Andrea Nahles:
das rote Gewissen

Joachim Herrmann:
der schwarze Sheriff

Wer sich öfters auf politischen Veranstaltungen aufhält, macht die Erfahrung: Je wichtiger der Politiker, desto größer die Verspätung.

Nicht so bei Andrea Nahles. Schon eine Viertelstunde vor ihrem Auftritt steht sie vor dem Herzogkeller und bereitet sich auf ihre Rede vor. Eine Rede, die zum Rundumschlag gegen die Union wird – weit über das angestammte Themenfeld einer Bundesarbeitsministerin hinaus.

Als hätte es nie eine große Koalition gegeben

Unter dem tosenden Applaus von rund 400 Genossen zieht Andrea Nahles in den Herzogkeller ein. Die Basis fremdelt nicht mit einer von „da oben“. Nahles’ Einzug ist schlicht. Keine Blaskapelle. Nicht einmal Musik vom Band. Nur Nahles und die Menschen. Händeschütteln bis zum Rednerpult.

Dann poltert sie los, als habe es in Berlin nie eine große Koalition gegeben.

Für Dobrindt nur Spott

Nahles wettert gegen Horst Seehofer, den sie fortwährend „Horsti“ nennt. Sie wettert gegen einen vermeintlich unfähigen Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU), der seine Zeit in Berlin damit verplempere, sich „um eine Pkw-Maut zu kümmern, die niemand will“. Nahles fleht die Besucher auf dem Herzogkeller förmlich an: „Ich möchte euch herzlich bitten, nehmt ihn bitte zurück.“

Und sie wettert gegen Angela Merkel. Die Angriffsfläche auf die Kanzlerin sieht Nahles darin, dass sie vermeintlich keine Angriffsfläche biete. Merkel moderiere statt zu regieren. Und sie schade damit der Demokratie in Deutschland.

Die Genossen sind entzückt

All das erzählt sie nicht im Plauderton einer Politikerin, die zu einem Besuch bei ihresgleichen gekommen ist. Nahles heizt die Stimmung im Saal an. Sie flucht. Angela Merkel? „Die hat kein Feuer im Arsch!“ Im Bayernplan der CSU stehe nichts zur Rente außer ein weiter so. Nahles: „Da fühle ich mich verarscht!“

Das sagt sie nicht einfach so. Sie ruft es laut mit heiserer Stimme in den Saal, als säßen da Menschen, die sie überzeugen müsste, ihr Kreuz bei der SPD zu machen. Und die Genossen auf dem Herzogkeller sind entzückt. Als hätten sie dieses Maß an Angriffslust sehnlich vermisst und von Nahles gar nicht erwartet.

Keine Absage an eine weitere große Koalition

Von der großen Koalition CDU/CSU, mit der sie so unzufrieden ist, will sich Andrea Nahles nach ihrer gerade einmal 28 Minuten dauernden Rede aber nicht lossagen. Im Gespräch mit dem Kurier schließt sie nicht aus, dass es damit nach der Wahl am 24. Dezember weiter gehen könnte. „Wir wollen stärkste Kraft werden“, sagt sie. Es helfe nichts, „jetzt mit Koalitionsspekulationen die Zeit zu verplempern“.

Den Namen des SPD-Kanzlerkandidaten hat sich Nahles für den Schluss ihrer Rede aufgehoben. Er sei „der erste Europäer Deutschlands“. Angela Merkel spalte mit ihrer Politik die Europäische Union. Schulz halte sie zusammen. Angesprochen auf die schlechten Umfragewerte für Schulz und die Sozialdemokraten sagt sie: „Wir müssen die Unterschiede deutlich machen zwischen SPD und CDU/CSU.“ Ihre Partei müsse sich jetzt auf die noch unentschlossenen Wähler konzentrieren. „Diese 40 Prozent sind jetzt unsere Zielgruppe.“

Das waren die wichtigsten Themen von Andrea Nahles

Rente: Nahles fordert, dass alle in die gesetzliche Rente einzahlen. Also auch Beamte und Selbstständige. Damit lasse sich das Rentenniveau dauerhaft halten, ist sie überzeugt. Es dürfe nicht sein, dass Menschen, die „35 Jahre und länger in die Rente eingezahlt haben, am Ende nicht einen Cent mehr haben als die Grundsicherung“.

Militärausgaben: Die Nato fordert von ihren Mitgliedern zwei Prozent des Bruttoinlandsproduktes für Militärausgaben. Nicht mit Nahles. Sie würde das Geld, sie spricht von rund 20 Milliarden Euro pro Jahr lieber in der Rente sehen.

Schulgeld: Vor allem in sozialen Berufen müssten Menschen oft für die Ausbildung auch noch zahlen. „Schluss mit dem Scheiß!“, fordert die Bundesarbeitsministerin auf dem Herzogkeller.

Arbeitsverträge: Nahles fordert, dass es ohne Begründung keine befristeten Arbeitsverträge mehr geben soll.

Teilzeitarbeit: Es seien vor allem Frauen, die nach einer Schwangerschaft erst einmal in Teilzeit wieder in die Arbeit einsteigen. Im Sinne der Gleichberechtigung solle es ein gesetzliches Rückkehrrecht von Teilzeit in Vollzeit geben.

