Bildungsplan: Toleranz durchdeklinieren

Von Kerstin Fritzsche
Bayerns Schulen werden 2017 ein bisschen bunter. In der Hauptstadt Berlin ist man da schon weiter. Archivfoto: dpa Foto: red

Früher sind neue Lehrpläne und Richtlinien für den Unterricht einfach in Kraft getreten. Niemand hat's gemerkt, niemand hat sich daran gestört. Und das war auch gut so, denn der Staat oder eine Landesregierung ist nicht verpflichtet, die Öffentlichkeit an jedem Prozess politischer Gestaltung beteiligen zu müssen. Jetzt ist das anders - und das stellt den Staat vor neue Herausforderungen.

 
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Bei Lehrplänen, die Sexualerziehung beinhalten oder bei denen es um sexuelle Minderheiten geht, wollen Lobby-Gruppen seit drei Jahren in Deutschland mitreden. In Zeiten, in denen jeder mit zwei Klicks eine Online-Petition erstellen und mit viel Geld im Hintergrund wie die AfD-nahen Initiativen "Demo für alle", Initiative Familien-Schutz, Zivilie Koalition, Elternaktion Bayern und wie sie alle bunt heißen, in kurzer Zeit ganze Internet-Kampagnen aus dem Boden stampfen kann, müssen Politiker sich gefallen lassen, dass andere es besser wissen. Und am besten wissen es immer die, die nach eigener Einschätzung am meisten ums Kindeswohl bemüht sind. Da wird sogar mit Falschaussagen gekämpft: Schon in der Grundschule würden Kindern Sexpraktiken nahegebracht, zum Beispiel.

Die Staatsregierung, allen voran Kultusminister Ludwig Spaenle, hat gut daran getan, sich von der sehr aufgeheizten, emotionalen Debatte nicht beirren zu lassen. Auch wenn der erste, im März vorgestellte Entwurf der Richtlinien progressiver war: Gesellschaftlich gesehen ist es richtig, den Schwerpunkt auf Medienkomptenz und Prävention zu legen: sexualisierte Gewalt, die Kinder und Jugendliche durch Medienkonsum erfahren, durch den hier ebenfalls schnellen Klick im Internet, ist viel gefährlicher als die von den Bildungsplangegnern so stark propagierte "Frühsexualisierung" durch "Indoktrination von linksgrünversifften Lobbygruppen von Schwulen und Lesben" mit ihrem "Genderkram". Wer von den selbsternannten Familienschützern hat sich hier in der Vergangenheit lautstark aufgeregt?

Allerdings wird es jetzt darum gehen müssen, wie die neuen Richtlinien in Zukunft in bayerischen Schulen praktisch umgesetzt werden. Und hier ist die Staatsregierung weiterhin gefragt. Zur Aufklärung über sexuelle Vielfalt - und hier geht es am wenigstens um Sexualität an sich, sondern um Lebens- und Familienmodelle und Ausgrenzung und Diskriminierungserfahrungen - gibt es in Bayern keine Struktur. Die Gegenseite ist gut vorbereitet und hat ein finanzielles Polster, schwullesbische Aktivisten haben das nicht. Nur: Mit Idealismus und ehrenamtlichem Engagement allein lässt sich schlecht auf Dauer arbeiten, zumal diese Gruppen ohnehin schon stark unter Beschuss stehen und Einzelne diskriminiert werden.

Wenn Bayern jetzt Toleranz gegenüber Lesben, Schwulen, Bisexuellen und Trans-Menschen im Unterricht etablieren will, dann muss Toleranz auch konsequent durchdekliniert werden. Nach "ich bin tolerant, du bist tolerant, er/sie ist tolerant" heißt es "WIR sind tolerant". Bayern ist ein reiches Bundesland. Auch reich an Vielfalt. Lasst die an Schulen zeigen.

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