Die letzten Spuren der Reichsautobahn

Von Peter Engelbrecht
Helmut Erlmann aus Walddau zeigt auf einen Wasser- oder Abwasserschacht des früheren Reichsautobahnlagers. Foto: Peter Engelbrecht Foto: red

Versteckt im Wald findet sich ein betonierter Wasser- oder Abwasserschacht. Er ist von Grünzeug überwuchert und mit Moos bedeckt. Helmut Erlmann deutet auf das mysteriöse Bauwerk. „Der Schacht gehörte zum früheren Reichsautobahnlager“, berichtet der Landwirt, der sich hier im Waldgebiet „Am Sandhügel“ nahe Waldau gut auskennt.

 
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Das Dorf Waldau im Landkreis Kulmbach ist mit der Autobahn eng verbunden. Es liegt direkt an der heutigen A 70, die vom Autobahndreieck Bayreuth/Kulmbach nach Bamberg und weiter führt. Bereits ab November 1937 wurde in dem Bereich mit dem Bau der Reichsautobahn begonnen. Das Teilstück vom Autobahndreieck bis zur Anschlussstelle Neudrossenfeld war 8,7 Kilometer lang, auf dieser ursprünglichen Trasse verläuft im Wesentlichen noch die heutige A 70.

Fünf Jahre lang geforscht

Das frühere Reichsautobahnlager und der damalige Teilausbau wären längst in Vergessenheit geraten, hätte sie der gebürtige Kulmbacher Michael Kriest nicht in seinem aktuellen Buch „Die Reichsautobahn“ erwähnt. Die Strecke sollte südlich von Bamberg mit einer Anbindung an die Autobahn Frankfurt-Würzburg-Nürnberg mit einem Autobahnkreuz westlich Bambergs verlaufen, hat der 51-jährige Historiker herausgefunden. Fünf Jahre lang forschte er für seine Promotionsarbeit, die nun in Buchform veröffentlicht wurde.

Schulungszentrum auf der Plassenburg

Mit dem Teilstück sollte Kulmbach offensichtlich besser an das Fernstraßennetz angeschlossen werden. Auf der Plassenburg befand sich damals das Reichsautobahn-Schulungszentrum der Organisation Todt. Dies war eine paramilitärische Bautruppe, die den Namen ihres Führers Fritz Todt (1891-1942) trug. Nach gutem Fortschritt musste der Bau 1938 wegen Abzugs von Arbeitskräften an den Westwall vorübergehend stillgelegt werden. Als im Herbst die Bauarbeiten wieder anliefen, rechneten die Planer mit einer Fertigstellung der Erdarbeiten bis Mai 1939. Beide Fahrbahnen sollten ausgebaut werden. Im Mai 1939 begann die Herstellung der Fahrbahndecken an der Nordfahrbahn, eine Kartenskizze von September 1939 zeigt bereits Teilstücke mit Betondecke. An der Baustelle bei Waldau befand sich für die Unterbringung der Arbeiter das sogenannte Reichsautobahnlager Vierjahresplan. Im Krieg kam es laut den Forschungen von Michael Kriest zur Beschäftigung von Fremdarbeitern, auch Kriegsgefangene waren eingesetzt.

"Wegen Stilllegung gekündigt"

Der von Todt geforderte Eröffnungstermin Dezember 1939 konnte wegen mangelnder Arbeitskräfte und Eisenbahnwagen nicht eingehalten werden. Bei fertiggestellten Erdarbeiten und Bauwerken standen ab November 1939 die Bauarbeiten still. Um die Jahreswende kam es zwar noch zur Vergabe von Arbeiten, im Juni 1940 wies aber die Oberste Bauleitung in Nürnberg an, die Verträge zum 1. Juli wegen Stilllegung zu kündigen. Die Fertigstellung der Teilstrecke erfolgte schließlich in den 50er Jahren, und zwar nach alten Plänen. 1958 wurde die Strecke einbahnig freigegeben, die südliche Fahrbahn wurde erst im Oktober 1970 fertiggestellt.

