Die Erben des Holocaust

Von Peter Engelbrecht
Andrea von Treuenfeld bei der Lesung. Foto: Andreas Harbach Foto: red

Die Zuhörer waren sichtlich berührt, die Worte gingen unter die Haut. Autorin Andrea von Treuenfeld hatte für ihr neues Buch „Erben des Holocaust“ prominente Töchter und Söhne von Holocaust-Überlebenden befragt, wie sie mit dem Schatten der Vergangenheit leben lernten.

 
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Es sind berührende Lebensgeschichten, die offen vom Umgang der Nachgeborenen mit den Traumata der Eltern erzählen. Und darüber, wie es für sie war, in einem Land aufzuwachsen, das noch wenige Jahre zuvor ihre jüdische Familie auslöschen wollte. Die Berliner Journalistin, die unter anderem für die „Welt am Sonntag“ und die „Wirtschaftswoche“ gearbeitet hat, stellte bei einer Lesung in Bayreuth ihr drittes Buch vor.

Eltern wollten Kinder schützen

Die Holocaust-Überlebenden hätten nach dem Zweiten Weltkrieg versucht, ihre schrecklichen Erinnerungen zu verdrängen, schilderte von Treuenfeld. „Der Schatten der Vergangenheit prägte auch die nachfolgende Generation“, die Eltern hätten über das geschwiegen, „was allgegenwärtig war“. Die Eltern hätten ihre Kinder schützen wollen, „deshalb blieb vieles ungesagt“.

Doch die Zeit von Lebensgefahr und Todesangst sei in den Familien präsent geblieben. Die Juden seien auch nach Kriegsende den noch existierenden Ressentiments ausgesetzt gewesen, „sie hatten das Gefühl, im Feindesland der Täter zu leben“, fasste die Autorin ihre Recherchen zusammen.

Interview mit Nina Ruge

Interviewt hatte sie 18 Prominente, die aus einem jüdischen Elternhaus kommen. Sportkommentator Marcel Reif berichtete, beim Anblick von Bildern von Leichenbergen in Konzentrationslagern stelle er sich immer vor, „dass mein Großvater dort oben liegt“. Seine Eltern hätten über ihre schrecklichen Erlebnisse nicht sprechen wollen. Seine Mutter habe später dann doch über den Holocaust erzählt, sei dabei zusammengebrochen. „Ich bin meinem Vater für das Schweigen sehr dankbar“, berichtete Marcel Reif.

„Bei uns zu Hause saß ein Gespenst hinter dem Vorhang“, berichtete Fernsehmoderatorin Nina Ruge. Sie bezeichnete dieses Gespenst als Angst und Verdrängung. Ihre Eltern hätten sich emotional verkapselt, um überleben zu können. Erst mit 18 Jahren habe sie die wahre Geschichte von Vater und Mutter erfahren. Das gesellschaftliche Klima in den 1950er Jahren beschrieb Ruge mit Disziplin und Verdrängung.

Der Schauspieler und TV-Moderator Ilja Richter hatte erst im Alter von 30 Jahren seine jüdischen Wurzeln freigelegt. In der Familie habe eine Sehnsucht nach Normalität und Anpassung geherrscht. Erst nach der Maueröffnung habe er mit seiner Mutter das Domizil seiner Großeltern in Berlin aufgesucht. Dort hatten die Nationalsozialisten die frisch operierte Großmutter an den Haaren die Haustreppe hinuntergezogen und auf einen Lastwagen geworfen.

Den eigenen Vater nicht gefragt

Die Betroffenen hätten nicht anders gekonnt als zu schweigen, zeigte die Autorin Verständnis. Sie hätten ihre Kinder schützen wollen und sich geschämt, überlebt zu haben, während viele Familienmitglieder und Freunde ermordet wurden. Lange Zeit sei in Deutschland „nichts aufgearbeitet“ worden, deshalb sei der Antisemitismus nach dem Krieg immer da gewesen, nun sei er wieder gesellschaftsfähig.

Ihr Vater sei Kriegsteilnehmer gewesen, sie habe ihn nicht befragt. „Das ist absurd. Ich frage die Nachfahren der Holocaustopfer, aber ich frage nicht den eigenen Vater.“

Während ihrer Interviews seien bei einigen der Befragten Tränen geflossen. Manche Gespräche hätten abgebrochen werden müssen, andere hätten zwei- bis dreimal stattgefunden. „Wenn man solche Interviews geführt hat, nimmt man das abends mit ins Bett“, beschrieb sie ihre Gefühle. „Es berührt mich immer noch, weil es so grausam war“, schilderte von Treuenfeld. Auch bei ihren Lesungen müsse sie bei manchen Passagen „tief durchatmen“.

Zu ihrem Motiv befragt, dieses Buch zu schreiben, sagte die Autorin, dieser Teil der Geschichte dürfe nicht in Vergessenheit geraten.

Info: Zur Lesung hatten das Evangelische Bildungswerk Bayreuth-Bad Berneck-Pegnitz und die Deutsch-Israelische Gesellschaft Oberfranken eingeladen. Gekommen waren rund 70 Zuhörer, darunter 50 Schülerinnen und Schüler des Gymnasiums Christian-Ernestinum in Bayreuth. Das Buch „Erben des Holocaust“, Gütersloher Verlagshaus, kostet 19,99 Euro, ISBN: 978-3-579-08670-5.

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