Das Kerwa-Duell von Bayerns Innenminister Joachim Herrmann mit der roten Ministerin ist eigentlich keins: Der 60-jährige Jurist verkörpert allein mit seiner Größe von einsneunundachtzig und seinem Kernthema Innere Sicherheit vor allem dies: Hier stehe ich, du kommst nicht vorbei.

Ein volles Bierzelt auf der Kreuzer Kerwa, eine Volksmusikgruppe, die dem Redner vorneweg geht und dem Volk den Marsch bläst – es ist wie immer bei der Volkspartei CSU.

Herrmann macht sich Hoffnungen auf den Innenminister-Posten

Joachim Herrmann könnte im September, wenige Tage nach seinem 61. Geburtstag, einen Wahlsieg der CDU/CSU vorausgesetzt, den Gipfel seiner Politkarriere erreichen: Er ist als künftiger Bundesinnenminister im Gespräch. Silke Launert, die oberfränkische Bundestagskandidatin, macht aus diesem Wunsch der Partei keinen Hehl.

Herrmann selbst macht im Bierzelt aber nicht den Haudrauf: Er gibt den seriösen, erfolgreichen schwarzen Sheriff, der die beste Polizei aller Bundesländer hat, und dessen Partei Bayern zum sichersten aller Bundesländer gemacht hat.

Geläufige Klaviatur des CSU-Wahlkamps

Nur einmal scheint durch, dass er Ambitionen hat, auch Bundesinnenminister zu werden – nämlich als er berichtet, wie auf Druck Bayerns in der großen Koalition endlich die Mindeststrafe für Wohnungseinbruchsdiebstahl auf ein Jahr angehoben worden sei: „Wir haben einen so genannten Bundesinnenminister, der anfänglich von dem Problem nichts wissen wollte“, sagt Herrmann. Hat er sich versprochen oder wir uns verhört? Entweder er meint damit Innenminister de Maizière (CDU) oder Justizminister Maas.

Herrmann spielt die geläufige Klaviatur des CSU-Wahlkamps, spricht davon, dass er sich freut, bei der „Berühmten Kreuzer Kerwa“ auftreten zu dürfen. Er sagt, es sei „herrlich“, von den weiblichen Kolleginnen Silke Launert und Gudrun Brendel-Fischer lobend begrüßt worden zu sein. Er rühmt eine andere Parteifreundin: Die 92-jährige Anneliese Fischer, Bayreutherin und Landtagsvizepräsidentin a.D.

Von Chaotentum und übertriebener Toleranz

Er zählt die Erfolge der „CDU/CSU-geführten Koalition“ in Berlin auf: Nur noch 2,5 Millionen Arbeitslose in Deutschland – im Sommer 2005, am Ende von Rot-Grün im Bund, seien es über fünf Millionen gewesen. Seit drei Jahren mache Deutschland keine Schulden mehr, der Bund verzeichne die höchsten Steuereinnahmen aller Zeiten. Man habe gegen den Widerstand der SPD durchgesetzt, die Steuern nicht zu erhöhen.

Nach Herrmanns Wahlversprechen (siehe unten) wirbt er mit seiner Kernkompetenz: Er verspricht nicht, dass Terroranschläge in Deutschland künftig ausgeschlossen werden könnten, sondern sagt, dass die Polizei in Deutschland – wie in Bayern – verstärkt und besser ausgerüstet werden müsse. Er sagt, „Chaotentum“ wie beim G 20-Gipfel in Hamburg habe etwas mit übertriebener Toleranz der Politik zu tun.

"Mehr Bayern in Berlin und nicht mehr Würselen"

Da steht er, einsneunundachtzig. Er will die „wehrhafte Demokratie“, ein Bollwerk dagegen, dass jemals wieder die „Macht der Intoleranten“ zurückkehrt.

Den SPD-Kanzlerkandidaten Martin Schulz nennt nicht beim Namen und spricht nur einmal von ihm: „Deutschland braucht mehr Bayern in Berlin und nicht mehr Würselen.“

Das waren die wichtigsten Themen von Joachim Herrmann

Entlastung der Bürger: Herrmann fordert 15 Milliarden Nettoentlastung für die Bürger und die schrittweise Abschaffung des Solidaritätsbeitrags: „27 Jahre nach der Wiedervereinigung gibt es im Osten die von Helmut Kohl versprochenen blühenden Landschaften endlich.“

Rente: Mütter, die Kinder aufgezogen haben, sollen ihre Erziehungszeiten angerechnet bekommen und somit höhere Renten erhalten.

Kindergeld: Für jedes Kind soll 25 Euro mehr bezahlt werden, dies sei eine „wichtige Zukunftsinvestition“.

Grenzkontrollen: Das Jahr 2015 mit dem unkontrollierten Zuzug von Flüchtlingen dürfe sich nicht wiederholen. Deshalb sollen Grenzkontrollen aufrecht erhalten werden.

Kampf dem Terror: Den fanatischen und militanten Islamismus nennt Herrmann „eine Ideologie“, er habe nichts mit Religion zu tun. Kernpunkt des Kampfes sei die „geistige Auseinandersetzung“.

Polizei: Sie soll gestärkt werden. Analog zu Bayern, wo mehr Personal und bessere Ausstattung Geld kostet, will er das bundesweit durchsetzen.