Buchpreisträgerin Ursula Krechel las in Bayreuth Deutschland vor Gericht

Von Michael Weiser
07.05.2015, Bayreuth, Evangelische Hochschulgemeinde, Ursula Krechel, Lesung, Foto: Andreas Harbach, ha Foto: red

Viele Details, große Distanz: Ursula Krechel behandelt in "Landgericht" wichtige Fragen. Die Lesung der Buchpreisträgerin in Bayreuth aber ist dennoch eine spröde Angelegenheit.

 
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Die zierliche Frau mit den dunklen langen Haaren wirkt jung, viel jünger als die 67 Jahre, die sie nach Ausweis ihres Lebenslaufes zählen soll. Vielleicht liegt das auch in ihrer Stimme, die zart wirkt und in der etwas Fragendes mitschwingt, wie bei einem Menschen, dem noch nicht alles selbstverständlich geworden ist. Ursula Krechel liest tatsächlich so, als befragte sie ihre Umgebung, ihre eigene Geschichte, sich selbst. Genau genommen ist bereits ihr ganzer Text eine Frage: Was ist Heimat, was Identität?

Krechel hat vor drei Jahren mit dem Roman „Landgericht“ den Deutschen Buchpreis gewonnen, mit einer Geschichte, die aus einer für Deutsche Buchpreise so typischen Epoche stammt – der deutschen Nachkriegszeit. Es ist die Geschichte des Juristen Richard Kronitzer und seiner Emigration aus Nazi-Deutschland (wobei sich Krechel da nicht klar entscheidet, sie schreibt auch mal von „rausgeschmissen“). Nach dem Exil in Kuba kehrt Kronitzer in das von den Franzosen besetzte Süddeutschland zurück. Und stellt fest: es ist eine Rückkehr in die Fremde. Weder in seinem Beruf noch in seiner Familie wird er an die Zeit vor den Nazis und dem Krieg anschließen können. Tatsächlich spiegelt sich Typisches in dem Roman wieder. Man kann auch sagen: In "Landgericht" wird einer Gesellschaft der Prozess gemacht. Deutschland steht vor Gericht.

Was ist Friede?

Eingeladen wurde Ursula Krechel von Georg Kamphausen, Soziologe an der Uni Bayreuth, und seinen Studenten, zu einer Lesung in der Reihe „70 Jahre Frieden“. Krechels Lesung passt besser als manch andere Veranstaltung zu diesem Motto. Weil man sich danach die Frage stellen kann, was das ist, dieser Friede. Ob er schon herrscht, wenn nur die Waffen schweigen.

Eine gute Frage, nur bedingt eine gute Lesung. Weil Krechel offenbar dazu neigt, Details aufzuladen, zu überzeichnen, bis darüber das große Ganze verschwimmt. Wenn jeder zweite Stein mit jeder Schattierung geschildert wird, gerät darüber die Stadt aus dem Blickfeld. Und weil manches aus dem Universum des Lyrikers in der Welt des Nachkriegs- oder Gegenwartsdeutschen nicht funktioniert. Wie, beispielsweise, soll man ein Bild „auswendig können“?

„Ich wollte diese Personen erst nicht in ihrer Intimität zeigen, sondern in der Distanz“, sagt Krechel. Dass in Kronitzer man tatsächlich mitunter einen Juristen vor Augen hat, hat auch was mit Distanz zu tun: „Ich habe mir das nur so vorgestellt, dieses Kühle, Umständliche.“

Krechel erzählt noch einiges davon, wie sehr sie recherchiert und Akten durchstöbert habe. Mitunter ahnt man, dass eben das zum Problem geworden sein könnte. Es kann aber auch daran gehapert haben, dass Krechels ein Roman der leisen Töne und des zurückgenommenen Tempos ist. Es bleibt einem dann eben nicht Unterhaltung. Sondern Wohlklang der Wörter.

Oder Beschäftigung mit der Frage, ob so etwas wie Heimat überhaupt möglich ist, wenn da keine Gerechtigkeit ist. Beziehungsweise: nicht einmal der echte Willen dazu. Wo Heimat solcherart zur Fremde wird, da stellt sich auch kein Friede ein.