Gemüse für alle! Bürger fordern Gemeinschaftsgärten in Hollfeld

Von Thorsten Gütling
Seit dem Jahr 2010 bezeichnet sich die Stadt Andernach am Rhein als „essbare Stadt“. Der Grund: An sieben Stellen wächst mitten in der Stadt Obst und Gemüse, das die Bürger kostenlos ernten dürfen. In Hollfeld sollen sie es künftig auch selbst pflanzen und pflegen. Foto: red

Großmütterchen kocht und dabei fällt auf: das Bohnenkraut fehlt. Und eine Gurke könnte auch nicht schaden. Kurzerhand geht Großmütterchen vor die Tür und holt sich, was sie braucht. Kostenlos. Von einer der vielen kleinen, öffentlichen Gartenflächen in der Stadt. In Andernach am Rhein funktioniert das so. In Hollfeld bald auch. Zumindest, wenn es nach den 17 Bürgern der Interessengemeinschaft Innenstadt geht.

 
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Der Katzensteig entlang der Stadtmauer, Grünflächen an der Kainach und entlang der Türkei. Die Wiese auf dem Marienplatz und der Kirchgarten an der Salvatorkirche. Grünflächen, die kaum genutzt werden, die der Bauhof aber trotzdem regelmäßig mähen muss, gibt es in der Stadt genug, findet Holger Hofmann. Er ist einer der Initiatoren des Projektes „Hollfeld grünt und blüht“. Gemeinsam mit Marion Deinlein hat er eine Karte erstellt. 14 solcher Flächen sind darauf eingezeichnet. Bei einer Ortsbegehung in zwei Wochen sollen Experten feststellen, auf welcher dieser Flächen öffentliche Obstfelder, Blumen- und Gemüsebeete entstehen könnten.

Entlastung für die Stadtkasse

Deinlein und Hofmann sind überzeugt: Solche Felder werden die Hollfelder nicht nur näher zusammenrücken lassen und den Tourismus ankurbeln. Es wird auch die angespannte Finanzlage der Stadt entlasten. Denn: Einmal angelegt, werde der Arbeitsaufwand für den Bauhof in den Folgejahren geringer ausfallen als jetzt. Weil sich die Bürger selbst um die Gartenflächen kümmern sollen. Im Gegenzug darf jeder ernten, was er will.

Auch Schulklassen und Kindergartengruppen sollen in die Pflege eingebunden werden. „Hier kann man lernen, dass es Erdbeeren eben nicht im Dezember gibt“, sagt Holger Hofmann. Die Beete und Sträucher sollen Lernorte über Naturschutz, Kulturgüter und die Stadthistorie sein.

Erst Patenschaft, dann Saatgut

Voraussetzung für sogenannte Gemeinschaftsgärten in Hollfeld sei, dass sich Bürger, Firmen und Vereine finden, die für die Pflanzen Pate stehen, sagt Wolfgang Tzschoppe. Erst dann sollen Blumenkübel aufgestellt oder Samen ausgebracht werden. Der frühere Stadtrat ist genauso Mitglied der Interessengemeinschaft, wie der frühere Bürgermeister Oskar Pirkelmann. „Der Verschönerungsverein wird mit Rat und Tat zur Seite stehen“, sagt Pirkelmann, der dort Vorsitzender ist.

Marion Deinlein will bereits zwei Stiftungen gefunden haben, die das Projekt finanzieren, solange es nur von Bürgern für Bürger und nachhaltig sei. Soll heißen: Für den Start gibt es Geld, wenn gewährleistet werden kann, dass die Blumen und Früchte nicht nur einen Sommer lang blühen. Deshalb will Deinlein klein anfangen. „Mit ein paar Blumenkästen am neu gestalteten Spitalplatz statt gleich mit Tomatenfeldern an der Fußgängerampel“, sagt Deinlein.

