Sinn stiften, wo keiner war: Der Anteil der Prediger an der Mobilisierung der Deutschen – „Dieser deutsche Glaube“ Der Gott des Gemetzels

Von Michael Weiser

Von wegen Friedensliebe: In allen Ländern predigten Geistliche im Ersten Weltrieg für den Kampf. Auch in Bayreuth schworen Prediger das Volk auf Opfer ein.

 
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Kaiser Wilhelm II. entließ sein Volk am 31. Juli 1914 mit einer Mahnung zu ernster Stunde. Vom Balkon des Berliner Stadtschlosses aus sprach er: „Jetzt geht in die Kirche, kniet nieder vor Gott und bittet ihn um Hilfe für unser braves Heer.“

Alles Beten half nichts, wenige Tage später stand Europa im Krieg. Und Wilhelm sprach erneut. Mitten im Frieden sei man vom Feinde überfallen worden, sagte er am 6. August 1914, und dann rief er sein Volk zu den Waffen und beschwor einen mächtigen Verbündeten: „Vorwärts mit Gott, der mit uns sein wird, wie er mit den Vätern war.“

Deutschland als Oper

Deutschland allein gegen eine Welt von Feinden, aber mit Gott auf seiner Seite: Damit hatte Wilhelm, Oberhaupt der evangelischen Kirche in Deutschland, den richtigen Ton getroffen. Einen Ton, den die Prediger allenthalben aufnahmen, obrigkeitstreu, wie sie vor allem in der evangelischen Kirche waren. Etwa Wilhelms Oberhofprediger Ernst von Dryander: „Wir ziehen in den Kampf für unsere Kultur – gegen die Unkultur! Für die deutsche Gesittung – gegen die Barbarei! Für die freie, an Gott gebundene Persönlichkeit – wider die Instinkte der ungeordneten Massen.“

Damit hatte Deutschland seine Rolle als Wahrer einer heiligen Kultur gefunden. Gottes Rolle war komplizierter. Er mochte auf Deutschlands Seite stehen, konnte aber trotzdem strafen. Der Krieg wurde zum Wachruf und bot Chance zu Läuterung und Umkehr.

Der Bayreuther Hilfsgeistliche Friedrich Eppelein bezeichnete den Krieg als Zuchtrute Gottes. „Nachdem die Boten des heiligen Gotteswortes so vergeblich Buße predigten und vielfach nur nur Gleichgültigkeit, ja Spott und Verachtung in den Gemeinden erlebten, kam der Herr selbst mit dem Kriegsgeschrei, und nun hält er durch den entsetzlichen Krieg die Bußpredigt, deren die Menschheit so dringend bedarf.“ Karl Prieser, während des Krieges Dekan in Bamberg, später Kreisdekan des Kirchenbezirks Bayreuth, zählte im Lutherjahr 1917 die nationalen Sünden Deutschlands auf: „Unsere Uneinigkeit, Parteienhass und Eigenbrödelei. Wie hebt das giftige Gewürm nun wieder sein Haupt und will uns verbittern, was uns so köstlich aus dem Blut der Besten zu erblühen schien.“

Die Sinnstifter

„Vaterlandsliebe, Kriegslust und christlicher Glaube“ seien hoffnungslos durcheinander geraten, stellte 1914 der Theologe Karl Barth fest. Damit lag er richtig. Kirchen können Trost spenden. Sie können Sinn stiften. Auch dort, wo gar keiner ist. Daher kann man ihren Anteil an der Mobilisierung des deutschen Volkes nicht wichtig genug einschätzen. Frankreichs Soldaten konnten behaupten, für die Rückgewinnung des Elsass und Lothringens zu kämpfen und um die heilige Erde zu streiten, in die sich der Feind tief eingegraben hatte. Aber die Deutschen? Was hatten sie in Belgien, in Frankreich zu suchen? Nun antworteten die Kirchen auf Fragen, die durch das Walten der Politik erst gestellt worden waren. Sie bemühten sich, dem sinnlosen Sterben Sinn zu verleihen, sie erklärten das Unerklärbare, sie weihten den Tod im Gemetzel zum heiligen Opfer.

Denn damit der Volkskörper gesunden konnte, durfte man nicht auf den Einzelnen schauen. Vergossenes Blut sollte das Verhältnis zwischen Gott und Mensch wieder richten. Eppelein predigte: „Nunmehr macht Gott dieser Lieblosigkeit des Volkes ein Ende, indem er kommt mit seinem Kriegszorn und die Menschen schmachten lässt nach dem, was sie bisher gering geachtet haben, nämlich nach seiner Vaterliebe.“ Auch die Prüfung, die Trennung der Spreu vom Weizen, war ein wichtiges Motiv. „Im Sturm sollen sich scheiden die Schlacken wertloser Frömmelei vom echten Golde wahrer Frömmigkeit“, sagt Eppelein.

