Ein Minifestival für Franz Liszt

Von Frank Piontek
30.07.2016, Bayreuth, Schloßkirche, Liszt-Tage, Christoph Krückl, Renner Ensemble Regensburg, Foto: Andreas Harbach Foto: red

Christoph Krückl ehrt den Meister aus Ungarn anlässlich des 130. Todestages. Und zeigt mit Konzerten in wechselnden Besetzungen, welch musikalischer Weltbürger dieser Wahl-Bayreuther eigentlich 

 
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Seit Jahren tourt ein finnischer Männerchor durch die Welt, den man als „Chor der schreienden Männer“ bezeichnet. Der Chor heißt „Mieskuoro Huutajat“, was wörtlich „Die Rufer“ heißt, er ist typisch finnisch, genießt eine gewisse Aufmerksamkeit und er ist keinesfalls zu verwechseln mit dem Renner Ensemble Regensburg.

Der Auftritt eines klassischen männlichen Vokalensembles kommt in Bayreuth einer Sensation gleich, zieht man einmal die Herren ab, die auf ihren zweifelhaften Werbeplakaten als gregorianische Mönche posieren und in ihren Konzerten, die vorzugsweise von Frauen besucht werden, nach einem gregorianischen Introitus auch Schnulzen aus dem 20. Jahrhundert singen. Auch in der Schlosskirche sitzen mehr Frauen als Männer; kein Problem, denn die wichtigsten Männer dieses Abends stehen ja vorn, vor der lächelnden Madonna (der man nach den „Heiligen“ eine schöne theologisch-musikalisch-dramaturgische Reverenz erweist) oder hinten, auf der Empore. Liszt, der „Heilige dieses Wochenendes“, wie Christoph Krückl sagt, hat etliche Messen komponiert; die erste, bereits 1848 geschriebene, wurde vor zwei Jahren vom Ensemble aufgenommen, nun kam die CD heraus. Und so viel kann man vorab sagen: Wer immer sich für die Kirchenmusik des Heiligen Franz interessiert, sollte sie sich zulegen.

Erschütternd gut

Wer immer erfahren wollte, dass Liszt niemals lauwarm empfand und komponierte, hatte dazu an diesem Abend die Gelegenheit. Ganz einfach, weil das Ensemble der singenden Männer unter ihrem Leiter Hans Pritschet schlichtweg vollkommen sang: Beim „Laus Deo“, „Laus Francisco“, beim Lob auch der Maria, für die man drei größere Kleinode ins Programm nahm. Die Fähigkeit zur dramaturgischen Gestaltung des Programms erweist sich bei diesem Höhepunkt der Liszt-Tage nicht zuletzt in intimen Bezügen: Verdis „Laudi alla Vergine Maria“ ist in seiner Sanftheit und gelind robusten Mystik dem Motettenstil Orlando di Lassos und Palestrinas verpflichtet, dessen „Justus ut palma“ formschön in den Raum hallt.

Verdi vertonte einen Text aus Dantes „Paradiso“, am nächsten Abend stand Liszts „Dante-Symphonie“ in der Schlosskirche auf dem Programm. Auch Bruckner orientierte sich, gut romantisch, an den alten Meistern, als er seine Motette „Inveni David“ schrieb. Und wer ist Wilhelm Dahm? Ein Unbekannter, der von 1873 bis 1947 lebte, und dessen „Sagt an, wer ist doch diese“ op. 18/2 „deutsch und echt“ klingt, wie Wagner gesagt hätte. Ein wundersam liedhaftes Stück, für das – trotz oder gerade wegen des Gleichtakts – die Bezeichnung „innig“ erfunden wurde. Peter Cornelius’ drei Trauergesänge aus op. 9 haben eine andere Statur: eine nervösere Wort- und Bildausdeutung, die sich die Form der Motette dienstbar macht.

