"Da geht ein Stück Welt unter" Lob für Orchester, Unverständnis über die Regie: Pressestimmen zum „Ring“

 Foto: red

Frank Castorf verstehen, Teil 4: In den Medien löste Frank Castorfs Inszenierung des 
„Rings des Nibelungen“ ähnlich kontroverse Reaktionen aus wie im Publikum. Die einen rufen „Buh“, 
die anderen „Bravo“. Nur einer bekam einhellig Beifall: Dirigent Kirill Petrenko.

 
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„Dieser neue Bayreuther „Ring“, von dem es im Vorfeld hieß, er wolle vom Kampf ums Erdöl erzählen, hat keine Handlung, erzählt keine Geschichte. Er kippt stattdessen, aus großen Eimern, kleingehäckselte Second-Hand-Story-Splitter in die schönen Bühnenbilder hinein.“  Frankfurter Allgemeine Zeitung

„Castorf ist es tatsächlich gelungen, die Sänger zu seinem schmutzigen und aggressiv-präsenten Spiel zu überreden, und er hat „Das Rheingold“ derart temporeich und mit praller Detailfülle in Szene gesetzt, dass man an die angeblichen neun Tage Probenzeit gar nicht glauben mag.“ nachtkritik.de

„Was diesem Regisseur nicht liegt, das lässt er uninszeniert brachliegen.“ Süddeutsche Zeitung

„Deutlicher kann Regie kaum sein. Deutlicher kann sie nicht sagen: Wagner, die olle Musik, der Ring mit seinen 16 Stunden, die heilige Bayreuther Akustik – das geht mir alles, pardon, am Arsch vorbei.“ Die Zeit

„Man darf Richard Wagner sicher trivialisieren, minimieren, entmythologisieren oder auch karikieren. Aber marginalisieren, ihn in seinem größten, 30 Jahre gereiften Kunstwerk einfach beiseite schieben? Nichts anderes tat Frank Castorf auf seinem Ego-Trip durch siebzehn Stunden „Ring“-Geschehen.“ Nürnberger Nachrichten

„[D]as mit dem „Warum“, so die Empfehlung für Frank Castorfs Bayreuther „Siegfried“, sollte man ohnehin lassen. Überhaupt gibt es einige Voraussetzungen für reibungslosen Genuss: bitte keine Rückführung auf den Text. Keine Verbindungen schlagen zur Musik. Nachsicht mit einem, der muffig auf Regie-Barrikaden hockt, die längst bröckeln.“  Münchner Merkur

„Wenn sich keine greifbare Reibung zwischen Denics konkreten Settings und der Wagner’schen Vorlage ergab, flüchtete Castorf in die Nicht-Regie, die dann wie allerkonventionellstes Rumstehtheater aussah (die Chor-Regie in der „Götterdämmerung“ etwa ist ein einziges Desaster), allenfalls aufgepeppt durch ein paar Video-Einsprengsel oder frei flottierende Zitate.“ nachtkritik.de

„Ja, es gibt zwischendurch Herumstehtheater in dieser neuen „Walküre“, das könnte ebenso gut vor fünfzig Jahren von Wolfgang Wagner inszeniert worden sein.“ Frankfurter Allgemeine Zeitung


„An dieser „Götterdämmerung“ wird auf szenischer wie musikalischer Seite noch zu arbeiten sein, ansonsten war die Wahl dieses Jubiläums-„Ring“-Gespanns eine richtige.“ Die Welt

„Eines ist bedenkenswert: Selten ist hier über eine Inszenierung so geredet worden, da muss man zurückgehen bis zu Schlingensiefs „Parsifal“, womöglich bis zu Chéreaus „Jahrhundertring“. Castorf hat etwas in Gang gesetzt.“ Münchner Merkur

„Man muss es nicht mögen, wenn man nicht gemocht wird. Aber ein Regisseur, der dem buhenden Publikum mit Hohngesten antwortet, disqualifiziert sich selbst. Frank Castorf scheitert nicht mit, aber nach seinem Bayreuther „Ring““. Frankenpost

„Die bislang wohl schärfste Revision des Chéreau-„Rings“ hat Castorf erarbeitet, wenn man in diesem Fall überhaupt von Arbeit sprechen kann. An die Stelle der Analyse setzt er die Nichtbefassung mit Stoff und Musik. Sinn wird ersetzt durch die Apotheose der Sinnlosigkeit. Ikonographisch regieren in diesem „Ring“ Genosse Zufall, das Filmerinnerungszitat und die überbordende Phantasie des Bühnenbildners.“ Frankfurter Allgemeine Zeitung

„Vor allem kann man auf die Bühnenbilder von Aleksandar Denic schauen, die sind, neben dem Dirigat Kirill Petrenkos, das eigentliche Wunder dieses „Rings“.“ Münchner Merkur

„So überzeugend und detailverliebt das Raumkonzept von Aleksandar Denic, so vertiefend die teilweise vorproduzierten, größtenteils aber Live-Videobilder von Andreas Deinert und Jens Crull (ganz zeittypisch im „Rheingold“ etwa in minderer Farbqualität, in „Walküre“ in schwarz-weiß): Sie können inhaltlich nicht alles tragen und abdecken. Gerade, wenn die großen Gefühle ausbrechen, lässt Castorf seine Akteure zu oft allein.“ Nürnberger Nachrichten

