Wandergruppe mit fünf Blinden ist in Bischofsgrün zu Gast und begeistert von der Hilfsbereitschaft Die Natur genießen auch ohne zu sehen

Von Harald Judas

Eine fröhliche Wandergruppe ist unterwegs, die sich in zwei Details von anderen unterscheidet. Fast alle haben sie einen weißen Langstock an der Hand und einen Hund im Führgeschirr dabei. Die Wandergruppe besteht aus Blinden, die sich auf den ersten Blick wie selbstverständlich in der Natur bewegen.

 
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Die Führung der Gruppe hat der Bischofsgrüner Horst Zinnert (43) übernommen, der selbst blind und in Bischofsgrün als Physiotherapeut tätig ist. „Horst kennt die Gegend wie seine Westentasche“, weiß Maria Dieser (66), die einzige Sehende in der fünfköpfigen Wandergruppe. Die Gruppe lädt sich abwechselnd zu Touren in verschiedenen Mittelgebirgen ein. Wenn es ins Fichtelgebirge geht, übernimmt immer Zinnert die Führungen. Er verlor seine Sehkraft als Jugendlicher, kennt die Wege noch aus eigener Anschauung und ist so regelmäßig unterwegs, dass er wirklich jeden Stein und Graben kennt.“

So setzt man sich immer am Vorabend zusammen: „Wir machen einen groben Plan“, erklärt Bernd Dieser (73). Die fünf kennen sich, weil ihre drei Vierbeiner aus der gleichen Führschule stammen. „Dandy und Cowboy“, haben sogar den gleichen Vater“, erklärt Brigitte Münzel (67). Deutlich jünger ist der dritte Hund: „Wir haben Greg erst einige Monate.“ Was sich später im Gelände auch zeigt. Denn der Labrador ist noch verspielt, interessiert sich zwischendurch immer mal wieder auch für andere Dinge. Die Zusammenarbeit mit dem Besitzer muss mit klaren Befehlen klappen. Doch es kann dauern, bis sich ein eingespieltes Team entwickelt. „Der Hund ist auch nur ein Tier“, zeigt sich Maria Dieser verständnisvoll. „So ein Hund bedeutet tägliche Arbeit“, ergänzt Bernd Dieser. Es ist Lohn für den Aufwand, dass das Zusammenspiel immer weiter optimiert wird, der Hund sein Herrchen oder Frauchen an Hindernissen vorbei führt, das Weiterführen verweigert, wenn bei der Querung ein Fahrzeug naht oder sich vor einem Abgrund quer stellt.

Am Hotel garni Siebenstern, dem Quartier der Blinden, werden die Hunde angeschirrt. Dann geht es zunächst durch den Ort. Schwierig ist für die Gruppe die Fußgängerzone. Es hat frisch geschneit, Unterschiede im Pflaster sind kaum zu erkennen, Rinnsteine, die als Anhaltspunkt dienen könnten, gibt es nicht. Angenehmer ist es für die Gruppe, wenn Autofahrer Rücksicht nehmen. „Weiße Stöcke sind ein international anerkanntes Verkehrszeichen, das in anderen Ländern deutlich bekannter ist als in Deutschland, weiß Brigitte Münzel. Ein weiteres Problem kann sein, wenn Verkehrsschilder nicht hoch genug hängen. Man könnte sich daran verletzen.

„Bleibt stehen, lasst den Laster vorbei“, greift zwischendurch die sehende Maria Dieser ein. Horst Zinnert hat Wege mit möglichst geringem Verkehrsaufkommen ausgesucht. Es geht jetzt in Richtung Hügelfelsen und am Waldrand entlang zur Sprungschanze und unter der Sesselbahn und der Skipiste hindurch weiter in Richtung Karches.

Dabei wird deutlich, dass die Anforderungen an Wanderwege für Blinde ganz anders sein können als für Sehende. Ein interessantes Klangbild ist für Blinde besonders attraktiv, während der sehende Wanderer die Ruhe bevorzugt. „Wasserläufe und Täler sind gut“, erklärt Horst Zinnert. „Straßen wie die B 303 dienen zur Orientierung“, ergänzt Waltraud Zinnert (43). Auf dem Teil des Weges ist besonders der Anfang interessant. Denn das Geschehen auf der Skipiste ist lange in Hörweite. „Wenn’s jemanden ordentlich reinwickelt, hört man das raus, auch Snowboarder und Skifahrer klingen anders“, erklärt Zinnert schmunzelnd.

Auch sonst können mitunter Blinde ihr Gehör nutzen, um Abstände akustisch abzuschätzen. „Bernd pfeift und weiß durch das Echo, wie weit ein Hof weg ist“, erklärt Maria Dieser. Aber auch Gerüche sind eine Orientierungshilfe. Dazu gehört auch der in Karches gehaltene Esel. Angenehm empfinden die Sehbehinderten des Geruch des Fichtelseemoores.

Das Quintett zieht bei der Schlusseinkehr im Gasthof Siebenstern ein positives Fazit der Tour: „Es ist schön im Schnee zu laufen, auch weil die Hunde sauber bleiben“. Und durch Schnee gedämpfte Geräusche seien eine willkommene Abwechslung.

In Bischofsgrün, das sich seit einigen Jahren einen Ruf als blindenfreundlicher Urlaubsort erarbeitet hat, ist einiges an Infrastruktur für Sehbehinderte vorhanden. Es gibt Wanderführer vom Fichtelgebirgsverein oder aus dem Freundeskreis der Zinnerts. Innerorts wurde ein tastbarer Ortsplan erstellt. Es gibt auch Speisekarten für Nicht sehende oder ihnen wird auf Wunsch die Speisekarte vorgelesen. Wobei immer mehr Blinde, wenn Gastwirtschaften auf ihrer Homepage Speisekarten eingestellt haben, sich die Inhalte per Smartphone vorlesen lassen können. Sogar ein Kirchenführer in Brailleschrift wurde erstellt. „In Bischofsgrün wird Hilfsbereitschaft groß geschrieben“, loben die Gäste.

Ein nächstes Projekt ist ein blinden- und behindertengerechter Wanderweg. Wie es sie andernorts vereinzelt schon gibt. Seit 1995 beispielsweise in Wernigerode. Dort erklärt eine Schautafel am Beginn des Weges die Entstehung auch in Blindenschrift. Holzbohlen säumen den Pfad und weisen Stockgängern den richtigen Weg. Durch diese Begrenzung ist eine dauerhafte Orientierung gegeben und so können auch Vollblinde den Weg eigenständig erwandern. Und so oder so ähnlich ist es auch in Bischofsgrün geplant. Um blinden Wanderern noch mehr Selbstständigkeit und Unabhängigkeit bieten zu können.

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