Messerattacke in Untersteinach: Gutachter kann Schuldunfähigkeit nicht mehr ausschließen Bluttat im Vollrausch?

Von Manfred Scherer
Das ist die mögliche Wende im Prozess um die Messerstiche einer 22-Jährigen gegen einen Schlafenden: Nach einer neuen Zeugenaussage schließt der Gerichtspsychiater nun einen Vollrausch der Angeklagten nicht aus. Foto: Britta Pedersen dpa-Archiv Foto: red

Er spricht von einer "hilflosen Person". Wenig später sticht diese Person in Untersteinach (Landkreis Kulmbach) mit einem großen Küchenmesser auf einen Schlafenden ein. Die Aussage eines unbeteiligten Zeugen bewahrt eine wegen Mordversuchs angeklagte junge Frau womöglich vor einem weit reichenden Schuldspruch, denn: Der Gerichtspsychiater kann nunmehr einen Vollrausch der Angeklagten bei der Tat nicht mehr ausschließen.

 
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Wie mehrfach berichtet, soll die 22-Jährige Anfang Januar mit dem Messer mehrfach auf einen im Bett liegenden gleichaltrigen Mann eingestochen haben. Der überlebte - keiner der Stiche war lebensgefährlich. Das Opfer ist ein Freund des Ex-Lebensgefährten der Angeklagten. Dieser Ex-Freund wohnt noch in einem Haus zusammen mit der Angeklagten und dem gemeinsamen Kind zusammen. Das Opfer der Messerattacke übernachtete an jenem 8. Januar in der Wohnung in der Hauptstraße in Untersteinach.

Das Opfer kam nur unter Drohung als Zeuge

Wie und warum es zu dem Messerangriff gekommen war, blieb im Verlauf des Prozesses vor dem Bayreuther Schwurgericht lange unklar. Das Opfer und auch der Ex-Freund der Angeklagten wanden sich merklich heraus, als es um die Hintergründe ging. Das Opfer selbst erschien erst nach zwei vergeblichen Anläufen und einer Drohung mit einer Ordnungsstrafe als Zeuge. Dabei fiel kaum ein Wort darüber, dass es am Abend des 7. Januar zu mindestens zwei Auseinandersetzungen mit der Angeklagten gekommen war.

Vom "mittelgradigen" Rausch zum Vollrausch

Die Angeklagte selbst gestand die Tat an sich ein, war allerdings nicht in der Lage, ihr Motiv zu erklären. Sie sei zu betrunken gewesen. Wie betrunken - das blieb sehr lange unklar. Ein Alkotest Stunden nach der Tat erbrachte einen Wert von fast 1,9 Promille. Die Rückrechnung des vom Schwurgericht bestellten Psychiaters erbrachte für den Tatzeitpunkt einen Wert von rund 2,5 Promille. Dieser Wert gilt allgemein als Anhaltspunkt für einen "mittelgradigen" Rausch, bei dem der oder die Betrunkene noch nicht in einem Zustand ist, in dem er nicht mehr weiß, was er tut. Dem entsprechend fiel das Gutachten des Psychiaters aus: Die einschlägig vorbestrafte Angeklagte sei enthemmt, aber nicht völlig weggetreten gewesen. Für Letzteres fehlten dem Psychiater die entsprechenden Zeugenaussagen.

Lallend im Schnee sitzend

Das änderte sich, nachdem der Gutachter bereits entlassen war. Ein Zeuge aus dem Nachbarhaus berichtete, wie er die Angeklagte zwei, drei Stunden vor der Tat auf der Straße vorgefunden hatte: Im Schnee sitzend, weggetreten, lallend. Der Nachbar nahm die 22-Jährige mit in die Wohnung, wo er erfuhr, warum die Angeklagte so außer sich war. Zuvor hatte sie sich mit einem Mann treffen wollen, in den sie sehr verliebt war. Das Rendezvous sei von ihrem Ex-Freund und dessen Kumpels gestört worden - ihre große Liebe, die extra aus Regensburg angereist war, sei geflüchtet.

Vor der Abreise des Vertriebenen habe man gemeinsam eine Flasche Wodka geleert. Danach tauchte die Angeklagte in einer Kneipe auf, trank dort noch ein halbes Bier und einen Schnaps. Die Kellnerin schickte die erkennbar Betrunkene und erkennbar depressive Angeklagte nach Hause. Vor Gericht sagt die Kellnerin als Zeugin: "Als ich von der Tat hörte, machte ich mir ein schlechtes Gewissen."

Wut über die Zerstörung der "großen Liebe"

Der Nachbar berichtete vor Gericht, er habe die Angeklagte stützen müssen, ihr eine Portion Nudeln gemacht und sie danach über die Straße gebracht. Dort musste er erst per Telefon klären, dass ihm die Türe geöffnet wurde. In der Wohnung geriet die Angeklagte angesichts jener Männer, die ihre "große Liebe zerstört" hätten, außer sich. Sie randalierte, es soll zu einer Schlägerei gekommen sein, in deren Verlauf auch die Angeklagte verletzt worden sei. Der Nachbar zog sich zurück, bald erhielt er einen Anruf aus der Tatwohnung. Der Anrufer sprach von einer "Bluttat".

Die Aussage des Nachbarn baute der erneut geladene Gerichtspsychiater Thomas Wenske in sein erweitertes Gutachten ein: Nunmehr könne er einen Vollrausch nicht mehr ausschließen.

Andere Zeugen sahen den Zustand nicht so extrem

Die Frage für den weiteren Verlauf des Prozesses: Kann man der Aussage eines einzigen Zeugen folgen? Polizisten, die mit der Angeklagten nach der Tat zu tun hatten, beschrieben die Angeklagte nämlich nicht als völlig weggetreten, sie berichteten allerdings von einer höchst seltsamen Aussage der Angeklagten - mehrfach soll die 22-Jährige auf die Frage, was mit dem Verletzten passiert sei, des Satz gesagt haben: "Der ist in eine Salami gefallen." Also nicht in ein Messer beim Salami-Schneiden.

Wie Ankläger Holger Gebhardt, Verteidiger Karsten Schieseck und danach das Gericht die Beweislage werten werden, dürfte am Freitag, 14. Juli, bekannt werden: Dann sollen die Plädoyers gehalten und auch das Urteil verkündet werden.

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