Noch sind der Angreifer und das Opfer Eheleute. Er ist seit der Tat vorläufig in der Psychiatrie untergebracht, sie lebt noch in dem Einfamilienhaus. Sie werden wohl bald geschieden.
Der Kampf auf Leben und Tod fand am 26. Juli vergangenen Jahres auf dem Balkon eines Einfamilienhauses in Bayreuth statt. Angegriffen wurde eine 41-jährige Bayreutherin. Der Angreifer, der wieder und wieder mit einem Messer zustach, war ihr Ehemann. Der heute 51-Jährige steht seit Donnerstag vor Gericht. Die Staatsanwaltschaft will in dem Prozess seine Unterbringung in der Psychiatrie erreichen: Der Mann soll zum Tatzeitpunkt aufgrund einer psychischen Erkrankung nicht schuldfähig gewesen sein.
Noch sind der Angreifer und das Opfer Eheleute. Er ist seit der Tat vorläufig in der Psychiatrie untergebracht, sie lebt noch in dem Einfamilienhaus. Sie werden wohl bald geschieden.
Narbe an der Wange
Die Frau trägt die Erinnerung an den Überlebenskampf auf dem Balkon am Körper und in der Seele: An ihrer Wange befindet sich eine Narbe, von einem Messerstich. Und in ihrem Innenleben gibt es seit jenem Tag ein vorherrschendes Gefühl: Angst und Erinnerung an die Todesangst, die sie damals plötzlich überfiel. Heute weiß sie: Diese Todesangst hat ihr vermutlich das Leben gerettet: „Ich habe das Messer zu packen bekommen und es nicht mehr losgelassen." Auch der Versuch des Angreifers sie zu würgen, blieb erfolglos, weil Nachbarn ihre Schreie gehört hatten. Nachdem sie von einem Nachbarn in Sicherheit gebracht worden war, löste sich der Krampf in ihren Fingern: „Da fiel das Messer klirrend zu Boden."
Sie musste operiert werden, viele Stiche und Schnitte wurden zugenäht. Die seelischen Wunden der 41-Jährigen jedoch sind noch nicht verheilt: „Ich habe das erst später gemerkt. Erst dachte ich mir: Du bist robuster als du geglaubt hast." Dann kam die Angst zurück. Seither ist sie in therapeutischer Behandlung.
Unaufhaltsam erfolgreiches Leben
Der Beschuldigte schilderte in dem Prozess ein scheinbar unaufhaltsam erfolgreiches Leben: Als Sohn eines Arbeiters machte er einen Einser-Schnitt im Abitur. Er studierte Medizin und eröffnete 1994 eine Praxis in Bayreuth. In der Praxis lernte er seine Frau kennen. Es folgten Heirat, das Paar bekam zwei Kinder, man baute sich ein Haus, die Praxis florierte.
Doch im Jahr 2011 standen plötzlich Steuerfahnder vor der Tür. Haus und Praxis wurden durchsucht. Der Beschuldigte bekam Angst: „Ich fürchtete, man könnte mir die Approbation entziehen." Er fühlte sich schlapp, hatte keine Lust mehr auf seine geliebte Arbeit, machte keinen Sport mehr, fiel etwa seiner Schwester durch unverständliche Handlungen auf. Als Zeugin vor Gericht sagte diese: „Man hat mitbekommen, dass mit ihm etwas nicht mehr stimmt." Der Verteidiger Karsten Schieseck nennt das eine „tiefe Lebenskrise".
Auch die Ehefrau merkte Veränderungen. Vor Gericht schilderte sie den Zwiespalt, in dem sie sich befand. Einerseits darauf zu drängen, dass ihr Ehemann sich behandeln lassen solle, andererseits: „Ich hatte ihm versprochen, ihn nicht einweisen zu lassen. Ich wusste doch, das Schlimmste für ihn wäre gewesen, wenn er seinen Beruf nicht mehr hätte ausüben können."
Angst vor den Männern mit den "weißen Kitteln"
Ihr Mann habe Angst gehabt vor den Männern mit den „weißen Kitteln", die ihn abholen und in die Psychiatrie bringen würden. Die 41-Jährige betonte, sie habe nie Angst vor ihrem Ehemann gehabt bis zu jenem Moment, als sie am Abend des 26. Juli bemerkte, dass er ein Messer aus der Küche geholt hatte und damit auf sie zukam. „Als ich das Messer sah und ihn sagen hörte: ,Schatz, wo bist du?', da schrie es in mir: Raus hier."
Wenige Minuten zuvor hatte er sie aus dem Schlaf gerissen: Er suchte das Ladekabel für sein Mobiltelefon. Die Ehefrau berichtete, dass der Beschuldigte sich in diese Suche richtig verbissen hatte: „Er lief im Kreis und fragte dauernd nach dem Kabel."
Das Kabel zum Aufladen des Akkus; das Mobiltelefon als wichtigstes Werkzeug für die Kommunikation – eine treffende Symbolik für den damaligen Zustand des Mannes. Sein psychischer Akku war leer, er konnte keine Verbindung mehr zur Außenwelt aufnehmen. Die vorläufige Diagnose, die nach der Tat gestellt wurde: eine akute paranoide Schizophrenie, aus der eine Schuldunfähigkeit für die Tat gefolgert wird.
Sicherungsverfahren statt Strafprozess
Deshalb ist das Verfahren gegen den Mediziner kein Strafprozess, sondern ein Sicherungsverfahren. Die zentrale Frage des Prozesses ist: Besteht die Gefahr, dass der Mann aufgrund seiner Erkrankung auch künftig zu ähnlichen schweren Straftaten in der Lage ist? Wenn ja, dann muss er zur Sicherheit in der Psychiatrie verwahrt werden. Seit Ende Juli 2012 ist er bereits dort und wird unter anderem mit Medikamenten behandelt. Die Therapie schlägt offenbar an, der zuständige Psychiater Dr. Klaus Leipziger, Chefarzt der forensischen Psychiatrie am Bezirkskrankenhaus, erklärte gestern, der Mann habe bereits begleiteten Ausgang aus der Verwahrung bekommen.
Die Frage, ob der Beschuldigte sich mit seiner Tat auseinandersetzt, ist strittig. Im Prozess behauptete er mehrfach, er habe keinen Tötungsvorsatz gehabt, vielmehr habe seine Frau ihn provoziert. Provoziert dadurch, dass sie ihm den Hals hingehalten habe, quasi als Aufforderung, sie doch zu würgen – was von der Frau bestritten wird. Dass er aber nicht würgte, sondern erst das Messer holte, konnte er nicht erklären.
,Ich habe doch noch nie etwas Schlimmes getan'
Nach der Tat flüchtete der 51-Jährige. Bevor er mit seinem Auto einen Unfall baute und dann in möglicherweise suizidaler Absicht vor den herannahenden Krankenwagen lief, rief er noch seine Schwester an. Die sagte aus: „Er rief ins Telefon: ,Ich habe doch noch nie etwas Schlimmes getan.' Da wusste ich, es war etwas Schlimmes passiert."
Der Prozess wird am Freitag um 9 Uhr fortgesetzt.