Der Eiserne Kanzler und der Komponist: Die Geschichte eines Nicht-Verhältnisses Warum Bismarck wenig für Wagner übrig hatte

Von Michael Weiser

Vor 200 Jahren wurde Otto von Bismarck geboren, der Mann, der als Eiserner Kanzler in die Geschichte einging. Er und Richard Wagner wurden als die größten Deutschen Ihrer Zeit angesehen. Dass die beiden bei der Reichsgründung Deutschlands Fundament zusammen gelegt hätten, war allerdings eine fromme Legende. Bismarck und Wagner - es war die Geschichte eines Nicht-Verhältnisses.

 
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Politiker und Künstler brauchen einander von Zeit zu Zeit. Zum Beispiel für öffentlichkeitswirksame Termine. Wie Napoleon und Goethe beim Erfurter Fürstenkongress: Da tauschten Kriegsherr und Dichterfürst einander fast auf Augenhöhe aus, am Ende war kaum zu sagen, wer eigentlich wen empfangen hatte. Und Napoleon zog, bildlich gesprochen, den Dreispitz bis hinunter zum Parkett. „Voilà un homme!“, sagte er über Goethe.

Möglich, dass Richard Wagner (1813 bis 1883) diese damals wirklich häufig erzählte Geschichte im Hinterkopf hatte, als er im Mai 1871 bei Otto von Bismarck (1815 bis 1898) vorstellig wurde. Er wurde enttäuscht, das Treffen dieser beiden Gewaltigen muss man sich als verhaltene Angelegenheit vorstellen. Otto von Bismarck hieß Richard Wagner willkommen, „in kleinem Familienkreise mit derselben ausgesuchten Hofsitte, wie wenn er etwa den Minister eines verbündeten Staates zu begrüßen gehabt hätte“, hieß es.

So diplomatisch kühl und vorsichtig blieb es, und was auch immer sich Wagner von seinem Besuch bei Bismarck erhofft haben mochte: Er kam nicht dazu, sein Anliegen zu äußern. „Die olympische Ruhe Bismarcks schnitt dem Meister das Wort in der Kehle ab“, fasst ein zeitgenössischer Beobachter zusammen. Bismarck äußerte sich viel später spöttisch über das Treffen. „Man setzte uns zusammen auf ein Sofa, und da dachte er wohl, dass sich zwischen uns ein Duett entspinnen würde, aber es kam anders. Der Meister der Töne erntete wohl von mir nicht genug Elogen, er kam nicht zur Entfaltung und ging enttäuscht.“

Das Verhältnis: Kühl bis nicht vorhanden

Die beiden wurden nicht warm miteinander, der Eiserne Kanzler und der Komponist. Dabei bauten sie, jeder zu seiner Zeit, ihre Hoffnungen aufeinander. Der eine – Bismarck – suchte Verbündete, der andere – Wagner – Erfüllung seiner nationalen Träume und natürlich finanzielle Unterstützung.

Vermutlich 1866 hatten die beiden erstmals Kontakt. Inoffiziell, auch von Wagner höchst verschwiegen behandelt. Es ging um hohe Politik. Preußen steuerte auf den Krieg gegen Österreich zu und damit auf die Entscheidung über die Vorherrschaft über das Staatensammelsurium, das einmal Deutschland werden sollte. Bismarck wollte Bayern in diesem Konflikt an seiner Seite haben. Und Wagner mit seinem Zauber auf Ludwig II. sollte den jungen Bayernkönig beeinflussen. Doch Wagner weigerte sich. Bismarcks Kontaktmann sagte er, er habe in politischen Dingen gar keinen Einfluss auf König Ludwig II., der, wenn er von dergleichen anfange, „in die Höhe blicke und pfeife“. Bayern blieb im Lager Österreichs – und gehörte damit zu den Verlierern.

Nationale Begeisterung

Wagner hatte wohl auch wenig Neigung, Preußen zuzuarbeiten. Er, der linke Revoluzzer, hatte schon im Mai 1849 in Dresden schlechte Erfahrungen mit Deutschlands Führungsmacht gesammelt. Denn es waren vor allem preußische Truppen gewesen, die den Aufstand in Dresdens Straßen zusammenschossen. Wagner und viele seiner revolutionären Freunde hatten fliehen müssen, der Kapellmeister blieb für mehr als zehn Jahre im Exil und auf Wanderschaft. Erst 1862 wurde er amnestiert.

