Der Mittelpunkt von Fichtelberg

Von Andreas Gewinner
Für Bernhard Kraus (links) war der Kalvarienberg Teil des Schulweges. Auch Ortshistoriker Horst Pecher ist gerne hier oben. Doch damit scheinen sie relativ allein zu sein. Warum? Fotos: Ronald Wittek Foto: red

Der Kalvarienberg - ein ursprüngliches Kleinod, das scheinbar unberührt mitten im Ort liegt. Seine Geschichte liegt im Dunkeln. Und sein größter Vorzug scheint gleichzeitig sein Handicap zu sein.

 
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Vor etwa 40 Jahren wurden serpentinenartige Spazierwege in dem teils steilen Gelände angelegt. Seither dürften keine großen Maschinen mehr hier unterwegs gewesen sein. Auch keine Forstmaschinen. Der Kalvarienberg ist eines der wenigen großen Buchenvorkommen im hohen Fichtelgebirge. Dazwischen stehen sogar vereinzelte Eichen, was noch seltener ist. Jemand, der das zu schätzen weiß, ist Bernhard Kraus. Der 49-Jährige ist vom Fach: Er arbeitet beim Forstbetrieb Fichtelberg. Mangels Zugang für schwere Maschinen werde der Kalvarienberg, der Teil des Staatsforstes ist, „sehr extensiv“ bewirtschaftet, so Kraus, „da gehen vielleicht mal Selbstwerber mit dem Schubkarren durch und lesen Holz.“ Das Resultat ist ein überdurchschnittlich alter und hoher Baumbestand. Die Buchen und die wenigen Fichten dazwischen schätzt Kraus auf 150 bis 200 Jahre. Er vermutet, dass es sich um einen natürlichen Bestand handelt, der den weitgehenden Kahlschlag im Fichtelgebirge vor mehr als 200 Jahren überstanden hat.

Der Erfinder des Tourismus

Als Vorsitzender des Fichtelgebirgsvereins Fichtelberg-Neubau steht Kraus auch dem Verein vor, der sich ehrenamtlich um die Anlagen am Kalvarienberg kümmert. Zum Beispiel den Hurtigfelsen und den Hurtigbrunnen, wo der FGV eine kleine Kaskade gebaut hat. Beide erinnern an den Leipziger Oberlehrer Franz Hurtig. Der kam 1886, mehr durch Zufall, von Weißenstadt aus nach Fichtelberg. Und erkannte sofort das Erholungspotenzial des Ortes, weiß Ortshistoriker Horst Pecher. Seither gilt 1886 als das Geburtsjahr des Tourismus in Fichtelberg. 50 Jahre später, 1936 wurde Hurtig dafür zum Fichtelberger Ehrenbürger ernannt.

Verschiedene Wege führen auf den Kalvarienberg. Man kann vom Parkplatz hinter dem Rathaus rechts an der Fichtelnaab entlang laufen. Dann kommt man an der Rückseite des einstigen Möbelkaufhauses Kaufmann vorbei. Hier wurden nicht nur Möbel verkauft, sondern auch produziert. Und bis nach Berlin verkauft. „Die Urlauber kamen früher noch nicht mit dem Auto, sie suchten sich im Möbelhaus etwas aus und ließen es sich dann nach Hause liefern“, so Pecher. Zwischen hohen, alten Bäumen und mächtigen Granitblöcken stößt man aber auch immer wieder auf ältere Spuren menschlicher Arbeit. Quarz und schwarze Glasschlacken schauen aus dem Weg raus. Und weiter oben am Berg gibt es sogar alte Bergbauspuren, aus der Zeit, als Fichtelberg noch Gottesgab und der Ochsenkopf noch Fichtelberg hieß. Ein tiefer Graben, darum herum liegen Quarzbrocken im braunen Buchenlaub. Manche sind strahlend weiß und sehen wie Marmor aus, andere haben schimmernde Spuren von Erz. Pecher weiß, dass auch am Kalvarienberg nach Eisenerz gegraben wurde. In Neubau habe es besseres Erz gegeben, „aber damals hat man überall versucht, Erz zu holen“.

Kreuzigungshügel

Pecher und Armin Hofmann gehören zu den Autoritäten, wenn es um die Ortsgeschichte geht. Aber der Kalvarienberg ist selbst für die beiden Fachleute unbekanntes Gelände. Auf einer alten Forstkarte der „Forstwartei Neubau“ von 1897 taucht bereits die Bezeichnung Kalvarienberg auf. Als Kalvarienberg wird eigentlich die Hinrichtungsstätte Jesu bezeichnet. Und so wie früher an vielen katholischen Orten Nachbildungen der Lourdes-Grotte entstanden, wurde im katholischen Raum Bayerns vielerorts auf Geländeerhöhungen eine Kreuzigungsgruppe mit den drei Kruzifixen errichtet. Im überwiegend evangelischen Oberfranken gibt es laut einer Liste auf Wikipedia nur zwei Kalvarienberge: außer dem in Fichtelberg einen weiteren in der Pottensteiner Teufelshöhle. In der Oberpfalz und Niederbayern sind sie wesentlich verbeiteter.

Statt einer Kreuzigungsgruppe steht heute am Fichtelberger Kalvarienberg nur noch ein einzelnes Kruzifix mit bemalter Blechfigur. An Fronleichnam wird hier oben geböllert, wenn unten die Prozession vorbeizieht.

Tausendmal gegangen

Die Beziehung von Bernhard Kraus zum Kalvarienberg reicht viel weiter zurück als sein Ehrenamt beim FGV oder sein Beruf beim Forst. „Hier oben bin ich vielleicht tausendmal gegangen.“ Der Kalvarienberg war 13 Jahre lang Schulweg für Kraus, der in der Siedlung aufwuchs. Der Weg über den Berg war kürzer als an der Straße entlang. Und als Junge hat er hier oben mit seinem Großvater Pilze gesucht. „Ein idyllischer Ort. Aber man sieht kam jemanden.“ Ein Befund, den auch Pecher bestätigt. Woran liegt es, dass einer der schönsten, ungewöhnlichsten und unberührtesten Orte weit und breit, ein Ort, über den zahlreiche regionale und überregionale ausgeschilderte Wanderwege führen, kaum angenommen wird? Liegt es daran, dass der Kalvarienberg, mangels Zufahrt mit Fahrzeugen unerreichbar ist? Kraus: „Der Kalvarienberg ist eine Insel.“

Vor einigen Jahren beschäftigte sich eine wissenschaftliche Arbeit mit den Erschließungsmöglichkeiten und dem touristischen Potenzial des Kalvarienberges. Bis dieses Potenzial dereinst mal gehoben wird, bleibt er was er ist: ein besonderer Ort, den man ungestört genießen kann.

Daten aus Fichtelberg: Einwohner: 1939, Fläche: 5,17 Quadratkilometer. Höchster Punkt: 801 Meter nahe dem alten Steinbruch am Schmierer Weg, niedrigster Punkt: 643 Meter in Hüttstadl.

Im nächsten Serienteil steht Pegnitz im Mittelpunkt.

Linkliste der bisher erschienen Serienteile:

Immer auf der Suche nach der Mitte

Bindlach

Emtmannsberg

Creußen

Bischofsgrün

Bad Berneck

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