Und plötzlich gehen die Lichter aus - ein Szenario Ein Krisenszenario: Bayreuth ohne Strom

Von Thorsten Gütling
Was passiert in Bayreuth, wenn über mehrere Tage der Strom ausfällt? Im Münsterland und in Slowenien ist das schon passiert. Archivfoto: Andreas Harbach Foto: red

Erst gehen die Lichter aus, und Menschen bleiben in Fahrstühlen stecken. Später läuft ungeklärtes Wasser in den Main, in den Häusern versagt die Toilettenspülung. Nach einigen Tagen verderben die Lebensmittel, Panik macht sich breit. Was passiert, wenn in Bayreuth über Tage der Strom ausfällt, wie vor elf Jahren im Münsterland? Und wie wahrscheinlich ist das?

 
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Guido Müller ist unterwegs. Bei den Stadtwerken ist er der Chef der Abteilung, die ausrücken muss, wenn es Probleme mit dem Stromnetz gibt. Normalerweise fahren seine Mitarbeiter raus, legen irgendwo einen Schalter um und kommen verrichteter Dinge zurück. Diesmal ist das anders. Alle drei Stellen, an denen das Bayernwerk den Strom nach Bayreuth einspeist, sind tot. Den Ausfall einer Stelle hätten die Stadtwerke noch verkraftet. Zwei Ausfälle sind ein Problem. Damit alle drei ausfallen, muss ganz Bayern dunkel sein, weiß Müller. Mindestens.

Er ruft Günter Geist an, den technischen Leiter der Stadtwerke. Nicht übers Handy, das hätte zwar noch Saft, die Sendemasten aber wahrscheinlich nicht mehr. Gut, dass es den guten alten Betriebsfunk noch gibt. Müller und Geist wissen: Die Zeit läuft. Über Notstromaggregate können die Stadtwerke die Bürger noch drei bis fünf Tage mit Gas, Wasser und Fernwärme versorgen, dann geht der Diesel in den Aggregaten zur Neige. Kurze Zeit später zieht ein Mitarbeiter der Netzleitstelle um. In eine zweite Leitstelle, genauso ausgestattet, wie die erste, aber unabhängig von der Stromversorgung. Ein Raum, ein Server, der für genau solche Notfälle eingerichtet worden ist. Wo er sich befindet, ist Geheimsache.

Operieren im Klinikum

Im Klinikum haben große Batterien unterdessen dafür gesorgt, dass im Operationssaal die Maschinen nicht ins Stottern geraten. Sie setzen so ein, dass die Geräte höchstens eine Millisekunde ohne Strom sind. Zu kurz um sie auszuschalten. Danach werden die Notstromaggregate angeworfen und der Krisenstab tritt zusammen. Notfallpläne werden entworfen. Welche Bereiche könnten zugunsten der lebenserhaltenden Stationen zuerst auf Strom verzichten?

Am Klinikum und an der Klinik Hohe Warte liegen die Hoffnungen auf zwei großen Tanks. 60 000 Liter Diesel stehen an beiden Standorten bereit, um die Notstromaggregate zu füllen. Damit kann das Klinikum etwa vier Tage über die Runden kommen, die Hohe Warte sechs. Alle hoffen: Lasst es nicht soweit kommen, dass wir die Besucher aussperren müssen. Lasst es nicht soweit kommen, dass wir einen Sicherheitsdienst anfordern müssen.

Gefährliche Röntgenstrahlung

Die Angehörigen machen sich trotzdem Sorgen. Benötigt man zum Röntgen nicht Strahlung? Hat das Klinikum das radioaktive Material im Griff? Als sie von den Gerüchten erfährt, gibt Pressesprecherin Christiane Fräbel eine Erklärung heraus. Das Klinikum ist kein Atomkraftwerk, ist darauf zu lesen. Radioaktive Elemente wie Cäsium seien in Castorbehältern verschlossen. Die halten auch ohne Strom dicht. Und die Strahlung, die zum Röntgen und zur Krebstherapie erzeugt wird, fällt bei Stromausfall einfach aus.

Auf dem Parkplatz vor dem Klinikum bleiben die Angehörigen auffallend lange in ihren Autos sitzen. Sie hören Radio. Das Autoradio ist das Informationsmedium, das dank Autobatterie noch nach Tagen läuft. Im Radio heißt es, dass die Geldautomaten der Sparkasse nicht mehr funktionieren. Ein Sprecher ruft zur Besonnenheit auf. Wer Geld brauche, solle sich an die Schalter wenden. Die Tresore bekomme man mittels Notstrom noch auf.

Unruhe im Knast

In St. Georgen schleicht Matthias Konopka unterdessen um den Heizöltank. Solange Küche und Heizung funktionieren, bleibt es ruhig, hofft der Leiter der Justizvollzugsanstalt. Seit einigen Tagen waren die Gefangenen jetzt nicht mehr in den Werkstätten der JVA tätig. Auch auf den Zellen ist die Benutzung elektrischer Geräte mittlerweile verboten. Es gilt, Strom zu sparen. Unter den Häftlingen macht sich Langeweile breit. Noch dazu, wo seit dem zweiten Tag des Stromausfalls kein Besucher mehr ins Gefängnis gelassen wird. Die Bediensteten müssen sich auf die Versorgung und Sicherheit konzentrieren, hat Konopka verkünden lassen. Und er hat Kontakt zu anderen Gefängnissen aufgenommen. Er sucht nach freien Zellen für Häftlinge, die beginnen Unruhe zu stiften. Immerhin: Die Zellentüren lassen sich noch öffnen und schließen. Das wird heute noch per Hand gemacht.

