"Die Spanier sind immer früher da“

Von Marcel Staudt
Zwei Störche in einem Überschwemmungsgebiet bei Neuhaus an der Pegnitz. Die Bürger müsen nun bis zum nächsten Jahr warten, bis die gefiederten Gäste wiederkommen.⋌⋌Foto: Manfred Döhring Foto: red

Sie sind weg. Manfred Döhring wird trotzdem mehrmals täglich auf seinen Balkon gehen, ganz links ins Eck. Von dort, hoch oben an der Bergstraße, wird er den Blick rüber zum Kamin auf dem Gelände der alten Brauerei schweifen lassen – und noch ein Stück weiter, 150 Meter Luftlinie sind es etwa, zum Dach des Oberamtsmanngebäudes der Burg Veldenstein. Aber: Die Störche sind bereits in Richtung Süden aufgebrochen. Eigentlich gibt es nichts mehr zu sehen. Wie das halt mit Ritualen so ist: „Es wird eine Weile dauern, bis ich das abgelegt habe“, sagt Manfred Döhring.

 
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Von April bis zum letzten Samstag , stand er mindestens zweimal täglich hier. Manchmal beobachtete er für Stunden, beobachtete mit einem Feldstecher die Tiere. Und dann drückte er mit seiner Kamera ab. „Es gibt eigentlich immer etwas zu sehen“, findet der 68-Jährige. So denkt Döhring seit 2011, also seitdem er Rentner ist. Zum 63. Geburtstag bekam der Naturfotograf- und -filmer eine neue Ausrüstung geschenkt. Ebenfalls im Frühjahr machte es sich ein Weißstorch drüben auf dem stillgelegten Kamin gemütlich.

Hölzernes Wagenrad

Als der Schlot noch rauchte, brauchte man ein Geländer, das dem Schornsteinfeger Halt gab. Nun hielt sich auch Herbert, wie Döhring das Tier später benannte, daran fest. Josef Laus, Geschäftsführer der Kaiser Bräu, erinnert sich: „Das war zu gefährlich für den Storch. Deshalb haben wir ihm aus einem hölzernen Wagenrad ein Nest gebaut.“ Da sich Störche selbst versorgen, brauchte es nur noch jemanden, der Fotos von Herbert macht und Meldungen an den Landesbund für Vogelschutz schreibt.

415 Paare brütender Weißstörche

Döhring: „Der alte Brauereimeister Hans Laus hat gesagt: Du hast Zeit, du kannst das machen.“ Also wurde Döhring einer von mittlerweile über 300 Storchenbetreuern des Landesbundes für Vogelschutz (LBV). Weil sie sich beim Verband auf ihre ehrenamtlichen Helfer verlassen können, wissen sie, dass es 2016 bayernweit 415 Paare brütender Weißstörche gab. „Ohne unsere Storchenbetreuer würden wir diese Zahl gar nicht ermitteln können“, sagt LBV-Pressesprecher Markus Erlwein. „Bestand, Besiedlungen, Wiederbesiedlungen – die Betreuer melden uns verlässlich jede Veränderung.“

Auch Döhring steht mit den Hauptamtlichen im mittelfränkischen Hilpoltstein regelmäßig in Kontakt. Jährlich gibt er bis zu zehn Meldungen ab. Gleich in Döhrings erster Storchen-Saison gab es Erfreuliches zu berichten: Ein Weibchen – Anni, wie Döhring es nannte – gesellte sich zu Herbert auf den Kamin. Es gab Nachwuchs, nun lebten zusätzlich vier Jungstörche auf dem Kamin.

Aus dem Nest geworfen

Nun war einer zu viel. „Die Eltern konnten wohl nicht alle versorgen und haben eines ihrer Kinder aus dem Nest geworfen“, erzählt Döhring. Er ist froh, dass er sich das nicht mit ansehen musste. Beobachter war stattdessen sein erwachsener Sohn, er informierte den Vater per Handy. Aber selbst wenn Döhring selbst auf dem Balkon gestanden wäre: „Ich hätte nichts tun können. Es ist grausam, doch so ist die Natur eben.“

Döhring weiß, dass er sich auch dann raushalten muss, wenn es grausam wird. Die Störche müssen für sich selbst sorgen. Wie sie das tun, das weiß Döhring. „Als Storchenexperte würde ich mich nicht bezeichnen, aber ich kenne mich ganz gut aus.“ Dabei wahrt er immer Abstand, obwohl es ihn schon reizen würde, auf den Kamin zu klettern und sich wenigstens das Nest anzuschauen, wenn die Störche ausgeflogen sind.

Sitzgurt notwendig

„Aber da müsste man schon mit einem Sitzgurt hoch“, sagt Döhring. Und er sei schließlich kein Bergsteiger. Wenn der ehemalige technische Angestellte im Elektrobereich über das Leben dieser Tiere spricht, schwingt immer ein bisschen Begeisterung mit. Einige Tausend Bilder von Störchen hat er auf seinem Computer. Ein paar davon zierten schon die Titelseiten vom Sportmagazin des SV Neuhaus-Rothenbruck und der Bierzeitung der Kaiser Bräu. „Gelegenheit für schöne Motive gibt es oft“, sagt Döhring. In Neuhaus und Umgebung weiß man, dass er für diese Aufnahmen die richtige Adresse ist. In dieser Saison hatte er aber keine Nachwuchsbilder zu bieten. Obwohl es, anders als im Jahr zuvor, wieder zwei Störche gab, paarten sie sich nicht. Stattdessen trennten sie wie eingangs erwähnt gut 150 Meter Luftlinie. „Tagsüber wurden sie gesehen, wie sie gemeinsam herumgeflogen sind. Aber hier haben sie immer Abstand voneinander gehalten“, sagt Döhring.

Er gab auch diese Informationen an den LBV weiter. Doch auch Storch-Expertin Oda Wieding konnte nur schätzen: „Vielleicht ist einer der beiden noch zu jung für eine Brut. Oder sie haben das gleiche Geschlecht.“ Die Weißstörche sind nämlich nicht beringt. Seit 2011 verbringt mindestens ein Storch die Zeit von Mai bis August in Neuhaus. Manchmal sind es auch zwei, manchmal kommen sie ein bisschen früher oder brechen später wieder auf. Ob es aber immer die selben Störche sind, weiß der LBV also nicht.

Döhring hofft, dass der Landesbund die Beringung im kommenden Jahr vornimmt. Er selbst wird natürlich wieder mindestens zweimal täglich auf seinem Balkon stehen, ganz links im Eck. „Ich warte schon jetzt“, sagt er, „vielleicht fliegt ja ein Storch zu uns, der den Winter in Spanien verbracht hat. Die Spanier sind immer früher da.“