Das Tagwerk Franz Pröbster Kunzels

Von Michael Weiser
Szepter einer archaischen Zeit: Franz Pröbster Kunzel vor einer seiner Reihungen. Foto: Michael Weiser Foto: red

Ein Schamane in Bayreuth: Franz Pröbster Kunzel stellt auf Einladung des Kunstvereins in der Ausstellungshalle im Neuen Rathaus aus. Der Oberpfälzer hat die Natur zu seinem Thema gemacht - und die Zeit. Davon sollte man auch ein bisschen mitbringen - es lohnt sich. 

 
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Franz Pröbster Kunzel sagt ein Wort, und ein Lächeln breitet sich über sein Gesicht aus. Das Wort lautet einfach „Tagwerk“, zwei Silben, so nüchtern, wie es ein deutsches Wort nur sein kann. Aus seinem Munde aber klingt es, als habe er es ausgekostet, gewogen, gewendet, neu geprägt. Er mag dieses Wort in seiner Doppeldeutigkeit, er mag es auch wegen seiner Herkunft aus der Welt der Bauern. Pröbster sagt das Wort, während er letzte Hand an seine Ausstellung im Neuen Rathaus legt, mit Arbeiten aus 30 Jahren.

Pröbster Kunzel war selbst mal ein Bauer. Und dieses Wort „Tagwerk“, so scheint es, sagt in seinen Augen und Ohren alles über den Mensch und die Natur, den Raum und die Zeit. Tagwerk ist das, was ein Mensch an einem Tag schaffen kann, in der Landarbeit, was früher mal hieß: in so enger Verbindung mit der Natur wie nur möglich. Tagwerk ist damit aber Maß der Arbeit, es ist auch ein Flächenmaß. Den Flecken Erde also, den ein Bauer bestellt, Tag für Tag, im festen Rhythmus, bis der Zyklus von neuem beginnt, scheinbar in alle Unendlichkeit: in Pröbsters Augen ist dieser Landbesteller ein glücklicher Sisyphos.

Was ist das denn - Zeit?

Die Natur, ihre Zyklen, ihre Materialien - das sind die Themen des früheren Bauern, der 1975 den Beruf des freischaffenden Künstlers ergriff. Eine Serie seiner Bilder heißt „Ordnung und Chaos“, wobei die Ordnung von Natur aus vorhanden scheint, bis durch seine darauf gesetzte Arbeit Chaos entsteht, wirre Linien und Flecken - Gottes Werk und Künstlers Beitrag. Andere Werke des Künstlers und Performers lassen das Zutun des Künstlers im Gegenteil als Ordnungsversuch erscheinen. Etwa seine so genannten Lebensbretter - sein Gegenentwurf zu den aus der ländlichen Kultur bekannten Totenbrettern - auf denen Pröbster Tage und Monate akribisch in Kerben vermerkt. Es ist vermutlich sein Versuch, sich des flüchtigen Stoffes der Zeit zu vergewissern oder sich überhaupt erst einmal zu frage, was das überhaupt sei: die Zeit?

Jedenfalls etwas, was nichts unberührt lässt. Auf Juraschiefer hat er feinsäuberlich Tuschestriche aufgebracht. Wie Kalender wirken die Reihen, manchmal aber auch wie eine imeginäre Landkarte. Die Steine sind durch den Frost geplatzt und gesprungen. "Sie so zu spalten, dazu wäre ich viel zu faul", sagt er. 

In graphischen Arbeiten hat er auf Büttenpapier feinsäuberlich mit japanischer Tusche Strichlisten aufgetragen, daneben einen dicken Strich, wie die Summe des Ganzen. „Der steht für den Augenblick“, erläutert er. Daneben hängt seine Arbeit aus Weidenringen, handgeflochten aus den Trieben von Kopfweiden. Zigtausende habe er gefertigt, sagt Pröbster. Es scheint, als habe Pröbster eine Chiffre für die vergangene Zeit gefunden. Oder zumindest eine Annäherung an die Unendlichkeit gewagt.

Ein Szepter für die Besucher

Der Künstler, der den Namen seines Hofs seinem Nachnamen angehängt hat, ist nach eigenen Worten mit dem Performer Hermann Nitsch befreundet und sagt, dass er von Joseph Beuys „herkomme“. Mit Nitsch verbindet ihn die künstlerische Aktion. Seine Kunstwerke darf man berühren, Pröbster erwartet das sogar; nur durchs Greifen könnten die Menschen be-greifen, sagt er. Das Werk und sein Material dürfen den Menschen verändern. Manchmal erzeugt Pröbster mit Buchengerten Töne auf einer langen Rindenröhre. Minutenlang macht er das, bis zu einer gewissen Form von Trance. „Wenn ich länger spiele, dann spiele nicht mehr ich, dann spielt das Material mit mir.“ Manchmal bekrönt er seine Gäste mit Blattkronen oder drückt ihnen Szepter in die Hand: auf dem Kopf stehende, entrindete und entastete Tannen, genauer: gewesene Weihnachtsbäume, auf die er einen metallenen Aufsatz gesteckt hat: Kopf, Sonnenscheibe oder mysteriöses Symbol, je nach Betrachter. Die Reihung seiner Szepter, die er verwandt mit Bischofsstäben sieht, gehört in ihrer archaischen Anmutung zum Stärksten in dieser Ausstellung.

Mit Beuys, dem Schamanen der Kunst, verbindet ihn die magische Aufladung von Symbolen, aber auch das System seiner individuellen Mythologie. Pröbster sagt, er habe mit der Kunst aus der Depression herausgefunden.Neben seinen Lebensbrettern stehen die Leidensbretter, mit Mullbinde und Pflastern beklebt, menschenähnliche Züge, mit Blut aufgetragen. Ein "Zeige deine Wunde" aus der Oberpfalz.

Kunst sei für ihn zunächst kein bewusstes Schaffen, sondern Meditation, sagt Pröbster. Und zwar eine Meditation, die um sein Vorwissen als Bauer kreist: In akribisch genauen Linien malt er Punkt an Punkt, wie ein Bauer, der Samenkörner in die Furche legt. Auf Filz zieht er unruhige schwarze und weiße Linien, die ebenfalls wie die Furchen eines Ackers anmuten. Mit einem Spachtel hat er die Farben nicht nur aufgetragen, sondern sogar ins Faserwerk des Filzes hineingewuchtet.

Der „Kunzel“ macht vor, wie er das Werk geschaffen hat: breitbeinig, mit beiden Händen ein imanginäres Werkzeug ergreifend und den Boden harkend. Wie ein Bauer. Ein Bauer, der die Zeit beackert.

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