Die hellste Weihnacht

 Foto: red

Wie der Amerikaner Lonnie Henderson Heiligabend in Himmelkron vor 54 Jahren erlebte.

 
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Der 24. Dezember, Heiligabend, 1962 dämmerte bitterkalt und düster in diesem Teil der Welt, den wir liebevoll „Bavarian Siberia“, Bayerisch-Sibirien, nannten.
Meine Frau war mit unserer zweijährigen Tochter drei Wochen vorher aus den USA gekommen, und ich hatte ein Apartement in Himmelkron gemietet, etwa 30 Meilen südlich von Hof, Heimat der 6915. Security Squadron der amerikanischen Luftwaffe.
Das Apartement bestand aus drei Räumen im zweiten Stock. In typisch europäischer Art war das Erdgeschoss ein Stall für verschiedene Tiere; der Vermieter, Frau und kleiner Sohn, sowie „Oma“ lebten im ersten Stock.
Der vordere Raum unserer Wohnung war Küche und Wohnzimmer in einem. Der nächste Raum war das Schlafzimmer, ein dritter Raum war sozusagen unser Kühl- und Gefrierschrank. Wollten wir unser Essen einfrieren, rückten wir es an die Außenwand, sollte es nur kühl lagern, rückten wir es an die Innenwand.


Ich arbeitete Schicht in Hof, und an diesem eiskalten Weihnachtsmorgen vor über 50 Jahren hatte ich die Tagschicht. Glücklicherweise erlaubte unser Kommandeur allen verheirateten Soldaten, um 12 Uhr zu gehen, damit wir Zeit mit unseren Familien verbringen konnten.
Als Soldat mit nur drei Streifen auf dem Ärmel, der gerade den Flug von Frau und Tochter hatte bezahlen müssen, war ich so pleite, wie man nur sein konnte. Wir konnten uns keinen Christbaum leisten, also stahl ich einen aus einem nahen Wald. Ein Freund gab uns eine Lichterkette. Aber es war eine von der Art, wo die ganze Kette ausgeht, wenn nur eine Birne ausfällt. Wenn das unvermeidlicherweise geschah, schnitt ich den Teil der Kette raus, verknüpfte sie wieder, und wir hatten eine Lichterkette mit einem Licht weniger. Auf diese Weise wurde die Kette kürzer und kürzer, je näher Weihnachten kam.


Ich verließ die Arbeit um 12 Uhr und fuhr in die Hofer Innenstadt, in der Hoffnung, wenigstens ein kleines Geschenk für unsere Tochter zu bekommen mit dem wenigen Geld, das ich noch hatte. Unglücklicherweise waren alle Geschäfte schon zu. Ich fuhr zu unserer Wohnung in Himmelkron, wo meine Frau und ich entschieden, einen weiteren letzten Versuch zu unternehmen, ein offenes Geschäft zu finden. Wissend, dass es in Himmelkron nichts geben würde, fuhren wir die kurze Strecke nach Bad Berneck. Doch auch hier waren alle Geschäfte zu. Es sah eher nicht nach einer so frohen Weihnacht aus.


Und dann sprang mein Auto nicht mehr an. Da waren wir nun, zehn Meilen von zu Hause, es war eiskalt, und es wurde schon dunkel.
Meine Frau und ich liefen mit unserer Tochter auf dem Arm zu einer nahen Wohnung. Ein Freund und Kamerad von der Luftwaffe lebte hier mit seiner Frau, und er nahm sich die Zeit, unser Auto wieder zum Laufen zu bringen. Schließlich kamen wir zurück zu unserer Wohn-/Gefrier-/Kühlschrankwohnung, müde und durchgefroren, mit unserem kleinen Baum und den verbliebenen paar Lichtern und versuchten verzweifelt, ein bisschen Weihnachtsfreude zu verbreiten.
Ich saß in einem Stuhl, immer noch in meiner Dienstuniform, mutlos und alles andere als weihnachtsfroh, als es an der Tür klopfte. Ich öffnete, und unser Vermieter stand draußen. Er winkte mir, mitzukommen, und ich dachte: „Oh nein, was nun? Was ist diesmal schiefgelaufen?“
Als ich mit ihm mitgehen wollte, bedeutete er mir, dass meine Frau und Tochter auch mitkommen sollten. Ohne zu wissen, was kommen würde, folgten wir ihm.


Er führte uns hinunter in sein Wohnzimmer, gesellte unsere Tochter zu seinem kleinen Sohn und all seinen Spielsachen und lud uns ein, an der Familienweihnachtsfeier teilzunehmen. Und das von einer Familie, die ich nicht mal einen Monat kannte!
Mein Deutsch war sehr begrenzt, meine Frau konnte es gar nicht, der Vermieter und seine Familie sprachen kein Englisch, und die beiden kleinen Kinder hatten eine ganz eigene Sprache – aber irgendwie kommunizierten wir doch.
Nach einem Abend mit Essen, Trinken, Liebe und dem Geist von Weihnachten gingen wir wieder in unsere Wohnung, die aus irgendeinem merkwürdigen Grund nicht mehr so düster, einsam und kalt aussah. Unser kleiner Baum glänzte in neuer Helle, und Himmelkron machte seinem Namen Ehre: „Heaven’s Crown“, Krone des Himmels.


Viele Weihnachten sind seither vergangen, und unser Mädchen ist nun selbst zweifache Mutter und vierfache Großmutter. Ich habe seither viele Weihnachten in vielen Teilen der Welt verbracht, manchmal mit Freunden und Familie, manchmal im Dienst. Aber von all diesen Weihnachten seit damals, seit jenem Weihnachtsfest 1962 in Himmelkron, als jemand uns aufnahm und uns mit Freundschaft und Liebe berührte, wird mir diese Weihnacht immer als hellste in Erinnerung bleiben.

 

Aus dem Amerikanischen übersetzt von Andreas Gewinner.

 

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