Helmut Niederhofer war für das Rote Kreuz in Griechenland Der Chefarzt im Flüchtlings-Einsatz

Von Elmar Schatz
Helmut Niederhofer war in drei Flüchtlingscamps in Griechenland im Einsatz. Foto: red Foto: red

Was treibt einen Chefarzt aus dem geordneten Tagesablauf des Bayreuther Bezirkskrankenhauses ins Elend griechischer Flüchtlingscamps? Helmut Niederhofer erzählt es hier.

 
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In seiner Freizeit steigt er gerne auf Dreitausender in seiner Tiroler Heimat, in seinem letzten Urlaub aber hat er in griechischen Flüchtlingslagern gearbeitet: Dr. Dr. Helmut Niederhofer (50), Chefarzt der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie am Bezirkskrankenhaus Bayreuth, ist nicht nur Psychiater, sondern auch Facharzt für Allgemeinmedizin sowie Pädagoge – und damit gut gerüstet für die Basismedizin unter den primitiven Umständen eines Flüchtlingscamps.

Nicht Nervenkitzel und Abenteuerlust habe ihn in die griechische Region Mazedonien getrieben, sondern der Wille, den dort Gestrandeten zu helfen, betont er. Am Anfang stand eine Anfrage des Deutschen Roten Kreuzes, ob er zu diesem Einsatz bereit sei.

Seine Familie, die in Innsbruck lebt – seine Frau (57), die Psychotherapeutin ist, und seine beiden 16 und 21 Jahre alten Töchter – gaben grünes Licht: „Wenn’s nicht so oft vorkommt, darfst Du das machen.“

So brach er Ende Juni nach Griechenland auf, um bis Mitte Juli mitzuhelfen, drei Lager medizinisch zu versorgen, in dem Rhythmus: sechs Tage arbeiten, ein Tag Freizeit. In einem internationalen Team unter finnischer Leitung.

Miteinander wird Englisch gesprochen; für die Verständigung mit den Flüchtlingen sind Übersetzer aus deren Reihen rekrutiert, die mehr oder weniger gut die englische Sprache beherrschen. Ein Übersetzer bekommt 30 Euro pro Tag, erklärt Niederhofer.

„Mein Motiv war, humanitäre Hilfe vor Ort zu leisten; ich wollte nicht nur aus den Medien erfahren, wie es den Leuten dort geht.“ Der Chefarzt hatte sich auch für den Ebola-Einsatz in Afrika gemeldet, der war vorbei, bevor er dorthin entsandt werden konnte. Als Arzt gearbeitet hat er bereits in einem Homeland in Südafrika.

Nun half er in der Gegend des aus den Schlagzeilen wieder verschwundenen griechischen Ortes Idomeni als sogenannter Rotkreuz-Delegierter, mit Kolleginnen und Kollegen aus Finnland, Deutschland, Österreich sowie der Schweiz.

Die Rotkreuzteams haben ihr Quartier in der 52 000-Einwohner-Bezirksstadt Kilkis, etwa 60 Kilometer nördlich von Thessaloniki und rund 20 Kilometer von der mazedonischen Grenze entfernt. Ende Februar dieses Jahres hat Mazedonien seine Grenze für Flüchtlinge gesperrt; die sogenannte Balkanroute ist damit auch an dieser Stelle dicht. Fünf Familien müssen in einem Zelt leben Tausende Flüchtlinge harren seither in Griechenland aus, in Zelten, unter deren Planen es derzeit etwa 46 Grad heiß ist.

„Die Langeweile wird überbrückt, indem Kinder gezeugt werden“

Was tun diese Menschen den ganzen Tag? „Die Langeweile wird überbrückt, indem Kinder gezeugt werden“, sagt der Doktor sehr direkt. Zum medizinischen Team gehört immer auch eine Hebamme. Bei Kurden gelte, dass sich der Mann eine andere nehmen darf, wenn sich seine Frau verweigert oder gerade ihre Tage hat, erfuhr er im Lager.