Große planierte Flächen im Wald

Landwirt Helmut Erlmann ist mit Mitte 60 viel zu jung für das Thema Reichsautobahnlager, er kennt es vom Erzählen. „Meine Eltern haben Milch in das Lager geliefert“, berichtet er. Das sei ein guter Zuverdienst gewesen. Der Wald hat sich längst das frühere Lagerareal zurückgeholt, heute stehen auf dem Gelände große Kiefern, die mehr als 70 Jahre alt sind. Zu erkennen sind noch große planierte Flächen, auf denen einst die Baracken standen. Das sind die letzten Spuren.

Im Rathaus in Neudrossenfeld existieren noch Entwässerungsverträge für die Reichsautobahn aus der NS-Zeit. „Diese Verträge zum Ableiten von Regenwasser wurden von der damaligen Gemeinde Lindau/Waldau abgeschlossen“, berichtet Bürgermeister Harald Hübner. Über das Lager selbst existieren keine Unterlagen im Gemeindearchiv.

Zeitzeugen erinnern sich

Doch es gibt noch Zeitzeugen in Waldau. Leonhard Ganzleben, Jahrgang 1927 und heute 90 Jahre alt, kann sich an das Lager gut erinnern. Als Bub habe er sich natürlich für „die paar Hundert Arbeiter“ in den schätzungsweise sieben, acht Baracken interessiert. Bagger und Kippwagen auf Schienen seien im Einsatz gewesen, die Arbeiter hätten aber auch viel mit der Schaufel gearbeitet, berichtet der frühere Postbote. Ganzleben kann sich auch an Gefangene erinnern, die unter Aufsicht schuften mussten, es könnten Kriegsgefangene gewesen sein.

Ein weiterer Einwohner, ebenfalls 90 Jahre alt, spricht von „einem großen Lager“ im Gebiet Sandhügel jenseits der Autobahn. Der Mann, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen will, kann sich an Rollwägen erinnern, die von kleinen Dieselloks gezogen wurden. Damit wurde Erdreich transportiert. Ein Teil der Fahrbahn sei bereits betoniert gewesen. „Als der Krieg kam, wurden die Bauarbeiten eingestellt“, schildert der Zeitzeuge. Das Lager habe eine eigene Küche gehabt, doch die Arbeiter seien auch in die beiden Wirtshäuser in Waldau eingekehrt.

Keine Glorifizierung

Michael Kriest, der Betriebswirtschaft sowie Historische Geografie und Denkmalpflege in Bamberg studiert hat, warnt vor einer Glorifizierung des Reichsautobahnbaus durch die Nationalsozialisten. „Das gesamte System war verbrecherisch“, betont er. Ihn interessierte aber, wie Ingenieure und Architekten beim Autobahnbau gearbeitet haben. „Natürlich wurde mit der Reichsautobahn Propaganda betrieben“, stellt er klar. Für sein Buch hatte er alle Brücken, Wasserdurchlässe und Unterführungen im Raum Waldau/Harsdorf vor dem Neubau der A 70 im Jahr 2013/14 fotografiert. Sie wurden einst im Zuge des Reichsautobahnbaus erstellt und später beim Neubau der Autobahn meist neu errichtet.

Doch zwei Unterführungen bei Harsdorf konnten erhalten werden, berichtet Edith Kolarik, Pressesprecherin der Autobahndirektion Nordbayern in Nürnberg. Beide wurden in der Bauform von 1939 verbreitert. Die Haselbachunterführung ist ein mit Naturstein gemauerter Durchlass. eine weitere Unterführung eines Feld- und Waldweges ist ein Bogenbauwerk aus Beton mit Natursteinportal.

Info: Michael Kriest: Die Reichsautobahn, Michael Imhof Verlag Petersberg, 311 Seiten, 49.95 Euro.

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