Günther Groissböck über den Druck vor der Premiere, buhende Zuschauer und seinen Abschied aus Bayreuth „Das geht durch Mark und Bein“

Von Florian Zinnecker
 Foto: red

„Ein fahler Beigeschmack bleibt natürlich zurück, weil man sich fragt: War es nicht gut?“ So kommentiert Günther Groissböck die Entscheidung, den „Tannhäuser“ vom Spielplan zu nehmen. Nach dieser Saison verabschiedet sich der Sänger von Bayreuth. Ein Interview. 

 
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Dem Klischee eines Bassisten entspricht Günther Groissböck ganz und gar nicht. Allein deshalb, weil er keinen Bart trägt. Seit seinem Bayreuth-Debüt als Landgraf im Jahr 2011 avancierte er schnell zum Publikumsliebling. Im „Rheingold“ debütierte er in diesem Jahr als Fasolt. Doch erhalten bleiben wird er beiden Produktionen nicht. Ein Interview.

Herr Groissböck, Sie standen in diesem Sommer erstmals als Fasolt im „Rheingold“ auf der Bühne. Konzertant hatten Sie die Partie schon gesungen. Wie groß ist der Schritt vom Notenpult auf die Bühne?

Günther Groissböck: Generell kann das Szenische helfen, das Musikalische noch selbstverständlicher und organischer werden zu lassen. Manchmal kann es auch hinderlich sein, zumindest anfangs – mit manchen Konzepten muss man sich erst anfreunden. Das hängt auch vom Regisseur ab. Manche Regisseure arbeiten sehr körperbetont, ich sage jetzt als Beispiel: Robert Wilson. Da ist jede Bewegung genau festgelegt, alles hat eine gewisse Symmetrie. Bei Frank Castorf sind wir in der Bewegung relativ frei.

 

Wenn die öffentliche Aufmerksamkeit bei einer Premiere so groß ist wie beim Castorf-„Ring“: Wie hoch ist dann der Druck?

Groissböck: Da muss ich ehrlich sagen: Ich finde Fasolt von der sängerischen Herausforderung her überschaubar. Das ist keine Partie, vor der man Angst haben muss. Man muss schön singen, man muss Farben bringen – die Partie ist ja fast schon ein kleiner Liederzyklus (lacht). Aber die Wahrscheinlichkeit zu scheitern ist sehr klein. Es gibt Partien, da weiß man am Ende des Abends: Heute habe ich mein Geld hart verdient. Die sind auch mental sehr anstrengend. Aber es gibt auch viele Abende, an denen ich denke: Da bist du schon sehr privilegiert, dass du so schön und so leicht dein Geld verdienen kannst.

 

Besteht bei solchen regiekonzeptfixierten Produktionen – ob als Fasolt im Castorf-„Rheingold“ oder als Landgraf im Baumgarten-„Tannhäuser“ – für Sie als Sänger das Risiko: Mitgefangen, mitgehangen?

Groissböck: Ein bisschen, natürlich, aber das ist immer so. Das ist auf der einen Seite eine Gefahr, auf der anderen eine Chance. Man kann natürlich im Rahmen des Gesamtkonzepts schon auch für sich kämpfen. Um seine Figur so kantig wie möglich zu zeigen, ihr Profil zu geben, so gute Arbeit wie möglich abzuliefern – so kann man sein eigenes Schicksal ein bisschen beeinflussen.

 

Mindestens im „Tannhäuser“ ist Ihnen das ja genau so gelungen.

Groissböck: Ich kann nicht klagen, mir hat die Produktion Glück gebracht und auch Freude gemacht. Die Ästhetik hat mir im ersten Moment auch nicht unbedingt gefallen. Aber wenn man die Konzeption über fünf, sechs Wochen hin plausibel erklärt bekommt, dann wächst man hinein. Ich könnte ja nur schwer etwas mittragen, wenn ich mich total dagegen sträube.

 

Ist dieser Prozess des Hineinwachsens inzwischen abgeschlossen? Ist die Figur für Sie fertig?

Groissböck: Eigentlich schon, ja. 2012 haben die Hauptdarsteller gewechselt, das hat der ganzen Geschichte natürlich eine andere Perspektive gegeben und auch die Energie auf der Bühne verändert. Aber in diesem Jahr sind die Spielkameraden die gleichen geblieben.

 

Ein Spielkamerad war dann doch anders: im Graben stand Axel Kober, als dritter Dirigent dieser Produktion. Wie ändert sich dadurch die Arbeit auf der Bühne – wenn die Figur doch fertig ist?

Groissböck: Wir haben beim „Tannhäuser“ ja einiges erlebt. Im ersten Jahr, mit Thomas Hengelbrock, gab es eine große Ungewissheit, aber ich habe mich sehr wohl gefühlt mit ihm, das war ein sehr entspanntes Musizieren. Im zweiten Jahr kam Christian Thielemann, er hat einiges umgekrempelt und Striche geöffnet, das war sehr spannend. In diesem Jahr ist es relativ entspannt. Keine großen Variablen oder Ungewissheiten, eine im besten Sinne des Wortes solide Arbeit. Atmosphärisch ist es sehr angenehm.