1870 änderte sich vieles. Preußen marschierte schon wieder in einen Krieg, den dritten unter Bismarcks Führung, diesmal an der Spitze der deutschen Staaten gegen Frankreich. Und nun schäumte auch im Hause Wagner die nationale Begeisterung hoch. Richard sei „eher wohlgemut; die Zustände in Deutschland waren zu arg, dieser Krieg kann noch einmal zeigen, was an den Deutschen ist“, notierte Cosima in ihr Tagebuch. Und dazu lauter Liebenswürdigkeiten über Bismarck: „Wir besprachen lebhaft, was Deutschland alles dem Grafen Bismarck verdankt. (…) Er ist ein wahrer Deutscher, deswegen hassen ihn die Franzosen so.“

Wagner feierte den Siegeszug der deutschen Truppen sogar mit schlechten Reimen. „Verstummt sei der vielberufene deutsche Dichterwald; in ernstem Schweigen schlage das deutsche Heer seine Schlachten; seine unerhörten Taten selbst aber seien das Lied, welches ihm zum Ruhme erklinge. Denn so heißt das Lied vom Siegefried, von deutschen Heeres Tat gedichtet: Der Kaiser naht: In Frieden sei gerichtet.“

Sein Gedicht widmete er Bismarck, der sich offenbar artig, aber nicht zu euphorisch bedankte. „So sehr ich mich geehrt fühle, dass Sie dieses vaterländische Gedicht (…) für mich allein bestimmen, so sehr würde es mich freuen, es veröffentlicht zu sehen.“ Ruft man sich Bismarcks Talent zum boshaften Spott und zum geschliffenen Gebrauch der Sprache ins Gedächtnis, meint man mehr als nur feine Ironie zu hören: „Auch ihre Werke, denen ich seit jeher mein lebhaftes, wenn auch zuweilen mit Neigung zur Opposition gemischtes Interesse zugewandt, haben nach hartem Kampfe den Widerstand der Pariser überwunden.“

Wie lange brauchte Wagner, um festzustellen, dass Bismarck nichts an seiner Kunst gelegen war, nichts auch an seinen Gedanken zur Erneuerung durch Kultur? Es blieb bei der berühmten Bemerkung Goethes und Schillers über Deutschland: „Wo das gelehrte beginnt, hört das politische auf.“ Diese Einsicht, in nationaler Aufwallung vergessen, setzt sich bei Wagner in den Jahren nach der Reichsgründung 1871 erneut durch. Die Kunst als Übermutter der Politik, der Künstler als ihr Übervater? Bismarck, da täuschte sich Wagner nicht, war nicht im Geringsten geneigt, über derlei nachzudenken. Von finanzieller Unterstützung ganz zu schweigen.

Bismarck wird Wagners Hassobjekt

Wagner war gründlich bedient. Und redete sich in seinen späteren Jahren gern über das neue Reich und seinen Gründervater in Rage. Das neue Deutschland sei nur Wille, keine Vorstellung, winkte Wagner ab. Und im Januar 1881 ätzte Wagner, es seien doch immer die „dümmsten Stämme unter den Völkern“, denen es bestimmt sei, „die Tatze des Stärkeren protzig auf alles zu legen“. Wie eben „die Preußen bei den Deutschen“.

„Wir Deutsche“, schimpfte Wagner, „sind jetzt wie der Körper von Bismarck, angeschwellt und ewig aufgeregt.“ Als „Sauhetzer“ schmähte er den Reichskanzler, der ihn so auf die Palme brachte, dass Wagner buchstäblich keine Freunde mehr kannte. Wie der Maler Lenbach bei einem Essen feststellen musste: „Lassen Sie mich doch mit Ihrem Bismarck in Ruh. Zeigt er auch nur das geringste Verständnis für das, was außerhalb seines Berufes liegt?“, zeterte Wagner. Auch in der Politik könne er Bismarck nicht von Fehlern freisprechen. Nach Sedan hätte er unbedingt Frieden mit Frankreich schließen müssen, mit dem Marsch auf Paris aber habe er die beiden Nationen auf ein Jahrhundert getrennt. Was sich doch ganz anders anhört als Wagners längst vergessenes Lobgedicht auf deutsche Waffenmacht.

Die zwei Reichsgründer?

Derlei feine Unterschiede waren nach Wagners Tod sofort vergessen. Biografen wie Carl Friedrich Glasenapp zeichneten das Bild eines harmonischen Miteinanders von zwei Giganten, die, jeder auf seine Art, am Fundament Deutschlands gewerkelt hätten. „Sie sind Arbeiter an einem und demselben großen Werke. Bismarck und Wagner, obwohl an den entgegengesetzten Enden unseres nationalen Arbeitsfeldes ihre Aufgaben suchend und lösend, hatten doch beide dasselbe Ziel: die Verteidigung des deutschen Wesens gegen das Ausland“, schrieb Moritz Wirth schon in Wagners Todesjahr 1883. In der Erinnerung an Deutschlands Erniedrigung nach dem Ersten Weltkrieg verklärte August Püringer in einem Aufsatz für die Festspiele 1924 die beiden zu den Dioskuren der nationalen Einigung: „Wagners und Bismarcks Geist; nur sie zusammen schaffen uns Deutschen Heil!“

Im Hause Wagner war der Erzkonservative Bismarck schon zuvor, in den Zeiten der roten Revolution, zum Schutzheiligen avanciert. Wagners Tochter Eva Chamberlain berichtete im Februar 1919 von einer Bismarck-Büste, die sie geschenkt bekommen habe: „Als kräftigende Mahnung und ermutigende Hoffnung steht nun dieser große Deutsche am Eingang in unser Haus. (...) Vielleicht verscheucht er uns die Herrn Spartakuse, die ja nun auch hier ihr Unwesen treiben.“