Die letzte Zeitzeugin

Von Peter Engelbrecht
Hanneliese Wandersmann besucht am Sonntag die öffentliche Gedenkstunde aus Anlass des 75. Jahrestags der Deportation. Foto: Archiv/Peter Kolb Foto: red

Hanneliese Wandersmann hat während der Nazizeit Schreckliches erlitten. Mit ihren 88 Jahren ist sie die letzte noch lebende Zeitzeugin, die vor 75 Jahren als Jüdin mit ihrer Familie aus Bayreuth deportiert wurde. Wir sprachen mit der starken Frau über ihre schrecklichen Erlebnisse.

 
Schließen

Diesen Artikel teilen

„Das waren schlimme Zeiten. Hoffentlich kommen sie nicht noch mal“, sagt Wandersmann. Am Sonntag, 27. November, wird sie gemeinsam mit ihren drei Töchtern die öffentliche Gedenkstunde der Stadt Bayreuth aus Anlass des 75. Jahrestages der Deportation besuchen. Sie findet um 11 Uhr im Neuen Rathaus statt. Dieser Termin ist ihr wichtig. „Ich muss da hin, denn ich bin die Einzige, die noch lebt.“ Es sei gut, dass erinnert wird.

Sie war 13 Jahre alt. Am 27. November 1941 musste sie sich mit ihrer Familie mit wenig Gepäck an der Rotmainhalle in Bayreuth einfinden. Die 46 jüdischen Frauen, Männer und Heranwachsenden wurden nach Nürnberg gekarrt. Am 29. November 1941 wurde die Familie mit rund 1000 anderen jüdischen Opfern aus Franken in den Zug getrieben, der sie in die Nähe von Riga bringen sollte. „Wir Kinder wussten nicht, was auf uns zukommt“, erinnert sich Wandersmann.

Der Vater hatte düstere Vorahnungen. „Wir hoffen, dass das Gerücht nur ein Greuelmärchen ist“, schrieb er im September 1941, als er Einrichtungsgegenstände einer guten Bekannten vermachte. Mutter Friedel, Bruder Max und Hanneliese landeten im KZ Jungfernhof. Vater Leopold wurde in einem anderen Lager ermordet, der Bruder kam später bei einem Luftangriff um. Das Morden setzte sich fort: Bei der zweiten und letzten Deportation aus Bayreuth im Januar 1942 wurden elf jüdische Bürger verschleppt.

Mutter und Tochter konnten zusammenbleiben, sie waren in mehreren Lagern eingesperrt. Prügel, Hunger und Todesangst waren allgegenwärtig. Sie mussten gestreifte KZ-Uniformen tragen, Holzschuhe, die Haare waren geschoren. Die Zwangsarbeit von früh bis nachts war brutal. Am 26. Januar 1945 wurden beide in Lettland von der Roten Armee befreit. „Wir hatten ständig Todesangst. Es gab Hunger und Kälte, manchmal Prügel“, erinnert sich Wandersmann an die schlimmen Jahre.

Im Herbst 1945 kamen beide zurück nach Bayreuth – zerlumpt, hoffnungslos und obdachlos. Warum gerade in die Stadt, aus der sie mit Gewalt vertrieben wurden? „Meine Mutter wollte nur nach Bayreuth. Ich bin mitgegangen – wo sollte ich auch anders hin?“, blickt Wandersmann zurück. „Wir wollten keine Rache“.

„Ich hatte großes Glück, dass ich überlebt habe.“ Ihre schrecklichen Erlebnisse belasteten sie kaum, „ich habe das weggeschoben“. Sie hofft, dass es nie mehr eine Naziherrschaft in Deutschland geben wird. „Natürlich hat man die Angst im Hinterkopf. Aber man sollte sich nicht verrückt machen lassen.“ Sie versucht, positiv zu denken, sich über Familie und Enkel zu freuen.

Den Transport aus Franken nach Riga überlebten nur wenige. Doch was wurde aus den Tätern? Die Gesamtverantwortung für die Deportation hatte SS-Brigadeführer Benno Martin, der auch Nürnberger Polizeipräsident war. 1953 wurde Martin vom Landgericht Nürnberg-Fürth freigesprochen. Dieses Verfahren betraf die Mitwirkung Martins an mindestens fünf von sieben Transporten von Juden aus Franken nach Riga, Lublin und Theresienstadt zwischen November 1941 und September 1942.

In Bayreuth war Kriminalkommissar Fritz Meyer für die Deportationen verantwortlich. 1895 geboren, war er seit Juni 1944 Kriminalrat und Leiter der Kriminalpolizei. Seine Spruchkammerakte ist dünn; er wurde in einem „verkürzten Verfahren“ am 15. April 1948 als „Mitläufer“ eingestuft und musste eine Sühnezahlung von 50 Mark plus Verfahrensgebühren von 156 Mark leisten. „Die erste Sichtung hat keinen Hinweis darauf ergeben, dass die Judendeportation im Verfahren eine Rolle gespielt hätte“, erläutert Johannes Haslauer, der Leiter des Staatsarchives Coburg.

Dort liegt die Spruchkammerakte. Daraus sei ersichtlich, dass wohl ab 1948 die Staatsanwaltschaft beim Landgericht Bayreuth gegen Meyer wegen Freiheitsberaubung ermittelte. Während des Spruchkammerverfahrens war Meyer nicht mehr im Polizeidienst. Ob er in den Dienst zurückkehrte, gehe aus der Akte nicht hervor, berichtet Haslauer. Auch 75 Jahre später bleiben Fragen offen.

Info: Der Bayreuther Historiker Norberg Aas hat ein Buch über die Lebensgeschichte von Hanneliese Wandersmann geschrieben: …und trotzdem wieder Bayreuth: Hanneliese Reinauer-Wandersmann. Eine Familien-Biographie, Bumerang-Verlag, ISBN 929268-25-5, 15 Euro. Erhältlich im Buchhandel.

Bilder