 

Vor dieser Saison wurde bekannt, dass „Tannhäuser“ vorzeitig vom Spielplan genommen wird. Hat diese Entscheidung die Stimmung im Ensemble beeinflusst? Hat sie Ihre Stimmung beeinflusst?

Groissböck: So umstritten die Produktion auch ist, sie ist irgendwie auch Teil von mir geworden. In diesem „Tannhäuser“ hatte ich mein Bayreuth-Debüt, es war für mich persönlich ein großer Erfolg, natürlich ist es deshalb etwas Besonderes. Und natürlich, ein fahler Beigeschmack bleibt doch zurück, weil man sich jetzt fragt: War es nicht gut?

Das ist ja das Spannende bei Neuproduktionen – man ist so sehr mit der Sache verwoben, dass man die Objektivität, die man ja sowieso nie so ganz hat, vollends verliert. Man gewinnt eine Inszenierung lieb – und ist dann entsetzt über die Reaktion der Zuschauer, weil man die ganz anders erwartet hätte. Es ist immer erstaunlich, wie das Publikum im Collosseum den Daumen hebt oder senkt.

Mich selbst betrifft das nicht ganz so unmittelbar, ich steige nächstes Jahr aus. Ich gehe nach Salzburg, ich habe ein Angebot, bei dem ich nicht Nein sagen kann. Ich gehe schweren Herzens, muss ich sagen, und es gibt auch jetzt noch Momente, in denen ich mich frage: Ist das wirklich klug? Aber ich spüre, es muss sein.

 

Waren Sie überrascht, dass das Publikum den Daumen senkt?

Groissböck: Um ehrlich zu sein – nein. Einfach aus ästhetischen Gründen. Wenn man den „Tannhäuser“ zum Beispiel mit dem „Lohengrin“ von Hans Neuenfels vergleicht, der ja ein Jahr vor uns Premiere hatte, dann muss man sagen: Unsere Ausstattung ist weniger schön. Es war klar, dass sich viele Leute über vier, fünf Stunden hin an der Fabrikhalle sattgesehen haben und dann vielleicht keine Lust mehr haben, dem Geschehen zu folgen. Dass es nicht die Lieblingsproduktion der Festspiele für die nächsten hundert Jahre wird, das habe ich schon erwartet.

 

Erinnern Sie sich an den Moment nach der Premiere 2011, als das Buh-Gewitter einsetzte?

Groissböck: Ja, natürlich. Die Akustik des Festspielhauses ist ja nicht nur für die Sänger so günstig, sondern auch umgekehrt: Die Reaktionen aus dem Zuschauerraum kommen auch ziemlich heftig bei uns auf der Bühne an. Das geht schon durch Mark und Bein, das spürt man fast physisch.

 

Schmerzt das?

Groissböck: Was die Regie betrifft, ein bisschen – aber ich muss gestehen, es hält sich in Grenzen, weil ein Regisseur solche Reaktionen natürlich zu einem gewissen Grad provoziert. Ich glaube nicht, dass Sebastian Baumgarten erwartet hat, mit Rosen beworfen zu werden. Man entwickelt mit den Jahren aber einen gewissen Instinkt für die Qualität eines Buhs oder Bravos. Da geht es um Nuancen – und dann, wenn es feindselig wird, tut es ein bisschen weh. Vor allem, wenn der Zorn der Zuschauer diejenigen Leute trifft, die eigentlich ihr Bestes gegeben haben, aber in einer Inszenierung einfach unglücklich rüberkommen. Da wird es dann wirklich unangenehm.

 

Wie wirkt sich ein Buh-Gewitter nach der Premiere überhaupt auf das Ensemble aus? Immerhin bleibt nach getaner Arbeit ja zumindest zum Teil die symbolische Belohnung aus: der Applaus.

Groissböck: Mit dem Tag der Premiere kann sich auch innerhalb des Ensembles einiges ändern. Das habe ich oft beobachtet. Nicht unbedingt in Bayreuth, nicht unbedingt beim „Tannhäuser“. Aber man muss sich vorstellen: Über fünf Wochen hin arbeiten Sie sehr eng mit den Kollegen zusammen, bis zur Premiere. Und dann gibt es auf einmal diese Bewertung von außen – durch die Publikumsreaktionen, die Kritiken, et cetera. Dann ergeben sich oft völlig neue Hierarchien, gegenseitige Bewunderung und Neid.

 

Wäre es – mit Blick auf die Gruppendynamik – besser gewesen, die Produktion gleich abzusetzen? Kann eine Inszenierung totlaufen?

Groissböck: Nein, dazu ist der Ort zu exponiert. Letztlich kämpft jeder ja auch um sein eigenes Wohl. Jeder weiß, dass er hier gut singen muss, sogar in den Generalproben, weil da die künstlerischen Entscheidungsträger der Branche im Publikum sitzen. Da spricht es sich schnell herum, wenn man nicht gut singt.

Das Gespräch führte Florian Zinnecker