Sechs Tage lang kommt die JVA ohne Strom aus. Danach ist das Heizöl für die Aggregate aufgebraucht und damit können auch die Funkgeräte nicht mehr geladen werden, mit denen die Gefängniswärter Hilfe rufen können. Sicherheitsdienste, ist sich Konopka sicher, wird er aber auch dann nicht ordern. Dann sind Spezialisten aus anderen Haftanstalten gefragt, das Chaos zu verhindern.

Tanklastzüge werden beschlagnahmt

Beim Amt für Katastrophenschutz macht man sich derweil Gedanken, wo der Dieselnachschub herkommen soll. Wenig später fahren Einsatzfahrzeuge von Katastrophenschutz und THW an Bayreuther Tankstellen vor. An Bord: Notstromaggregate. Denn Diesel ist noch genügend in den Tanks der Tankstellen, nur raus bekommt ihn mit den lahmgelegten Pumpen keiner mehr. Gesetzlich vorgeschrieben sind Notstromaggregate nur für wenige Einrichtungen. Tankstellen und Altenheime gehören nicht dazu. Auch Feuerwehrgerätehäuser nur, wenn sie neu gebaut werden.

Im Radio heißt es: Kurz nachdem Oberbürgermeisterin Brigitte Merk-Erbe den Katastrophenfall ausgerufen hat, habe der Katastrophenschutz den ersten Tanklaster beschlagnahmt. Das Gesetz erlaube das. Der Fahrer habe einen Haufen Geld gefordert, sei aber auf die Zeit nach der Katastrophe vertröstet worden.

Giftige Spinnen büxen aus

An der Uni Bayreuth machen Gerüchte die Runde, wonach Tausendfüßler und giftige Spinnen ausgebüxt sind. Man erzählt sich von Bakterien, die in der Mikrobiologie gezüchtet wurden und jetzt durch die Filter der Labore entwichen seien. Und was ist mit dem Methangas, das am Lehrstuhl für Bioprozesstechnik zum Einsatz kommt? Reinhardt Schatke, Techniker an der Uni, kommen die Gerüchte zu Ohren. Jetzt ist Aufklärung gefragt. Die Schließmechanismen der Terrarien funktionieren mechanisch, gibt er Entwarnung. Die Filter auch.

1000 Helfer sind im Einsatz

Währenddessen baut Michael Schreier den ersten Leuchtturm auf. Mindestens ein Gebäude soll für die da sein, die einen Arzt brauchen oder eine warme Suppe. Die Wahl des stellvertretenden Leiters des Amtes für Katastrophenschutz fällt auf die Ständige Wache der Feuerwehr. Der zweite Leuchtturm: die Oberfrankenhalle. Das Problem: Nicht an jeder Halle lassen sich die Notstromaggregate so anklemmen, dass wieder Strom aus den Steckdosen kommt. Und die Aggregate, die Schreier und seine Leute vorhalten, reichen bei weitem nicht aus, um mehrere Leuchttürme zu bilden. Das Technische Hilfswerk wird angefordert. Damit sind 1000 Helfer im Einsatz.

Die Feuerwehr erklärt den Bürgern über Lautsprecher: „Stellen Sie sich ans Fenster, wenn Sie Hilfe brauchen.“ Psychologen sind in der Stadt unterwegs um zu helfen, wenn irgendwo Panik ausbricht. Schreier weiß: „Nach dem Diesel ist Schicht im Schacht.“

Der blanke Horror für Experten

Und deswegen wäre selbst für den, der schon viele Unfälle gesehen hat, ein solcher Stromausfall der blanke Horror: „Jede andere Katastrophe kann man abarbeiten, aber diese wird immer schlimmer.“

 

Aber: Wie realistisch ist dieses Szenario?

Michael Schreier (Katastrophenschutz): "Es ist zumindest nicht ganz unwahrscheinlich."

Guido Müller (Stadtwerke Bayreuth): "Es muss schon viel zusammenkommen, Kraftwerke und die großen Netze müssen ausfallen. Noch dazu, wo alle auf ein solches Szenario vorbereitet und alle Profis sind."

Maximilian Zängel (Bayernwerk): "Ein großflächiger Stromausfall setzt voraus, dass die Stromversorgung auf Ebene der Höchstspannung, allenvoran in Unterfranken, unterbrochen wird. Andernfalls können wir jede Störung dadurch auffangen, dass wir den Stromfluss umleiten."

Ulrike Hörchens (Tennet): "Ein großflächiger Stromausfall ist unwahrscheinlich, aber nicht gänzlich auszuschließen. Dazu müsste es eine Verkettung vieler unglücklicher Umstände geben. Denn das Stromnetz ist europaweit eng vernetzt. Was an einer Stelle im Netz passiert, kann Auswirkungen auf andere Stellen haben. Andererseits stellt gerade diese Engmaschigkeit eine Sicherheit dar."

 

Große Stromausfälle in Europa

Münsterland 2005

Ursache: Strommasten brechen unter der Schneelast zusammen

Dauer: Vier Tage

Ohne Strom: 250 000 Menschen

 

Europa 2006

Ursache: Die unsachgemäße Abschaltung zweier Hochspannungsleitungen über der Ems, um ein großes Schiff passieren zu lassen

Dauer: Zwei Stunden

Ohne Strom: Teile von Deutschland, Frankreich, Belgien, Italien, Österreich, Spanien und Marokko

 

Slowenien 2014

Ursache: Schneesturm lässt Strommasten einknicken

Dauer: etwa zwei Wochen

Ohne Strom: etwa 200.000 Menschen

 

Holland 2015

Ursache: technischer Defekt in einer Hochspannungsstation

Dauer: zwei Stunden

Ohne Strom: eine Million Haushalte

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