Vorteile auch fürs RW21
Keine Konkurrenz oder gar Kannibalisierung kann Claudia Dostler von der Bayreuther Stadtbibliothek in der Digitalisierung entdecken. „Das ergänzt sich“, sagt sie. Im RW21 gibt es W-Lan und alle möglichen elektronischen Medien. Über Franken onleihe kann man – unter anderem – E-Books auf sein Lesegerät laden. „Ich kenne auch Leute, die lesen parallel: Zu Hause im Buch, auf Reisen gerne im E-Book-Reader. Schon aus dem Grund der Gewichtsersparnis – ein Argument bei Flugreisen.“
Bibliotheken gehen mit der digitalen Revolution. Sie sind zu Treffpunkten geworden, der öffentliche Raum schlechthin einer Stadt. Eine Bibliothek wie das RW 21 liefert nicht nur Wissen und Literatur, sondern bietet Theater, Performances, Konzerten eine Bühne. Auch Ausstellungen gibt es im RW 21. Und man kann sein Mittagessen und seinen Kaffee dort einnehmen. Im Sommer bevorzugt auf der Dachterrasse. In seinem Café beschäftigt das RW21 Behinderte – auch so sieht Teilhabe aus. „Wir sind ein Knotenpunkt in Bayreuth geworden“, sagt Dostler.
Häuser wie die Bayerische Staatsbibliothek mit ihren Millionen und Abermillionen Büchern arbeiten mit Google zusammen, um urheberrechtsfreie Bücher digitalisieren zu lassen. Wer beispielsweise Max Stirner, den Bayreuther Propheten der Anarchie, lesen möchte, kann dies bequem am Bildschirm tun. Ganz zu schweigen von den Katalogen, die das Datenwissen vieler Universitäts- und Stadtbibliotheken erschließen. Viele alte Bücher und sogar mittelalterliche Urkunden würden ohne Digitalisierung komatös in Magazinen vor sich hindämmern. Und die Orientierung ist selbstverständlich einfacher als in Borges’ Bibliothek. Sie machen Kultur und Geschichte allgemein zugänglich. So auch die Staatsbibliothek – mit einer virtuellen Ausstellung.
Allerdings gibt es Haken. Wie man bei Amazons Tipps sehen kann: „Wer dieses Buch gelesen hat, dem gefällt auch...“ „So gerät man in eine Bubble“, sagt Michael Zöllner, Professor für Mediendesign an der Hochschule in Münchberg. Heißt: Gefangen in seiner Wohlfühlblase, bekommt man nur vorgelegt, was einem nach Amazons Meinung gefällt und frommt. Wer gute Überraschungen schätzt, dem sei also zum Buchhändler des Vertrauens geraten. Nur dort kann man finden, wonach man nicht gesucht hat. Also das wahre Leben in seiner schönen Form.
Diktatoren können sich die Hände reiben
Konzerne wie Google wollen Geld verdienen. „Die Ware, mit der sie das tun, sind Daten. Daten der Nutzer“, sagt Zöllner. Sehr einfach geht das über Lesegeräte wie den Kindle von Amazon, die dem Konzern nicht nur mitteilen, was ein Leser liest, sondern auch, was er sich in seinem Gerät markiert, wo er steckenbleibt, ja, ob er das Buch überhaupt zu Ende liest. Wer will Amazon trauen? Wer die Kindle-App auf seinem Smartphone nutzt, rückt noch mehr Daten heraus. Zum Beispiel, wo er liest. Und wann. Ergänzt mit vielen anderen digitalen Spuren, die nahezu jeder Mensch hinterlässt, ergibt sich ein komplexes, genaues Bild eines Nutzers, seines Gewohnheiten, Vorlieben und Schwächen, der Menschen, mit denen er Kontakt pflegt, der Orte auch, an denen er sich bevorzugt aufhält. Zöllner sieht darin eine große Gefahr: „Hätten die Nazis diese Mittel gehabt, praktisch kein Mensch hätte eine Chance gehabt, ihrem Regime zu entkommen.“
Eine unglaubliche Menge von Daten über harmlose Leser kommt zusammen, man kann eigentlich nur hoffen – und die Hoffnung ist schwach – , dass es in dieser dann wahrhaft unendlichen Bibliothek so zugeht wie in der von Borges. Bei ihm wandern die Inquisitoren durch die endlosen Gänge, halten jahrzehntelang Ausschau, können sich vor lauter Überforderung keinen Reim auf nichts mehr machen. Und irgendwann sterben sie, und die Körper stürzen durch die unendlichen Schächte. Bis sie sich im Fallwind auflösen.