In diesem Laden gibt es fast alles

Von Marcel Staudt
Ingrid Wache gibt nach 30 Jahren ihren Laden in Auerbach auf. Foto: Marcel Staudt Foto: red

Im Mai wird Ingrid Wache ihren Laden in der Oberen Vorstadt schließen. 30 Jahre lang hatte sie hier ihren Haushalts- und Eisenwarenladen, ihr „Gruschgeschäft“, wie sie selbst sagt. Wo sollen die Auerbacher in Zukunft fast alles herbekommen?

 
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Wie sie sich wegen ihrer Geschäftsaufgabe fühlt, kann Ingrid Wache noch nicht sagen, sie hat noch nicht darüber nachgedacht. Zehn Stunden verbringt sie täglich im Laden, abends sitzt sie noch für zwei Stunden am Computer. „Es kommt ja kaum mehr ein Vertreter vorbei“, sagt sie. Also muss sie selbst online gehen, obwohl das gar nicht mehr die Welt der 64-Jährigen ist. „Da bleibt wenig Zeit für Freizeit“, rechnet sie zusammen. Also auch wenig Zeit, um zu reflektieren. Im Mai, wenn Ingrid Wache zum letzten Mal ihren Laden abschließt, wird sie sich auch ihrer Geschäftsaufgabe gedanklich widmen. „Ein bisschen Wehmut wird dann schon mit dabei sein“, schätzt sie. Anfänglich passte der Name noch zum Sortiment: Wache eröffnete 1988 mit einem kleinen Sortiment an Eisenwaren. Ihre Ausbildung zur Einzelhandelskauffrau hatte sie bei der damaligen Firma Ficker – heute Faber – an der Bahnhofstraße gemacht und wagte den Schritt in die Selbstständigkeit, als ihre beiden Kinder alt genug für die Schule waren. Aus der Gemischtwarenhandlung der „Fickerer Kathl“ übernahm sie die Restbestände. Doch dabei blieb es nicht lange. Sie erweitere um Bastelware – und hob sich damit vom Geschäft aus der Bahnhofstraße ab. „Das hatten die gar nicht, vielleicht lag es daran, dass der Chef dort ein Mann war und hier eine Frau. Bastelware anzubieten war der beste Einfall, den ich in meinem Leben hatte“, sagt Wache.

Wache hat fast alles

Dabei blieb es aber nicht, das weiß jeder, der wenigstens mal im Vorbeigehen einen Blick durchs Fenster geworfen hat. Der Laden mit 120 Quadratmetern Fläche ist bis unter die Decke vollgestapelt. Von Arbeitshandschuhen über Backbleche, Einmachgläser, Feuerzeuge, Grablaternen, Gießkannen, Herbstgestecke, Spielzeug bis zur Zuckerdose hat Wache viel anzubieten. Und natürlich, auch als Einzelstücke gefragt, zigtausende Schrauben. „Manche sagen, bei mir gibt es alles, aber das stimmt nicht. Mit diesem Spruch habe ich dann eine Anzeige geschaltet: Wache hat fast alles.“ Und wie zum Beweis betritt eine Kundin den Laden, die etwas möchte, was Wache nicht hat: Eine weiß emaillierte Kehrschaufel. Aber kein Problem, Wache wird sie bestellen. „Das ist eben so mit Senioren“, sagt Wache, nachdem sich die Kundin verabschiedet hat, „die wollen Sachen, die es eigentlich nicht mehr gibt.“

Rührende Lobeshymnen

Mit dem letzten Halbsatz könnte Wache auch ihren Laden meinen: So etwas gibt es eigentlich nicht mehr, oder kaum noch. Dementsprechend in Sorge sind die Stammkunden. „Hier bekommst du wenigstens noch eine einzige Schraube“, sagt ein Mann, der alle sechs Wochen bei Wache einkauft. Weiter kommt er mit seinen Ausführungen nicht, weil zwei andere Stammgäste aus den schmalen Gängen zum Tresen eilen, als sie mitbekommen, dass sich das Gespräch um die Geschäftsleitung dreht. „Es ist traurig“, sagt beispielsweise Anneliese Beßenreither, „es ist nicht nur das Angebot, sondern auch die Art von Frau Wache. So eine Beratung bekommst du nicht mehr.“ Terry Barnes erfuhr erst vor drei Monaten von Waches Laden. Seitdem kommt er fast an jedem zweiten Tag. Aktuell baut er an einem Außengehege für Katzen und braucht hierfür Maschendraht. Natürlich wird er bei Wache fündig. „Es tut mir im Herzen weh, dass der Laden schließt. Jeder kann verkaufen, aber keiner so wie sie.“ Ingrid Wache schießen Tränen in die Augen. „Wenn ich heute Abend heimgehe, bin ich um einen Meter gewachsen.“ Die Lobeshymnen ihrer Stammkunden rühren sie zutiefst. Doch als die Besucher das Geschäft verlassen haben, hat Wache sich wieder gefangen. „Es geht nicht um mich. Es geht um das, was hier im Laden ist.“ Noch ist nicht die Zeit für Wehmut.

Keine Pläne für Ruhestand

Für den Ruhestand hat Wache keine großen Pläne. „Ich kaufe mir einen Schaukelstuhl und setze mich hinein“, sagt sie und meint es nur halb im Scherz. Gerade die Ruhepausen kamen in den vergangenen 30 Jahren eindeutig zu kurz. Das haben auch die zwei Mitarbeiterinnen bemerkt. Eine davon ist Waches Schwiegertochter. Als die Schwiegermama vor ein paar Jahren für mehrere Monate krankheitsbedingt ausfiel, übernahm Simone Wache in dieser Zeit die Verantwortung. „Da hat sie gemerkt, was nebenher privat übrig bleibt: fast nichts.“ Also gibt es keinen Nachfolger. Könnte überhaupt jemand in der heutigen Zeit mit einem Gruschgeschäft á la Wache überleben? „Es ist ein Kampf“, sagt sie selbst, „aber wenn man sich auf die Kunden einstellt, kann man es noch schaffen.“ Stammkundin Anneliese Beßenreither legt die Messlatte jedenfalls hoch: „Wer auch immer hier einen Laden betreiben wird – wir werden ihn immer mit Frau Wache vergleichen.“ Vielleicht braucht es einfach einen Interessenten, der den besten Einfall seines Lebens hat. So wie Ingrid Wache damals mit den Bastelwaren.