Im Grunde ist es egal, was das Renner-Ensemble singt. Wenn sie am Ende Liszts c-Moll-Messe zelebrieren, paart sich der schöne Klang, der in Wellenbewegungen, charakterisierenden Akzenten und reinen Akkorden sich entwickelt, mit der Sinnhaftigkeit der Musik an sich. Krückl steuert ein paar Trouvaillen bei: Friedrich Kloses C-Dur-Präludium, das 1907 zwischen Konservatismus und Moderne vermittelte, Liszts Trauerode und dessen „Schlager“, die 4. Consolation. Einer der jüngeren Sänger sieht aus wie der junge Reger; an diesem Abend singen sie keinen Reger, aber was und wie sie singen, ist erschütternd gut. Pianissimo, Forte, alles ist stimmsicher da. Und die Männer müssen weder Finnen noch laut sein, um auf sich aufmerksam zu machen.

Klavierkonzerte in der Kirche

Klaviermusik in der Kirche? Doch doch, das geht – vorausgesetzt, sie wird von Musikern gespielt, die ihr Handwerk verstehen. Zum anderen vorausgesetzt, dass sie der vielfältigen Gattung „Geistliche Musik“ angehört. Liszt hat mit seinen Symphonischen Dichtungen und Oratorien derart die Grenzen zwischen Kirche und Konzertsaal gesprengt, dass die Aufführung einer „Dante-Symphonie“ in einem Gotteshaus nicht weniger Sinn macht als in einer Stadthalle.

So also endete der zweitägige und vierteilige Liszt-Marathon, den Regionalkantor Christoph Krückl zu Liszts 130. Todestag in der Schlosskirche arrangierte: tief beeindruckend, zudem mit politischer Symbolik aufgeladen. Das Konzert des ungarischen Klavierduos Edit Klukon und Dezsö Raki kam in Zusammenarbeit mit dem ungarischen Ministerium für Kultur (und dem anwesenden Zoltán Balog, dem Minister für „Humanressourcen“, interessanterweise einem ausgebildeten calvinistischen Seelsorger) zustande, und Pfarrer Steger lobte Liszt als völkerverbindenden Europäer, der „die Sprache des Christentums sprach“ und an das Gute glaubte, „das von oben kommt“. Von unten klang die Musik in die Höhe der Emporen: zwei Ausnahme-Werke, die die kongenialen Pianisten dialektisch aufeinander bezogen: zuerst das Fest, die Aussicht aufs Paradies, dann der Leidensweg, die Passion, der Tod Jesu.

Man hätte die Stücke auch in umgekehrter Reihenfolge spielen können, aber es war doch magisch, mit welch Spannung die letzten kargen Töne des Kreuzwegzyklus „Via crucis“ in die Schlosskirche drangen. Liszt schrieb mit diesem Stück eine Zukunftsmusik, die vom Verleger nicht angenommen und erst 43 Jahre nach dem Tod des Komponisten uraufgeführt wurde: eine Konzentrationsmusik, die das geistig wie geistlich anspruchsvolle Programm krönte.

Eine strenge Musik, viel strenger als der "Parsifal"

Zwei Klaviere können kein Orchester ersetzen, aber die Klanggestaltung, mit der das Pianistenpaar sich Liszts Klavierfassung der Dante-Symphonie widmet, ist vorbildlich: von den Hammerschlägen der Hölle zu den Nebelgebilden des Magnificat, dem der Chorgesang imaginär eingeschrieben ist. Hier die flirrende Liebesepisode von Francisca da Rimini („Sieh jene Kraniche in großem Bogen...“, wie Brecht so schön schrieb), dort die Akkordmassen des Inferno. Hier die einsamen Stimmen im Fegefeuer, dort die Klangwölkchen des Paradieses, die in einen bekennerhaften Fortissimo-Schluss münden. Die Neun-Uhr-Glocken der Schlosskirche besiegeln das musikalische Triptychon von oben.

Die Schlosskirche ist, so betrachtet, ein idealer Raum für Liszts Werke: auch aus akustischen Gründen. Wunderbar, wie schließlich die Andachtsmusik der „Via crucis“ die Zuhörer bannt. Dabei ist das eine strenge Musik, so streng, dass dagegen der weihevolle „Parsifal“ die Lockerheit einer französischen Operette besitzt.

Spannender hätte der Abschluss der Liszt-Feiertage nicht sein können.