Chefarzt: Vergewaltigung oder Verhältnis?

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Archivfoto: dpa Foto: red

Ein Dienstagnachmittag vor Weihnachten, bei dem ein kleines Ereignis tief in das Leben von vier Menschen eingreifen sollte. Ein Mann, eine Frau, ein Begehren. Er möchte, sie geht kurz darauf ein, der Staatsanwalt sieht darin eine Vergewaltigung. Er ist Chefarzt, sie seine Kollegin.

 
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Es war Dienstag, der 20. Dezember. Der Chefarzt (46), ein angesehener Mediziner, verheiratet, Kinder, ruft seine Kollegin, Mittdreißigerin. Er möchte, dass sie sich in dem Zimmer treffen, in das er sie schon öfter gerufen hat – und wo sie sich schon öfter getroffen haben. Heißt in diesem Fall: Sex in der Arbeitszeit, reizvoll, aber verboten. Immer wieder haben sich die beiden in den Monaten davor getroffen.

Affären mit mehreren Kolleginnen

Sie haben sich mit SMS angeheizt, sich erotische Fotos und Texte geschickt. Mit seinem jugendlichen Charme kam der Chefarzt bei Frauen gut an. Er hatte er sich in mehrere Abenteuer gestürzt, teils auch mit verheirateten Kolleginnen. Diese Kollegin war eine Ausnahme. Sie war nicht verheiratet, schien sich mehr von der Affäre versprochen zu haben. Er wollte sie dorthin mitnehmen, wo er sich ein neues Leben aufbauen wollte, auch beruflich. Doch daraus wurde nichts.

Sie hatte irgendwann erfahren, dass sich seine Pläne in der Zwischenzeit geändert hatten. Er hatte Sehnsucht nach einem geordneten Leben, wie früher, mit seiner Frau und den Kindern. Trotzdem bestellt er sie an jenem Dienstag zu sich. Begehren ist stark, vor allem, wenn es verboten ist.

Plötzlich ein moralisches Nein

Die Kollegin kam. Sie wusste, was er von ihr wollte. Aber sie wollte nicht das, was er wollte. Nicht mehr. Nein heißt nein. Sie wollte nicht zwei Zimmer weiter gehen. Sie könne es wegen ihres Freundes nicht mehr verantworten, sagte sie. Ein moralisches Nein, aber auch das hieße nein. Aber er gab nicht auf, überredete sie so lange, bis sie doch mitging. Ging sie freiwillig? Fühlte sie sich unter Druck gesetzt? Hatte sie etwa Angst vor ihm? Oder sogar noch Hoffnungen auf eine gemeinsame Zukunft? Nannte sie ihn nicht ihren „Anker“?

Was jetzt folgte, darüber herrscht zum Teil Übereinstimmung bei den beiden. Bis auf ein winziges, aber entscheidendes Detail. Sie gingen ins Zimmer, schlossen die Tür ab. Sie fing an, das zu tun, was er von ihr wollte. Aber nur einen ganz kurzen Augenblick. Dann brach sie ab. Sagte, sie wolle nicht mehr. Auch nicht in Zukunft.

Empfundene Zwangslage reicht als Grund

Sie richteten sich beide wieder arbeitsfähig her, trennten sich. Was hinter der verschlossenen Tür der Station stattgefunden hat, darin sieht der Staatsanwalt eine Vergewaltigung. Paragraph 177, Absatz 2 des Strafgesetzbuches. Erst seit 10. November 2016, also knapp mehr als einem Monat,  war das neuen Sexualstrafrecht („Nein ist nein“) beschlossen. Ein Opfer muss nicht mit Gewalt gezwungen werden, es reicht eine empfundene Zwangslage.

Kaum hatte das neue Jahr begonnen, trennte sich das Klinikum von seinem Chefarzt zum 31. Januar. „Arbeitsrechtliche“ Konsequenzen, heißt es. Die der Arzt in vollem Umfang akzeptierte: Freistellung und Hausverbot. Die Frauen arbeiteten weiter in der Klinik, die sich zum Fall weiter nicht äußert.

Freistellung wegen "Fehlverhaltens"?

Anfang des Jahres hatten sich laut Pressemitteilung der Klinik „mehrere Mitarbeiterinnen“ gemeldet, die die Klinikleitung über den Chefarzt informierten. Nach Informationen des Kuriers waren es vier. Was sie vortrugen, ist nicht bekannt. Aber es dürfte um die Verhältnisse des Chefarztes gegangen sein. Eine der Frauen soll die Hauptzeugin vorher auf das Verhalten des Arztes Frauen gegenüber angesprochen haben. Die Sache nahm ihren Lauf.

Wenige Tage später las der Staatsanwalt in der örtlichen Zeitung „Fränkischer Tag“ von der Freistellung des Chefarztes und von „Fehlverhalten“ gegenüber Frauen. Die Klinik hatte darin zwar einen Verstoß gegen ihre Arbeitsvorschriften gesehen, nicht aber etwas strafrechtlich Relevantes. Sie zeigte ihn nicht an. Auch die Mittdreißigerin zeigte den Chefarzt nicht an. Ebensowenig die anderen Frauen.

Untersuchungshaft

Aber der Staatsanwalt ermittelte, der Chefarzt landete in der Untersuchungshaft. Bis heute. Ihm wird vorgeworfen, an jenem Dienstag im Dezember eine Frau vergewaltigt zu haben. Er soll sie dazu gedrängt haben, „gegen ihren ausdrücklichen Willen den Oralverkehr bei ihm auszuüben“, heißt es in der selten so detaillierten Pressemitteilung der Staatsanwaltschaft Bamberg.

Die Ermittlungen dauern noch, sagt Staatsanwalt Matthias Bachmann. Mehr sagt er nicht. Ob auch die anderen Frauen als Zeuginnen mit einbezogen werden, ist nicht sicher. Falls ja – und falls es zu einer Gerichtsverhandlung kommt, müssten sie aussagen. Auch in ihrem Leben hätten die Ereignisse jenes Dienstages vor Weihnachten tiefe Spuren hinterlassen.

„Es droht, dass man Verhältnisse zwischen Kollegen nicht mehr nur moralisiert, sondern kriminalisiert“, sagt ein am Verfahren Beteiligter.

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