Verteidiger des Mediziners befürchten beeinflusste Ermittler und eingeübte Zeugenaussagen Chefarzt-Prozess: Familie im Kreuzverhör

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Der Angeklagte zu Beginn der Verhandlung im Sommer. Foto: Otto Lapp Foto: red

Kein Arzt, kein Krankenhaus wollte ihr Blut abnehmen. Als sie den Chefarzt dann anzeigte, der sie betäubt hatte, habe die Polizei ihr gesagt, es gebe wichtigere Fälle. Von da an hat die Familie des Opfers alle Register gezogen, um die Ermittlungen zu beschleunigen. Ist das schon Einflussnahme oder eher eine verständliche Reaktion?

 
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Die Familie war in Aufruhr. Lisa S. (27, Name geändert), Medizinstudentin, hatte angerufen. Eine Stunde sei ihr nach der Untersuchung bei dem Bamberger Chefarzt Heinz S. (50) völlig abhandengekommen. Die Tanzstunde hatte sie gerade abgebrochen, weil sie sich nicht gut fühlte. Das Forchheimer Krankenhaus hatte sich geweigert, einen Bluttest zu machen. Zu teuer. Außerdem müsste sie erste eine Anzeige erstatten. Lisas Vater (54), ebenfalls Arzt, rief im Coburger Krankenhaus an – vergebens. Ohne Anzeige bei der Polizei gehe nichts. Das Schlimmste war, so Vater Frank S. (), dass W. seine Tochter im benebelten Zustand hätte Auto fahren lassen. Sie hätte tot sein können.

Von da an änderte sich alles im Leben der Arztfamilie aus dem Landkreis Coburg. Der Vater nahm spät in der Nacht noch selbst Blut von seiner Tochter, schickte es ins Labor. Als das Ergebnis kam und einen viel zu hohen Wert an Beruhigungsmittel zeigte, wusste er: „Es ist was Schlimmes passiert.“

W. ist angeklagt, weil er zwölf Frauen, darunter auch Patientinnen, zuerst betäubt, dann sich sexuell an ihnen vergangen zu haben. Ihm droht wegen Vergewaltigung eine hohe Haftstrafe. Er selbst sagt, er habe alles aus medizinischen Gründen gemacht – zu Forschungszwecken.

Lisa S. ging zur Polizei Die Beamten hätten ihr das Gefühl vermittelt – und wohl auch gesagt, dass es schlimmere Fälle gebe. Als der Vater das hört, war er „verzweifelt“. Und hat sich überlegt, „du hast doch da noch einen alten Bekannten und hab den angerufen“. Der alte Bekannte, das war der Leiter der Polizei-Inspektion Bamberg. Mit ihm sprach er und ihm gab er seine „Gedächtnisprotokolle“. Für die Verteidiger eine klare Beeinflussung, nicht nur der Ermittlungen. Auch die Hauptbelastungszeugin Lisa S. sowie alle anderen Zeuginnen seien dadurch so nachhaltig beeinflusst worden, dass der Prozess mit „objektiver, fairer und rechtsstaatlicher Wahrheitssuche nichts“ mehr zu tun habe.

Und für die Familie, den Vater, die Mutter (53), das mutmaßliche Opfer sowie deren Schwester, wurde die Zeit vor Gericht nochmals hart. Wann haben sie telefoniert? Was haben sie besprochen? Wie waren die genauen Zeiten? Mit welchem Auto fuhr man zur Blutentnahme? Warum hat niemand sofort den Vater, der doch Mediziner ist, an jenem Sommerabend, 28. Juli, angerufen? Wo er doch nur Tennis spielte? Und warum schrieb der Vater jene Email, die der Vorsitzende Richter Manfred Schmitt als „harten Tobak“ bezeichnete? In dem er seinem Freund, dem Polizei-Chef, Details über W. mitteilte? Und ihn darum bat, ihn zu benachrichtigen, wenn W. wieder aus der U-Haft entlassen werden sollte. „Wir haben Angst vor einer möglichen Rache, können Sie uns von Verhaltensmustern von Tätern in ähnlicher Lage erklären?“ Übertrieben?

Damit sei klar, sagte W.s Verteidiger Klaus Bernsmann, dass Lisas Vater – wie sie auch – eine „aus den Akten verseuchte“ Aussage gemacht hat. Der Vater habe sich sofort widersprochen, als er aufgefordert wurde, seine Notizen zur Seite zu legen. Von Anfang an sei der Vater von einer Vergewaltigung und sogar einer möglichen Tötungsabsicht ausgegangen. Dies sei nicht nur eine „absurde Vorstellung“, sondern „das ist grundsätzlich ein starkes Motiv für eine scheinbare Rechtsverfolgung jenseits des Rechts“. Deswegen zweifelt der Verteidiger an der Ein Glaubwürdigkeit aller Familien-Zeugen. Und vor allem an der Glaubwürdigkeit der Hauptbelastungszeugin.

Warum der Vater überhaupt mit Nachdruck die Anzeige verfolgt habe? „ Unser einzige Motiv war gewesen, dass wir nicht dafür verantwortlich sein müssen, wenn junge Frauen auf der Autobahn sterben.“

Am Dienstagnachmittag wird sogar ein Staatsanwalt in den Zeugenstand treten. Dann soll geklärt werden, ob und wenn wie die Öffentlichkeitsarbeit der Bamberger Staatsanwaltschaft die Ermittlungen beeinflusst haben.

Der Prozess gegen den Mediziner geht noch bis in den Januar.

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