„Das Stärkste an Frank Castorfs Neuinszenierung des „Ring des Nibelungen“ in Bayreuth ist die Ausstattung: die detailverliebten Kostüme, die schnelle Lichtregie, die live produzierten Videos, vor allem aber die grandiosen Bühnenbauten, die sich der junge serbische Theater- und Filmdesigner Aleksandar Denic ausgedacht hat.“ Frankfurter Allgemeine Zeitung

„Über den größten Gewinner dieser „Ring“-Woche ist schon genug geschwärmt worden. Kirill Petrenkos Bayreuther Debüt ist eine Sensation. Weil er sofort mit der Akustik zurechtkam. Weil er das Orchester von einem überklaren, in Dynamikstufungen und Klangrede extrem genauen Spiel überzeugen konnte. Weil ihm das Zurückfahren in die Kammermusik genauso glückt wie die Überwältigung. Mag einiges in der „Götterdämmerung“ ungewöhnlich laut gewesen sein: Dem bescheidenen Star sei ein kleiner „Krawall“ gegönnt.“  Münchner Merkur

„Petrenkos Hitze birgt zuallererst den Willen zur Hitze, seine Dramatik ist mehr Einsicht ins Dramatische als Herzkammerflimmern. Das verleiht der Musik auf Dauer etwas eigentümlich Neutrales, Dokumentarisches, ja Uneigentliches und zeigt, welche Herkulesarbeit es sein muss, den DDR-seligen Bildern da oben auf der Bühne etwas anderes entgegenzusetzen als wiederum Dekonstruiertes.“  Die Zeit

„Petrenko, der akribisch, lustvoll und nachvollziehbar eigen dirigiert, hat sich in einer Woche zum Herrn des Hügels und der Wagner-Exegese ausgeschwungen. Er ist des Großmeisters Meister.“  Süddeutsche Zeitung

„Rührung, Ergriffenheit, Katharsis und ähnliche bürgerliche Albernheiten sind nicht vorgesehen im lustigen Lumpensammler-„Ring“. Die beiden Hauptakteure verbreiten, auch sängerisch, aus Gründen doppelter Indisposition wenig Glanz. Und sogar Kirill Petrenko, der am Ende in Applaussturzbächen ein Bad nehmen kann, tut sich ausgerechnet beim „Siegfried“ anfangs schwer, in den Fluss der Musik zu finden.“ Frankfurter Allgemeine Zeitung

„Mit Catherine Foster stellt sich seit Langen erstmals wieder eine Künstlerin der mörderischen Partie, die Aussicht hat, sie ein paar Festspiel-Jahrgänge zu überleben. Ihrer Stimme geht der Kraftstoff nicht aus, auf atemlose Kraftakte kann sie verzichten.“ Frankenpost

„Auch Allison Oakes (Gutrune) und Claudia Mahnke (Waltraute, 2. Norn) sicherten internationales Gesangsniveau. Demgegenüber erwies sich Attila Jun als Hagen mit verschliffener Diktion als Reinfall. Besonders enttäuschend: Der eindeutig angeschlagene Kanadier Lance Ryan in der Partie des Siegfried. Nachdem sein Tenor nicht über den Hauch von Schmelz verfügt, rettete er sich in schreienden Sprechgesang.“  Nürnberger Nachrichten

„Wo die Wagner-Pflege bestenfalls einem repräsentativen Kasperletheater gleicht und eine ihrer wichtigsten Qualitäten einzubüßen droht, die adäquate Sängerbesetzung nämlich, da geht ein Stück Welt unter. Krachend, unwiederbringlich.“  Die Zeit

„Der Festspielchor, einstudiert von Eberhard Friedrich, sang famos.“ Frankfurter Allgemeine Zeitung

„Johan Botha (dessen Körpermasse ohnehin einer allzu quirligen Personenregie gewisse Widerstände entgegensetzen würde) ist ein fabelhafter Singe-Siegmund, ausnehmend schön in schmelzendem Timbre und Phrasierung. Und Franz-Josef Selig als finster bellender Hunding ist sowieso eine Bank.“ nachtkritik.de

„Lance Ryan als Siegfried etwa gibt zwar eine hinreißende Joker-Figur ab, vor allem in der „Götterdämmerung“, ein existenzialistischer Klemmi und Jammerlappen, quetscht und quäkt aber dermaßen, dass er fraglos als Mime durchginge.“ Die Zeit

„Die wahren Gewinner des Abends sind Martin Winklers Alberich, Claudia Mahnkes Waltraute, besonders Mirella Hagen, Julia Rutigliano und Okka von der Damerau – einen solch klangschönen Rheintöchter-Gesang gibt es kaum auf Platte.“  Münchner Merkur

„Einzige echte Ausnahme in diesem Kabinett ist Johan Botha als Siegmund, dessen Gestaltung zwar nicht gerade vor Differenzierung strotzt, aber doch einigen tenoralen Saft und Schmelz verströmt. Leider nur kann Botha sich vor Leibesfülle kaum rühren, sodass der Regie nichts anderes übrig bleibt, als ihn in der Walküre zum nächsten Strohballen zu bugsieren und ungestört singen zu lassen.“ Die Zeit

Zusammengestellt von Christina Fleischmann.

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