Den Führerschein hergeben? Bloß nicht!

Von Peter Rauscher
Seit fast 50 Jahren unfallfrei: Marga Kunschke aus Seybothenreuth. Ein Gratisticket will sie nicht, solange sie gut Auto fahren kann. Foto: Andreas Harbach Foto: red

Erhöhen alte Menschen am Steuer das Unfallrisiko? Einige bayerische Kommunen schaffen gerade Anreize, damit Senioren ihren Führerschein freiwillig abgeben. Ein Bayreuther Altersmediziner sagt dazu aber: „Das würde ich niemals machen.“

 
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Ein Fahrfehler mit tödlichen Folgen: Weil er Gas- und Bremspedal verwechselte, hatte ein 85-Jähriger in Baden-Württemberg 2016 zwei Menschen totgefahren und 27 verletzt. Der Mann steht jetzt vor Gericht, den Deutschen Verkehrsgerichtstag hatte der Fall Anfang des Jahres zu einer heftigen Diskussion über verpflichtende Fahrtests für Senioren veranlasst.

Ein Zuckerl für Senioren

Mit einem  Lockmittel für Senioren, ihren Füherschein freiwillig abzugeben, machen der Landkreis Unterallgäu und die Stadt Kaufbeuren bundesweit Schlagzeilen: Das ZDF hat sich angesagt, das Bayerische Fernsehen und die „Süddeutsche Zeitung“ berichteten. Der Grund: Senioren ab 63 beziehungsweise 65 Jahren erhalten dort für ein Jahr kostenlose Bustickets, wenn sie ihren Führerschein freiwillig zurückgeben. Im Unterallgäu haben schon 70 Personen das Angebot angenommen, in Kaufbeuren seit 1. Mai bereits 50. Die Kosten tragen die Verkehrsverbünde und die Kommunen, die Stadt Kaufbeuren hat dafür 30000 Euro bereitgestellt. Wenn der Ansturm anhält, werden die verfügbaren 100 Jahrestickets in Kaufbeuren bald vergeben sein. Kritik, die Führerscheinrückgabe gegen ein Jahresticket sei ein schlechtes Geschäft, kann Stadtsprecherin Andrea Hiemer nicht verstehen: „Wir wollen niemanden nötigen, sondern nur einen Anreiz schaffen, ein Zuckerl bieten“. Von dem riesigen Interesse ist sie selbst überrascht.

In Bayreuth 13 Führerscheine abgegeben

Im Landkreis Bayreuth hat man so einen Versuch noch nicht gemacht, in der Stadt gab es so ein ähnliches Projekt vor rund zehn Jahren. Nach Auskunft von Stadtsprecher Joachim Oppold wurde es aber wieder eingestellt – mangels Nachfrage. Im vergangenen Jahr gaben in der Stadt 13 Personen im Alter über 65 Jahre ihren Führerschein ab. Sie taten das aber nicht freiwillig, sondern weil die Führerscheinbehörde ihre Fahreignung überprüfen lassen wollte. Im Landkreis Bayreuth gaben 34 Senioren ihren meist noch grauen Lappen zurück.

Insgesamt 30 Mal wurden in der Stadt Überprüfungen von älteren Führerscheininhabern angeordnet, im Landkreis waren es 61 Fälle. Wenn jemand zum Beispiel von der Polizei, Betreuern oder Verwandten als auffällig gemeldet wird, entscheidet die Führerscheinstelle, ob der Betreffende zum Gespräch geladen wird, ob fachärztliche Untersuchungen, Begutachtungen oder Fahrproben veranlasst werden und am Ende die Fahrerlaubnis entzogen wird.

Polizei: Mehr Unfälle, aber kein erhöhtes Risiko

Dass ältere Autofahrer allgemein ein größeres Risiko im Straßenverkehr darstellen würden, kann die oberfränkische Polizei nicht bestätigen. Zwar registrierten die Beamten im vergangenen Jahr sechs Prozent mehr Unfälle mit älteren Menschen, dies liege aber daran, dass die Zahl älterer Autofahrer generell zunehme. In zwei von drei Unfällen seien sie die Verursacher. Allerdings sagt Polizeisprecher Heiko Mettke klipp und klar: „Bei den über 65-Jährigen ist kein besonders hohes Unfallrisiko festzustellen.“