Konsistorialrat Hermann Beck, erster Hauptprediger an der Stadtkirche, stieß ins selbe Horn und mahnte die Soldaten: „Seid männlich und seid stark, sagt uns Paulus. Alles weichliche und weibische, alles welsche und fremde und undeutsche Wesen muss dahinfallen wie welkes Laub, wenn der Sturm dreinfährt. Nur was Mark und Saft und Kraft in sich hat, hat heute einen Wert.“ „Gott mit uns“ stand auf den Koppelschlössern der deutschen Soldaten. Und Bataillone von Predigern taten das Ihre, dass die Deutschen das Walten Gottes im Kriege erkannten. Hermann Beck zeigte die Parallelen zwischen Geschehnissen in der Bibel und in der Gegenwart auf. Demnach hatte sich die Heeresleitung an die Briefe Paulus gehalten. Der Generalstab sei wohl vorbereitet, das deutsche Heer sofort gerüstet gewesen, sagte er in Anlehnung an das Wort des Apostels Paulus.

Dennoch ging auch manchem Prediger alsbald auf, wie es um die deutsche Sache stand. 1915 hatten vor Ypern in Flandern gigantische Schlachten getobt, mit dem Tod von Hunderttausenden als wichtigerem Ergebnis. Auch im Osten wurde erbittert gekämpft, ohne dass die Deutschen und ihre Verbündeten entscheidend vorankamen. Noch dazu hatten die Italiener den Angriff auf die Dolomitenfront begonnen. Und Prediger Eppelmann sprach zum ersten Jahrestag des Kriegsausbruchs die Möglichkeit an, dass Deutschland den Krieg womöglich nicht gewinnen werde und „der allweise Herr der Völker uns den äußeren Erfolg zunächst versagen würde“. Den entscheidenderen Sieg hätten die Deutschen woanders bereits errungen: „Dieser deutsche Glaube, der einig, treu, selbstlos gottesgeborgen machte, war der Sieg bereits, der erste und eigentliche Sieg, der die Welt überwunden hat.“ Wobei Eppelmann mit „Welt“ nicht so sehr die Gegner im Weltkrieg meint, sondern vielmehr die Anfechtungen des Materialismus und der Moderne.

Wilde auf dem Schlachtfeld

Karl Prieser wiederum beklagte die Selbstzerfleischung des christlichen Europa ebenso wie die Niedertracht von Deutschlands westlichen Feinden. „Sie haben gegen uns aufgeboten nicht nur die Männer ihrer Rasse; es ist kaum ein Land der Erde, aus dem sie nicht die Wilden auf die Schlachtfelder gegen uns getrieben haben. Sie haben mit Lüge und Verleumdung unsern Namen stinkend gemacht auf der Welt, dass drüben in Südamerika oder weit weg in China nicht der schmutzigste Lastträger noch ein Brot von einem Deutschen nehmen möchte.“

Der „Vorrang der weißen Rasse und der christlichen Völker ist preisgegeben. England hat Japan gegen Europa ausgespielt, asiatischen Buddhismus gegen das Christentum“, sagte Prieser. „Wir dagegen empfinden es als Erleichterung, wenn die Türkei, die Vormacht des Muhammedanismus (sic), auf unsere Seite tritt.“ Die Folgen könne „heute noch niemand ermessen“.

Damit, immerhin, sollte Prieser recht behalten: Japan riss sich Deutschlands Kolonien im Pazifik und in China unter den Nagel. Sein Eintritt in den Weltkrieg läutete das nächste Kapitel seiner Expansion ein, die zu einem unsagbar brutalen Krieg in China und schließlich zum Angriff auf die USA führen sollte. Deutschlands Waffenbrüderschaft mit der Türkei wiederum mündete in den Plan, das britische Kolonialreich mit Aufständen in der islamischen Welt zu erschüttern. Bis heute ist keine Ruhe eingekehrt. Auch der Dschihad war ein Unheil made in Germany und wohl kaum von Gott gewollt.

INFO: Der Text basiert auf einem Vortrag des Bayreuther Historikers Norbert Aas, dem wir vor allem für die Predigten von Friedrich Eppelein , Hermann Beck und Karl Prieser danken. Über Karl Barth hält Jochen Fähler am Donnerstag im Evangelischen Siedlungswerk einen Vortrag (19.30 Uhr).