Bayreuth Ein Nachttopf für den Pfarrer

Von Michael Weiser

33 Geschichten, 33 Seiten der Reformation, und alles aus der ganz lokalen, oberfränkischen Perspektive heraus beschreiben: Das findet sich im Buch "Kleine Reformationsgeschichten". Die Herausgeber, Regionalbischöfin Dorothea Greiner und Bezirksheimatpfleger Günter Dippold, haben den Band jetzt in einer Feierstunde in der Bayreuther Stadtkirche vorgestellt.

 
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Mag sein, dass die Buchauer eine Anekdote Martin Luthers missverstanden hatten. Die Erkenntnis, dass allein der Glaube zur Gnade verhelfe, sei ihm in stiller Sitzung gekommen, hatte der Reformator ebenso freimütig wie drastisch eingeräumt, genauer: "auf dieser Cloaca."

Die lutherisch gesonnenen Buchauer jedenfalls stürmten 1598 die Wohnung ihres katholischen Pfarrers, Moritz Kirchner hieß er, und ließen ihn einen Nachttopf austrinken. Dass sich dem Manne im Zuge der Tortur die evangelische Lehre erschloss, darf bezweifelt werden. Eine andere Erkenntnis stellte sich ein, die von einer elementaren Bedrohung: Kirchner flüchtete schließlich auf gut-bambergisch-katholisches Gebiet.

Die Ökumene lebt

Der Pfarrer und das Potschamperl: Es ist dies eine der Geschichten, die zeigen, wie sich die Reformation im Kirchenkreis Bayreuth abgespielt hat: nicht auf einen Schlag, nicht ohne heftiges Ringen. Und sie vollzog sich in jedem Dorf, in jeder Stadt auf ihre eigene Art und Weise; zwischen Lauenstein und Plech, zwischen Rügheim und Selb war die Reformation - ein Werk der Menschen und nicht so sehr von Verordnungen. Es seien "teilweise schon sehr kämpferische Geschichten", sagte Regionalbischöfin Dorothea Greiner bei der Vorstellung des Buches "Kleine Reformationsgeschichten" in der Stadtkirche Bayreuth; erträglich für sie aber vor allem deswegen, weil ihnen ein versöhnlicher Nachsatz folge: ein kurzer Text zum Stand der Ökumene in der betreffenden Ortschaft. "Die Ökumene lebt", sagte Greiner, auch der Papst erkenne die vier seligmachenden Faktoren an, die den Kern der evangelischen Lehre bilden.

Dorothea Greiner hat das Büchlein zusammen mit Bezirksheimatpfleger Günter Dippold herausgegeben, der als Historiker um den Wert des intensiv beobachteten Details weiß. Die Reformation sei "ohne jede Frage ein Ereignis von Weltbedeutung", sagte Dipppold. Doch sei auch sie nicht ohne die kleinen Geschichten zu verstehen. "Mit Strukturen allein erklärt man Geschichte nicht."

Ein entschiedenes Sowohl als auch

In der Tat bilden die menschlich-allzumenschlichen Geschichten aus der Zeit des konfessionellen Ringens die Reformation als von Ort zu Ort uneinheitlichen Prozess mit vielen Wendungen und Überraschungen ab. So waren ausgerechnet weite Teile des Domkapitels im altgläubigen Bamberg der neuen Lehre zugeneigt - was allerdings auch daran lag, dass dieses Gremium von aufmüpfigen Reichsrittern dominiert war.

Überhaupt liest man oft vom entschiedenen Sowohl-als-auch. Im Bayreuth wurde der reformatorisch gesonnene Prediger Georg Schmaltzing Oper im Machtspiel zwischen Bamberger Fürstbischof und ansbachisch-kulmbachischem Markgrafen. Erst landete Schmaltzing, vom Markgrafen Kasimier ausgeliefert,  in Bamberger Gewahrsam, nach Kasimirs Tod wurde er freigelassen - und musste sich erneut verantworten. Diesmal vor einer Kommission Georgs, der als der "Fromme" in die Reformationsgeschichte einging. Schmaltzing ging rehabilitiert aus der Untersuchung hervor und durfte schließlich sogar noch in Wittenberg an der Wiege der Reformation studieren, musste sich aber bis zum Ende seines Lebens über den richtigen Glauben streiten.

Beharrlicher Widerstand

In Hof  machte sich der Einfluss der evangelischen Lehre durch allerlei Krawall sogar innerhalb der Kirche bemerkbar. Vor allem junge Burschen randalierten gegen das "Affenspiel" der etablierten Kirche - ein Rowdytum, wie es Martin Luther stets geißelte, ohne damit immer Erfolg zu haben. Von jahrhundertelangem Beharrungsvermögen gegenüber der anderskonfessionellen Obrigkeit dagegen berichtet das Beispiel Michelau. 

In vielen Facetten liefert das Buch somit ein großes Bild der Reformation selber: Es dauerte, bis sie sich formierte, an Fahrt gewann, etablierte. Luther selbst wäre 1517, als er seine Thesen anschlug, erstaunt gewesen, hätte man ihm gesagt, was er da anrichtet.  

Neues von der Metzgerei Luther

Ein interressantes, ein gutes und vielseitiges, in kleinen Portionen lesbares Buch, zu dem über 50 Autoren beigetragen haben. Verleger Michael Volk berichtete, wie das Buchprojekt an ihn herangetragen worden war, nämlich als Exposé mit einer Beispielgeschichte, die ausgerechet in Neustadt bei Coburg spielte, wo der Verleger gleich neben dem Pfarrhaus aufgewachsen war. In besagter Geschichte geht es darum, wie Martin Luther auf einer Reise in Neustadt Station machte. Volk erzählte vom Alkohol, den Besucher und Entourage Luthers bei dieser Gelegenheit tranken. Und zwar eimerweise: Die Menge sorgte für ein anerkennend-überraschtes "Oho" in der Stadtkirche. Michael Volk erzählte weiter von dem Bratwurstfest, das er am Verlagsstandort München gab. "Dass aber die Metzgerei, die die Bratwürste lieferte, Metzgerei Luther heißt, muss Fügung sein."

Volk jedenfalls war damit endgültig für das Projekt gewonnen: Ein sehr glücklicher Zufall zumindest, wenn schon nicht direkt Doktor Luthers Fingerzeig.  Nachher interessierten sich viele Besucher, Katholiken wie Protestanten, für das Buch. Dorothea Greiner signierte, wie angekündigt, das Werk, eine lange Schlange bildete sich. Luther sei nach wie vor ein Thema, hatte Regierungspräsidentin Heidrun Piwernetz gesagt.

Wer wollte bei diesem Anblick daran zweifeln?