Vorbild Andernach am Rhein

In Andernach, der Stadt, an der sich die Hollfelder orientieren, gibt es solche öffentliche Gartenflächen seit fünf Jahren. Im Jahr 2010 wurden 100 Tomatensorten gepflanzt, ein Jahr später 100 Bohnensorten. Danach folgten Zwiebeln, Kohl und Wein. Die Pflege der Flächen übernimmt dort aber die Stadt. „Es steht schon irgendwo am Horizont, dass sich das in Richtung bürgerschaftliches Engagement entwickelt, aber wir sollten da nicht blauäugig sein“, sagt Christoph Maurer, der Pressesprecher der Stadt Andernach. Draufzahlen würde die Stadt dort aber auch ohne Bürgerengagement nicht. „Wo wir Stauden gepflanzt haben, haben wir jetzt weniger Arbeit als zuvor, bei Essbarem etwas mehr. Insgesamt hält es sich die Waage“, sagt Maurer. Unter anderem deswegen sollen in Hollfeld neben Obst- und Gemüsepflanzen bald auch jede Menge Wildblumen blühen.

Vorstellung am 22. April

Voraussichtlich am 22. April wollen die Mitglieder der Interessengemeinschaft Innenstadt im Kintopp ihre Pläne vorstellen. Bürger sollen dort auch eigene Ideen einbringen können. Vorab können diese per E-Mail an hollfeldgub@gmail.com geschickt werden.

Info: Auch in Bayreuth wird derzeit ein Gemeinschaftsgarten geplant. Studenten der Geoökologie haben dazu bereits ein Grundstück in der Hammerstadt von der Stadt Bayreuth erhalten. Das Bayreuther Projekt soll am 1. April um 18 Uhr im Iwalewahaus vorgestellt werden.

Das ist Urban Gardening:

Das Phänomen der Gemeinschaftsgärten kommt aus dem Englischen (daher auch: „Communal Gardening“ oder „Urban Gardening“ genannt). Vermutlich entstanden die ersten Gemeinschaftsgärten im New York der 70er Jahre, als Anwohner in ärmeren Gegenden Brachflächen urbar machten. Das Prinzip findet sich in ganz Nordamerika. Meistens handelt es sich um Nutzgärten. Nebenbei haben die Gemeinschaftsgärten aber auch eine soziale Funktion: Sie bringen unterschiedliche Menschen zusammen, dienen als Erholungsraum und sorgen im Kleinen dafür, dass Engagement und Verantwortung entstehen. Daher werden viele solcher Projekte auch von der Politik unterstützt. Bekanntestes Beispiel in den USA dürfte die High Line in New York sein, eine ausgediente Hochbahnstrecke, deren Trasse man über mehrere Kilometer erhalten und als riesigen Garten zugänglich gemacht hat, inklusive Imkerei, Vogelstation und Ackerbau. In Deutschland gibt es mit dem Prinzessinnengarten in Berlin seit 2009 einen riesigen Gemeinschaftsgarten. In Kreuzberg am Moritzplatz wird nicht nur gegärtnert, hier wird das selbst gezogene Obst und Gemüse auch direkt verarbeitet und bei einem Mittagstisch, den jeder nutzen kann, angeboten. kfe

Vor 100 Jahren in Bayreuth:

Vor gut 100 Jahren wurden auch in Bayreuth schon einmal an exponierter Stelle Gemüse und Kartoffeln angebaut – im Garten der Villa Wahnfried. Denn: Die militärische Lage im Sommer 1916 war ernst. Im Westen zogen sich die beiden deutschen Offensiven an der Somme und vor Verdun ergebnislos in die Länge. Die Ernährungslage in Deutschland wurde immer schlechter, die Rationen von Fett, Zucker, Brot auf den Lebensmittelkarten immer kleiner. Die 19-jährige Winifred Wagner, seit einem Jahr mit Siegfried Wagner verheiratet und gerade mit ihrem ersten Sohn Wieland schwanger, kämpfte energisch um Nahrung für die Familie. Im Wahnfried-Park wuchsen statt Rosen deshalb Kartoffeln und Gemüse. Das mühsam eingeweckte Essen wurde streng rationiert, die Vorräte von städtischen Behörden streng kon-trolliert. In Wahnfried konnten nur noch Cosimas Zimmer geheizt werden. Die übrige Familie zog aufgrund des Kohlenmangels zu neunt in das benachbarte Siegfried-Haus. Schmalhans war Küchenmeister in Bayreuth. Die Kriegskochstelle des Roten Kreuzes empfahl sogar, bei der Herstellung von Klößen Kartoffeln durch Kohlrüben zu ersetzen. mx

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