Fünf Familien müssen in einem Zelt hausen, häufig komme es zu Streitereien, etwa zwischen Kurden und Afghanen. Steine würden dann geworfen oder es werde zu Prügeln gegriffen. Brenzlige Situationen seien das für die Helfer, die sich dann in ihrem Zelt auf den Boden werfen und Schutz suchen. „Die Polizei hat uns nicht geholfen, die kommt zwar, bleibt jedoch draußen vor dem Lager stehen“, schildert Niederhofer.

Die vielen Flüchtlingskinder spielen im Dreck, mit der Gefahr, sich Infektionen zuzuziehen, die auch von den massenhaft vorhandenen Stechmücken verursacht werden, erklärt der Arzt. Im Hygiene-Zelt würden die Menschen informiert, wie sie sich einigermaßen sauber halten können. Versierte Rotkreuztechniker haben Wasseraufbereitungsanlagen aufgebaut.

Von den Griechen komme kaum Unterstützung. Als in der Wasserleitung Kolibakterien entdeckt wurden, habe es geheißen, für Chlor sei kein Geld da. Die Lebensmittel für die Flüchtlinge lieferten die Griechen zwar, aber da komme dann ein großer Tieflader mit Essenspäckchen, die einfach runtergekippt würden. „Die Leute streiten sich dann darum, es herrscht Chaos, bei den Kleiderlieferungen ist es genauso“, erklärt Niederhofer.

Nur bei Notfällen dürften kranke Flüchtlinge in Kliniken gebracht werden; in der Region habe er nur zwei Krankenhäuser und zwei Medizinische Versorgungszentren ausgemacht, erklärt Niederhofer. Er nennt das Beispiel einer Gallenkolik; der Patient sei nicht operiert worden, sondern habe nur ein Schmerzmittel bekommen.

Die Ärzte müssen Medikamente sparen

Mit den Medikamenten müssen die Ärzte äußerst sparsam umgehen. „Tabletten werden genau abgezählt“, sagt der Arzt. Die Einfuhr der Medikamente werde von den Griechen blockiert, die darauf bestünden, griechische Präparate zu verwenden; ausländische müssten erst aufwendig registriert werden, was zwei Jahre dauern könne; drei Ministerien seien damit befasst. So sei es kaum möglich, gespendete Arznei in die Lager zu liefern.

Alarmstimmung herrsche bei den griechischen Behörden nur, wenn eine Epidemie drohe. Am Ende des Fastenmonats Ramadan hätten plötzlich drei Mal so viele Menschen Durchfall gehabt, am nächsten Tag sei jedoch alles wieder normal gewesen; die Leute hatten einfach zu viel gegessen.

Lager zwischen relativ nobel und heruntergekommen

Die drei Lager bei Kilkis beschreibt Niederhofer so: Das erste sei „relativ nobel“ – ein alter, stillgelegter Militärflughafen, betoniert und eben, das zweite bestehe aus „einer Art neuzeitlicher Ruinenfundamente“ und das dritte sei eine heruntergekommene Fabrikhalle, in der die Zelte stehen. Hier seien Leute untergebracht, die gewaltsam den Grenzdurchbruch versucht hätten; sie seien besonders aggressiv; die Rotkreuzteams wagten es nicht, hier ein eigenes Zelt aufzustellen, sondern behandelten im Fahrzeug, um bei Übergriffen rasch wegfahren zu können.

Die Einsatzfahrzeuge seien, obwohl neu gekauft, deutlich beschädigt; da fehle schon mal der Rückspiegel. Jedem Kranken werde ein Patientenblatt mit Angaben zu Diagnose und Therapie ausgehändigt, das leider nicht selten verloren gehe. Die Daten müssten nach Athen gemeldet werden, jedoch nur mit Vornamen – aus Datenschutzgründen.

Zur Person

Dr. Dr. Helmut Niederhofer, Chefarzt am Bayreuther Bezirkskrankenhaus, mag die Abwechslung und die Herausforderung. „Ich bin einer, der sich wehrt, alt zu werden“, sagt er. Geboren in Wien, aufgewachsen in Innsbruck, hat er in Wien Medizin und in Innsbruck Psychiatrie sowie Pädagogik studiert, hat sechs Jahre in Bozen eine ambulante Kinderpsychiatrie aufgebaut, sechs Jahre in Sachsen gearbeitet und ist nun eineinhalb Jahre in Bayreuth.                                                egs

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