörerraum sitzt ein Staatsschutzbeamter. Und Zivilpolizisten, für den Fall der Fälle. Laut der Anklage legte sich der Bayreuther „Reichsbürger“ vielfach mit Polizisten an. Ekliger Höhepunkt ist eine Konfrontation an Weihnachten 2015. Oliver N. ruft selbst die Polizei, kündigt Straftaten an und wird mitgenommen. Wenig später ist die Haftzelle der Polizei überflutet, weil das Klo verstopft ist. Drei Beamte eilen in den Keller. Oliver N. brüllt herum, beschimpft und beleidigt die Beamten. Er beugt sich hinab, greift nach einem Stück Kot, das durch die Zelle schwimmt, und wirft die Fäkalie nach den Beamten. „Gezielt“, sagt der Beworfene. „Dass er nicht getroffen hat, liegt an meiner Reaktionsschnelligkeit.“ Der Kot bleibt an der Wand kleben. Die drei Polizisten bestätigen den Wurf als Zeugen vor Gericht.

Erst laut, später immer entspannter

Im Prozess schnellen beide Zeigefinger von Oliver N. hoch: „Herr Richter, was soll man machen, wenn man vergast wird mit Pfefferspray? Das war wie im KZ. Unmenschlich.“ Oliver N. verteidigt sich sehr, sehr laut: „Woher weiß der Zeuge, dass das meine Scheiße war? Hat er einen DNA-Test gemacht, stand da mein Name drauf?“ Er besteht darauf, dass die Toilette schon verstopft war, kein Klopapier vorhanden und er vergeblich um Papier gerufen hatte.

Streit im Faschingstrubel

Am 7. Februar 2016 ist Oliver N. mit einem Bekannten in einer Gaststätte am Markt. Im „Oskar“ ist Faschingstrubel. Oliver N., angetrunken, streitet sich mit einem Bekannten so laut, dass die „Oskar“-Leute die Polizei rufen. Wieder Gewahrsamnahme, wieder Beleidigungen, erneut Widerstand, laut Anklage sogar eine Körperverletzung durch Tritte gegen einen Beamten. Im Hof der Polizeiinspektion muss N. sich übergeben.

Doch keine Körperverletzung

Vor Gericht bestätigen Polizisten das, bis auf die Körperverletzung: Ein untauglicher Versuch sei das allenfalls gewesen. Oliver N. will dem Zeugen Vorwürfe machen, Richter Käsbohrer schafft es, ihn zu bremsen: „Merken Sie nicht, wenn etwas zu Ihren Gunsten läuft?“

Ein Mensch gerät in eine Abwärtsspirale

Der Amtsrichter ist der Regisseur des großen Kinos und leitet den „Reichsbürgerprozess“ freundlich und bestimmt. Interessiert und geduldig hört er sich den Angeklagten an. Er korrigiert und erklärt, warum dessen Fehlverhalten Straftaten waren.

Der Staatsanwalt reagiert souverän auf eine Beleidigung

Der Amtsrichter hat Verbündete, die das große Kino mitgestalten. Den sehbehinderten Staatsanwalt Florian Losert, der auf die Frage N.’s „Können Sie eigentlich alle meine Briefe lesen?“, souverän reagiert und zum gefühlt hundertsten Mal sagt: „Wenn Sie mich ausreden lassen, erkläre ich es Ihnen. Natürlich lese ich alle Ihre Briefe.“ Der dritte Mitstreiter ist Rechtsanwalt Johannes Driendl, ein altes Strafverteidiger-Schlachtross. Seine lässige, manchmal schnoddrige Art ist genau richtig für den aufbrausenden Oliver N.

Käsbohrer, Losert und Driendl schaffen es, dass Oliver N. seine Erregung herunterfährt, weitere Straftaten gesteht und aus seinem Leben erzählt.

Ein Vaterschaftstest bringt das Unheil

Er war mal ein ganz normaler, rechtschaffener Mann mit Job, Wohnung, Familie. Bis er einen Vaterschaftstest machte. Wegen einer seltenen Erbkrankheit will er wissen, ob er Vater sein kann. Und bekommt vom Labor einen Brief, dass es trotz der Krankheit theoretisch möglich ist, dass er Vater seines Sohnes ist. Unter dem Laborbrief steht ein Routinehinweis: Dass bei „Beiwohnen eines nahen Familienangehörigen“ auch ein anderer Vater infrage kommen könne. Sofort hat N. seinen Bruder in Verdacht, mit dem er seit 30 Jahren Streit hat. Ärger mit der Mutter des Kindes folgt, der in einem Gerichtsbeschluss mündet. Er darf sich nicht mehr nähern, seinen Sohn nicht mehr sehen. N. ist so am Boden, dass er eine Auszeit nimmt – mit einem Flugticket nach Brasilien. Dort trifft er einen Brasilianer, mit dem er deutsche Lederhosen nach Südamerika importieren will.

Lederhosen als Geschäftsmodell

Doch N.’s Bank in Bayreuth will Barschecks für den Lederhosenkauf nicht sofort einlösen, weil die Auszahlung des Geldes – immerhin rund 80 000 Euro – erst erfolgen kann, wenn das Geld aus Brasilien in Bayreuth eingegangen ist. Der Grundstein für den Groll gegen den Banker ist gelegt.

In Brasilien geht ihm das Geld aus

Das steigert sich, als Oliver N. in Brasilien das Konto gesperrt wird. Hintergrund: Er hat ein Privat- und ein Geschäftskonto. N. hebt in Brasilien nur vom Geschäftskonto ab, überzieht um 9000 Euro. In Bayreuth bucht der Banker 9000 Euro vom Privatkonto auf das Geschäftskonto um und stellt beide auf null. In Brasilien kommt N. nicht mehr an Geld, landet im Obdachlosenasyl, verliert seine Arbeit. Er will l den Banker haftbar machen, schickt ihm eine so gut gefälschte „Aufforderung zum Strafantritt“ der Staatsanwaltschaft, dass der Banker das zunächst glaubt. In der Folge droht er dem Banker in einem Brief und per SMS. Die Ehefrau des Bankers liest den Brief und „ist geschockt“.

Die Polizei wird zum Sündenbock

„Ich bin kein Reichsbürger“, sagt Oliver N. im Prozess, doch Gerichtspsychiater Thomas Wenske bezeichnet das Denken des Angeklagten als „Reichsbürger“-typisch: da kommt einer nicht mehr zurecht mit seinen Problemen und macht sich zum Opfer des Staates, der Institutionen, die Polizei wird zum Sündenbock. Wenske stuft Oliver N. als voll schuldfähig ein: Mit dem Gedankengut der „Reichsbürger“ sei es „wie mit dem Glauben – eigentlich Wahnsinn, aber: mittlerweile eine tausendfache kollektive Grundmeinung, der er sich angeschlossen hat.“ Wenske sagt, bei Oliver N. hätten „die Nerven blank gelegen“.

Staatsanwalt Losert beantragt 15 Monate Haft, Driendl ein Jahr auf Bewährung. Der Richter unterbietet beide, gibt aber keine Bewährung. Im Knast soll N. psychologische Hilfe beantragen, sich an die Schuldnerberatung wenden. Der Richter bezeichnet sein Urteil als „Friedensangebot“. Oliver N. akzeptiert es. Endlich hat ihm mal jemand zugehört. Das Fernsehen ist zu diesem Zeitpunkt schon lange nicht mehr anwesend.

Was "Reichsbürger" wollen

 

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