Der Putsch und der Pakt

Welche Rolle spielt die Türkei in der Flüchtlingsfrage und was hat der Putschversuch mit der Visafreiheit zu tun? Foto: afp Foto: red

Trotz der Verhaftungswelle nach dem Putschversuch in der Türkei will die EU an ihrem Flüchtlingsabkommen mit Ankara festhalten. Doch der Pakt könnte bald auf der Kippe stehen. Der Kurier hat die wichtigsten Fragen und Antworten.

 
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EU-Kommissar Günther Oettinger rechnet wegen des harten Vorgehens Ankaras gegen Regierungskritiker nicht mehr mit einer Visabefreiung für Türken in diesem Jahr. Ankara hat schon mehrfach gedroht, den Flüchtlingsdeal dann platzen zu lassen.

Was haben die EU und die Türkei beschlossen?

Beim EU-Gipfel im März hat Ankara zugesichert, alle neu auf den griechischen Inseln ankommenden Flüchtlinge zurückzunehmen. Im Gegenzug verpflichteten sich die Europäer, für jeden so abgeschobenen Syrer einen anderen syrischen Flüchtling direkt aus der Türkei auf legalem Weg aufzunehmen.

Hat das Abkommen gewirkt?

Ja. Die Ankunftszahlen in Griechenland sind dramatisch gesunken. Während zwischen Januar und März noch im Schnitt mehr als 50.000 Menschen pro Monat in Griechenland eintrafen, waren es im Juni laut dem UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR nur noch gut 1500.

Wie viele Syrer aus der Türkei hat die EU im Gegenzug aufgenommen?

Bisher sind es 849, weit mehr als die EU-Staaten eigentlich aufnehmen müssten. Denn bisher sind erst 468 Flüchtlinge überhaupt von Griechenland in die Türkei zurückgebracht worden. Derzeit stocken die Rückführungen. Denn es geht nun um Flüchtlinge, die Asylanträge gestellt haben. Diese müssen in Verfahren vor der griechischen Justiz erst noch für unzulässig erklärt werden.

Was hat das Flüchtlingsabkommen mit der Visafreiheit zu tun?

Ursprünglich nichts. Die EU und die Türkei verhandeln schon seit Ende 2013 über die Visa-Freiheit, die bereits für rund 60 andere Länder gilt. Die türkische Regierung setzte dann in den Verhandlungen um den Flüchtlingspakt durch, dass der Visa-Zwang für Millionen Türken spätestens Ende Juni fällt. Doch der Termin platzte, weil Ankara nicht bereit war, wie von der EU gefordert seine weit gefassten Terrorismusgesetze zu ändern.

Bis wann muss die Visa-Freiheit jetzt kommen?

Neuer Termin ist nun wieder der Oktober, zu dem die Visa-Befreiung schon vor dem Flüchtlingsabkommen anvisiert war. Doch die Chancen, dass Ankara nach dem Putsch seine Anti-Terror-Gesetze lockert, sind auch nach Einschätzung von Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) "eher kleiner" geworden.

Und wenn Ankara die Terrorismusgesetzgebung nicht ändert?

Dann muss die EU entscheiden, ob sie auf diesem Kriterium besteht oder Ankara einen späteren Termin anbietet. Präsident Recep Tayyip Erdogan hat vor dem Putsch jedenfalls gedroht, den Flüchtlingsdeal platzen zu lassen, wenn die Visa-Freiheit nicht spätestens bis Oktober kommt.

Was würde das Ende der Flüchtlingsvereinbarung bedeuten?

Die Türkei könnte die Rücknahme von Flüchtlingen aus Griechenland stoppen und ihre seit März verstärkten Kontrollen an der Ägäis-Küste einstellen. Auch die Grundlage der Nato-Mission vor der türkischen Küste würde wackeln. Schlepperbanden könnten die Ägäis als Fluchtkorridor nach Europa neu beleben und die Ankunftszahlen in Griechenland schnell wieder steigen. Solange die Balkanroute gesperrt ist, würden die Flüchtlinge dort festsitzen. Selbst bei massiver Hilfe der EU wären Chaos und großes Flüchtlingselend zu befürchten.

Hätte das auch Auswirkungen auf die türkische EU-Beitrittskandidatur?

Der Flüchtlingsdeal hatte die seit Jahren auf Eis liegenden Beitrittsverhandlungen wiederbelebt. Die ohnehin geringe Begeisterung für die türkische Bewerbung dürfte in vielen EU-Hauptstädten weiter sinken, Fortschritte sind dann vorerst kaum mehr zu erwarten. Sollte Erdogan nach dem Putsch sogar die Todesstrafe wiedereinführen, könnte die Türkei ohnehin nicht mehr EU-Mitglied werden.

afp

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