Ratschlag: Probestunde beim Fahrlehrer

Dr. Holger Lange, Chefarzt in der Klinik für Geriatrie am Klinikum Bayreuth, teilt die Einschätzung der Polizei. Erst ab 80 Jahren nehme das Risiko, einen Unfall zu verursachen, leicht zu. „Die meisten Unfälle verursachen immer noch die 18- bis 25-Jährigen, obwohl das begleitete Fahren mit 17 schon zu einer Besserung geführt hat,“ sagt Lange. Mit ihrer Erfahrung und ihrem vorausschauenden Fahren könnten ältere Fahrer oft ausgleichen, was sie an Reaktionsvermögen eingebüßt haben, sagt Lange. Außerdem führen sie in der Regel langsamer. Nachlassende Sehkraft, schlechteres Gehör, eingeschränkte Beweglichkeit des Kopfes oder fortschreitende Demenz könnten die Fahrtüchtigkeit beeinträchtigen, doch: „Kluge Menschen fahren dann nicht mehr Auto.“ Im Zweifelsfall rät der Chefarzt zu einer Probestunde bei einem Fahrlehrer, der Vertraulichkeit zusichere.

Grau am Steuer: Kommt das teuer?

Der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft geht noch weiter. Unfallforscher Siegfried Brockmann fordert verpflichtende Fahrtests für Autofahrer ab 75. Ab diesem Alter werde das Unfallgeschehen „sehr auffällig“. Diese Senioren verursachten drei Viertel ihrer Unfälle selbst, der Wert liege sogar höher als bei den 18- bis 21-Jährigen. Also Grau am Steuer – das kommt teuer? „Mit zunehmendem Alter steigt das Risiko“, sagt Brockmann. Das Ergebnis der Fahrtests soll seiner Ansicht nach aber vertraulich behandelt werden, niemand solle zur Führerscheinrückgabe gezwungen werden.

Chefarzt Holger Lange würde sein Auto nicht mehr anrühren, wenn er Zweifel an seiner Fahreignung hätte. Aber freiwillig den Führerschein zurückgeben? „Niemals. Das ist fast wie eine Entmündigung.“ Wenn man weniger alte Menschen am Steuer haben wolle, gibt es aus seiner Sicht nur ein Mittel: Überall – auch auf dem Land – eine bessere Anbindung über öffentliche Verkehrsmittel schaffen.

So wichtig ist der Führerschein für Senioren:

Margot Eisenhut (75) aus Weidenberg: „Vor rund zwei Jahren musste ich meinen Führerschein aus gesundheitlichen Gründen zurückgeben. Freiwillig hätte ich das nie gemacht. Das hat mich fertig gemacht, ich habe es bis heute nicht verkraftet, denn ich habe meine Unabhängigkeit verloren. Früher habe ich mit dem Auto Ausflüge mit Freundinnen unternommen, bin zum Einkaufen auch nach Bayreuth gefahren. Jetzt fährt mich eine gute Freundin zum Einkaufen oder zum Friseur. Ich gehe auch viel zu Fuß, wenn ich dazu körperlich in der Lage bin, und fahre mit dem Zug nach Bayreuth. Den Stundentakt und den behindertengerechten Fahrstuhl am Bayreuther Bahnhof finde ich gut, aber die Fahrten sind teuer. Wenn ich mir etwas wünschen könnte, wären das ein paar Sitzgelegenheiten auf meinen langen Wegen, auch zum Bahnhof.“

Berta Albersdörfer (82) aus Kirchenpingarten: „Ich habe den Führerschein seit 1964 und bin immer unfallfrei gefahren. Auch heute fahre ich noch Auto, aber nur, wenn ich mich gut fühle. Dann fahre ich nach Kemnath oder Weidenberg, aber nicht mehr nach Bayreuth. Mit 82 fährt man nicht mehr in die Stadt. Wenn ich einen langfristigen Termin habe, zum Beispiel bei der Fußpflege in Weidenberg, bestelle ich mir vorsichtshalber den begleiteten Fahrdienst von Siso-Netz. Wenn es mir nicht gut geht, kauft die Frau meines Neffen für mich ein. Ich kenne niemanden aus der Nachbarschaft, der mit dem Bus fährt.“

Marga Kunschke (82) aus Seybothenreuth: „Ich fahre noch selber, aber wenn mein Auto in eineinhalb Jahren den TÜV nicht mehr schaffen sollte, ist es damit vorbei. Ich fahre auch noch nach Bayreuth, nur zurzeit nicht, da gibt es zu viele Baustellen. Mit dem Zug zu fahren traue ich mich nicht so recht. Das Ein- und Aussteigen könnte schwierig sein, und am Fahrkartenautomaten kenne ich mich nicht aus. Nach Weidenberg, wo ich manchmal hin muss, fährt leider kein Bus. Wenn ich nicht mehr Autofahren könnte, würde ich mir überlegen, ob ich meinen Führerschein für ein Gratis-Busticket hergebe.“ ⋌raus

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