Die Nacht der blauen Jacken

Von Thorsten Gütling
Bayreuth feiert eine Nacht in blau. Foto: Thorsten Gütling Foto: red

Eine lauschige Sommernacht. Von Ehrenhof erklingt ein Akkordeon. Jemand trällert Arien. In der Kanzleistraße sitzen die Menschen vor den Cafés. Bayreuth könnte in diesem Moment genausogut irgendwo in Italien liegen. Wenn nur der Himmel nicht wäre.

 
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Der, der da trällert, ist Andreas Winkler. Ein Wiener Opernsänger, der mit seiner Band Don und Giovannis nach Bayreuth gekommen ist um "Opernmelodien, leicht verändert", zu singen. Was Quatsch ist, weil er sie sehr verändert. Weil er Klezmer und Reggae daraus macht und damit Klassik zum Tanzen fabriziert. Und Winkler sagt ins Mikro: "Mal sehen, wie lange wir durchhalten". Er wird sich noch wundern, wie lange Bayreuth durchhält. Passanten in der Kanzleistraße zeigen mit dem Finger in den Himmel. Im Westen braut sich ein Unwetter zusammen.

Das Motto könnte ein ganz anderes sein

Erstes Stück, ein Medley. Der Don macht daraus ein Quiz: Wer zuerst drei Melodien errät, bekommt eine CD geschenkt. Dass es niemand errät, könnte das Motto des Abends sein. Wären da nicht die blauen Regenjacken. Das Publikum wippt und klatscht. Aber wie die Melodien heißen? Woher man sie kennt? Rästelraten.

Wenn es zu schütten beginnt

Der Ehrenhof ist voll. Es trifft sich, wer sich lange nicht mehr getroffen hat. Bierbänke überall, dazu Campingstühle und Klapphocker. Weingläser als Zeichen, dass ein Platz besetzt ist. Biergartenatmosphäre. Die Ansagen des Don versteht man deshalb auch nicht richtig. Aber was soll's: Ist ja kostenlos. Und immer mal wieder blicken die Menschen zum Himmel. In den umliegenden Cafés sagen sie: "Die Musik hört man hier genauso, aber wenn es zu schütten beginnt, sitzen wir unterm Schirm."

Dann endlich: Nach 20 Minuten zieht Wind auf. Irgendwo weit entfernt der erste Donner. Endlich, weil die Menschen darauf gewartet haben. Ein Vater mit Kind auf den Schultern will die Wolken wegschieben. Eine Minute später weht es die ersten Sonnenbrillen von den Köpfen. Jacken werden angezogen. Nur die kurzen Hosen und Röcke zeugen noch davon, dass der Tag ein brüllendheißer war. 

Mitarbeiter teilen aus

Nach 25 Minuten gehen Mitarbeiter des Kulturamts durch die Reihen. Sie verteilen ein paar hundert Regenponchos. Haare fliegen im Wind. Die Ersten ziehen die Ponchos gleich an. Blau ist jetzt die bestimmende Farbe am Ehrenhof.

Don und Giovannis spielen jetzt Klezmer. Nur eine Hand voll Menschen tanzt und holt sich spontan Applaus ab. Der Rest ist mit Anziehen beschäftigt. Blaues Plastik weht im Wind. Der Eine zerrt am Anderen. Gar nicht so leicht reinzuschlüpfen. Bei "O sole mio" gehen die ersten Regenschirme auf. "Euch geht's noch gut?", fragt der Don. "Wir würden jetzt eigentlich eine Pause machen, aber wir ziehen das durch. Wer weiß, was noch kommt." Bayreuth zieht mit. Nur wenige gehen.

Instrumente werden geschützt

45 Minuten. Die Band zieht sich auf der Bühne zurück. Einen guten Meter nach hinten. "Es gibt auch Cellos von Stradivari", sagt der Don. "Die sind eine Million wert und sollten nicht nass werden." Die Seitenwand der Bühne bläht sich im Wind. Der Don braucht eine Trinkpause. Ihm hat's was in den Hals geblasen. "Irgendwas wollte da unbeingt rein. Wird's schon wieder rausblasen." Frauen im blauen Ponchos werfen ihm Blumen auf die Bühne.

Mehr Wind, mehr Regen

Nach 55 Minuten: mehr Wind, mehr Regen. Ein Bauzaun, der den Weg zur Bühne versperrt, kippt um. Ein Mitarbeiter des Sicherheitsdienstes fängt ihn auf. Der Wind weht sein Namensschild davon. "Sie mögen schon noch, auch wenn es etwas nasser wird?", fragt der Don. Als Antwort raschelt Plastik im Wind. Der Don singt ein Lied, das von der Rückkehr nach Sorrento handelt. Später sagt er: "Ich habe mich gefühlt wie am Meer. Alles blau und dieser Wind." Seine Aufforderung zum Tanzen: "Ich möchte jetzt die Wellen sehen."

Ein blauer Strom entlädt sich

Bayreuth tanzt nicht, aber es hält aus. Als Zugabe gibt's "Azzurro". Der Regen wird immer stärker. Nach 90 minuten sagt der Don: "Danke, dass Sie ausgehalten haben. Möge Deutschland die EM gewinnen, wenn Österreich schon nicht mehr dabei ist." In alle Seitenstraßen entlädt sich ein Strom von Menschen in blauen Plastikjacken. Bayreuth hat ausgehalten. Diesen Abend werden die Menschen so schnell nicht vergessen.

Ganz andere Bilder: Unsere Fotogalerie vom sonnigen Klassik Open Air am Freitag.

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