Am Anfang steht eine Idee: Die Kollegen vom NDR-Magazin "Panorama" machen sich Gedanken darüber, wie sie darauf reagieren sollen, dass die deutschen Medien von Demonstranten in Dresden pauschal als „Lügenpresse“ verunglimpft werden. Die „Patriotischen Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes“ behaupten, Journalisten würden die Nachrichten über ihre Pegida bewusst manipulieren, um die Teilnehmer zu diffamieren und in ein schlechtes Licht zu stellen. Also mischt das NDR-Team sich mit Kamera unter das protestierende Volk und und lässt die Menschen einfach reden. Die Aussagen werden später in voller Länge, ungeschnitten und unkommentiert, veröffentlicht. Kontaktversuch: ,Lügenpresse trifft Pegida‘ heißt das Projekt.

Der falsche Pegida-Aktivist ist dem Kurier wohl bekannt

Doch ausgerechnet ein Kollege lässt die gute Idee des Fernsehteams zum Fiasko werden. Denn, was die NDR-Leute nicht wissen: Einer ihrer Gesprächspartner, der sagt, er komme aus Bayreuth und dann da über den drohenden Untergang des Abendlandes schwadroniert, ist selbst Journalist. Mehr noch: Dem Kurier ist der junge Mann gut  bekannt. Er heißt Felix Reichstein und hat vor einigen Jahren sein Volontariat in Bayreuth gemacht. Jetzt arbeitet er für  RTL, für das Landesstudio Ost, wie er selbst in seiner Biografie in einem Berufsnetzwerk schreibt. Für den NDR hat er auch schon mal gearbeitet.

Sätze, die alle Klischees bestätigen

„Manchmal denk ich schon: Sind wir eigentlich noch in Deutschland?“, sagt er jetzt ins NDR-Mikrofon und fügt noch hinzu: „Wenn man rausgeht: ganz viele Türken. Ich komme mit vielen gut klar, aber es ist doch zunehmend so, dass man denkt: Sind wir eigentlich noch deutsch in Deutschland?“ Seine Aussagen passen zum Gesamteindruck, den sich der Zuschauer aus den Originaltönen bilden kann. Oder bereits gebildet hat, denn hier werden so natürlich auch reichlich Klischees über die Demonstranten bedient.

Als der NDR sein Material dann veröffentlicht hatte und der Beitrag wahnsinnig schnell im Internet die Runde machte, gab sich der vermeintliche Pegida-Aktivist Reichstein als Reporter zu erkennen. Auch das machte freilich sofort im Internet die Runde, denn nicht nur wir Kurier-Mitarbeiter hatten Reichstein sofort erkannt. Und so hat er etwas erreicht, was nicht beabsichtigt war: Während Medien überlegen, wie sie angemessen ihrer Informationspflicht gemäß mit Pegida umgehen sollen, hat Reichstein mit seinen falschen Aussagen die Glaubwürdigkeit der Medien in Frage gestellt - in einem Bereich, in dem sie eh schon arg angekratzt ist. Das hat den ganzen Sonntag über viele Journalisten auf Facebook und Twitter beschäftigt, auch die Gewerkschaft, den Deutschen Journalisten-Verband DJV.

Bei der ARD ist man fassungslos

Volker Steinhoff, Redaktionsleiter von "Panorama", kann es nicht fassen. „Wie dämlich“, so sein Kommentar: die Redaktion veröffentlichte sofort eine Stellungnahme. Auch RTL reagierte. Reichstein habe in seiner Situation als verdeckter Reporter drei Möglichkeiten gehabt: "Nichts sagen, sich als Kollege outen - oder in der gespielten Rolle eines Pegida-Anhängers verbleiben. Er entschied sich für Möglichkeit drei - und traf damit die eindeutig falsche Entscheidung. Seine Aussagen geben weder seine Meinung noch die von RTL wieder."

Nach Kurier-Informationen wurde Reichstein nach einem Personalgespräch Montagmittag gekündigt, man müsse sich nun auf eine Vertragsauflösung einigen. Auf anderen Nachrichten-Portalen und in sozialen Netzwerken hieß es bereits am Sonntagabend, Reichstein sei gefeuert worden. „Unser Mitarbeiter hat einen Fehler begangen, der nicht zu entschuldigen ist“, sagte der Chef des RTL-Landesstudios Ost, Thomas Präkelt.

Reichstein hatte seiner Redaktion nichts gesagt

Reichstein hatte einen klaren Auftrag für seine verdeckten Recherchen, so Präkelt. Er sollte in die Rotte der Pegida-Demonstranten, um herauszufinden: Was wollen diese hier? Und: Wo kommen sie her? Stattdessen gab er ein „Interview“ mit fremdenfeindlichem Inhhalt. „Das Problem war, dass er sich danach nicht an den Vorgesetzten gewandt hat“, sagte Präkelt gegenüber dem Kurier. Selbst auf dessen Nachfrage, ob denn alles okay gewesen sei, habe Reichstein mit „alles okay“ geantwortet. Er habe die Chance nicht genutzt, zu sagen: „Es ist etwas Saublödes passiert“.

Die verdeckte Recherche sei ein Versuch gewesen, niemand aus der Redaktion habe den Reporter unter Druck gesetzt, dass er mit Material zurückkommen müsse. Er hätte jederzeit abbrechen können. „Diese Notbremse setze ich voraus“, sagt Reichsteins Redaktionsleiter Präkelt.

Der Journalist ging nicht davon aus, dass das ausgestrahlt wird

Reichstein habe gedacht, das werde nicht ausgestrahlt, so Präkelt. Aber Reichstein, der auch bei Spiegel-TV und anderen TV-Sendern gearbeitet hatte, hätte als erfahrener Reporter wissen müssen: Ein junger, smarter, hochdeutsch sprechender Mann – der wird gesendet. Zumal damit gezeigt werden könne, dass eben keine reinen Dumpfbacken in den Reihen von Pegida marschieren. „Das Vertrauen ist weg“, sagt Präkelt.

Die Diskussion ist aber nicht so einfach wieder weg: Was darf versteckte Recherche? Und wann sollte man sich lieber zu erkennen geben? Der taz-Redakteur Deniz Yücel war selbst undercover in Dresden auf der Demo unterwegs, er hat sogar mit Reichstein gesprochen und macht sich nun Vorwürfe, dass er den Fake hätte erkennen müssen.

Wie viele Journalisten waren also in den vergangenen zwei Wochen in Dresden undercover unterwegs; wie viele Statements in Kameras, Aufnahmegeräte und Notizblöcke sind auch nicht echt?

Später mehr dazu an dieser Stelle.