Frau Foster, wie geht es Brünnhilde dieses Jahr?
Brünnhilde ist keine Partie, sondern eine Identität, sagt Catherine Foster. In dieser Woche steht die britische Sopranistin noch einmal in der weiblichen Hauptrolle des „Rings“ auf der Bühne des Festspielhauses. Ein Interview über Druck, das vertraute Bayreuth und was passiert, wenn man mit Wagner-Partien Deutsch lernt.
Frau Foster, wie geht es Brünnhilde dieses Jahr?
Catherine Foster: Dieses Jahr läuft es viel ruhiger, wir wussten diesmal von Anfang an, was wir zu tun haben (lacht). Es war die Fortsetzung dessen, was wir im vergangenen Jahr begonnen haben. Es ist auch diesmal harte Arbeit, aber der Druck war weg.
Gab es diesen Druck im vergangenen Jahr wirklich?
Foster: Oh ja. Da war nichts, was man aussprechen konnte, da war nur dieses Gefühl: Eine Neuinszenierung im Jahr des 200. Geburtstags von Richard Wagner. Wir hatten drei Monate, von Mitte April bis Ende Juli, und wir wussten: Die ganze Welt schaut uns an. Und für mich selbst war vieles neu. Ich war vorher nie in Bayreuth. Jedes Theater funktioniert anders, hat eigene Abläufe, eigene Wege; ich wusste nicht, wie Bayreuth funktioniert. Dieses Jahr hat sich eine große Vertrautheit eingestellt. Das ist eine große Beruhigung.
Mögen Sie das? Oder brauchen Sie …?
Foster: Ich brauche das nicht, aber es hilft. Gerade heute war ich in der Stadt unterwegs – und dann kenne ich eben schon den Weg zum Festspielhaus, ich weiß, wie lange ich brauche, ohne Stress.
Was ist Brünnhilde für Sie? Eine Person, eine Identität, ein Haufen Noten?
Foster: Ich würde sagen: eine Identität. Für mich ist Brünnhilde auch nicht auf drei Opern aufgeteilt, ich sehe sie in einem Bogen. Es ist ein Lebenslauf, es ist das Leben einer Frau. Für mich ist das der einzige Weg, das zu begreifen – und ich bin froh, dass ich auch tatsächlich mit der „Walküre“-Brünnhilde begonnen habe und nicht, wie es häufig vorkommt, mit der „Siegfried“-Brünnhilde. So habe ich mich auch selbst – als Catherine – zusammen mit Brünnhilde entwickelt. Und als ich dann in „Götterdämmerung“ angelangt war, habe ich zurück auf die „Walküre geschaut“ und verstand auf einmal vieles besser.
Zum Beispiel?
Foster: Nehmen Sie die große Erzählung von Wotan in der „Walküre“. Am Anfang habe ich nur die Furcht gesehen, die Brünnhilde da empfindet, und ihre Irritation. Aber ich habe so lange mit Wotan gelebt, ich sehe ihn mehr als Vater, wie ein Teenager. Zum ersten Mal ist die rosa Brille weg, durch die man als Kind seine Eltern sieht. Das Gefühl in diesem Moment ist also viel komplexer als Furcht, es ist nicht einfarbig. Diese vielen verschiedenen Schichten fühle ich aber erst jetzt, nach sieben Jahren mit Brünnhilde.
Wie lange haben Sie die Partie vor diesen sieben Jahren studiert?
Foster: Nicht lange, ein paar Monate nur. Angefangen hat es in Weimar, 2006. Ich war vorgesehen als Freia, Sieglinde, Brünnhilde und dann Gutrune. Aber Sieglinde war nichts für mich, ich konnte mich mit ihr nicht identifizieren. Am Ende habe ich dann die Brünnhilde gelernt, in sieben Wochen, und habe mich sofort mit ihr verstanden. Das war sehr gut.
Ist Brünnhilde eine gute Partie, um damit deutsch zu lernen?
Foster: Ach, ich war so müde in meinen ersten beiden Jahren in Weimar – niemand sprach Englisch, immer nur deutsch oder russisch. Ich habe dort meistens italienisches Repertoire gesungen, meine erste deutsche Partie war die Elisabeth im „Tannhäuser“, dann kam der „Fliegende Holländer“, dann „Fidelio“ und dann waren wir schon im „Ring“.
Was ist schwieriger zu lernen: die Wagner-Partien? Oder deutsch?
Foster: Das kam bei mir zusammen, das kann ich nicht trennen. Ich weiß noch, wie ich einmal ein Wagner-Wort auf der Straße verwendet habe, „kiesen“ (ein veralteter Ausdruck für „auswählen“, d. Red). Da haben mich die Leute angeschaut: Äh, woher kommen Sie denn? Aber „kiesen“ wird in Holland immer noch benutzt. Die wissen, was „kiesen“ bedeutet.
Ist Brünnhilde ein Vorbild? Kann man von ihr etwas lernen?
Foster: Ich glaube schon. Sie versucht immer, dazuzulernen, sich weiterzuentwickeln. Anders als Wotan, Wotan ist stehengeblieben. Das ist etwas, das ich schon in meinem ersten „Ring“ begriffen habe: Wotan hat diese Liebe zur Macht, Brünnhilde erfährt die Macht der Liebe. Das ist der große Gegensatz, der die beiden unterscheidet. Deshalb kann sich Brünnhilde entwickeln, deshalb kann sie ihren Willen ändern. Das beginnt in der „Walküre“, als sie Wotan zum ersten Mal mit anderen Augen sieht: Immer hat er mir beigebracht, dass ich Siegmund beschützen muss, und plötzlich, nach einem einzigen Gespräch mit Fricka, sagt er, ich soll ihn umbringen. Das kann nicht wahr sein, woher kommt das? Diesen Zwiespalt, in dem Wotan steckt, kennt Brünnhilde nicht. Deshalb kann sie, egal, was passiert, zu ihren Idealen und Gedanken stehen und sich selbst treu sein.
Das ist etwas, das mich sehr fasziniert: wie Brünnhilde entdeckt, was es bedeutet, menschlich zu sein. Sie hat vielleicht vorher ein paar tausend Jahre als Göttin gelebt, aber plötzlich ist sie ein Mensch. Eine richtige Frau. Sie entdeckt, was es bedeutet, als Frau zu leben. Dann erlebt sie diesen Verrat, aber sie versucht trotzdem weiter, zu kämpfen und zu lernen. Plötzlich ist sie dann mit einem anderen Mann verheiratet, und sie versucht, all diese schrecklichen Dinge zu begreifen, die mit ihr geschehen. Wer hat sie verraten? Hagen, der eigene Wünsche und Ideale hat im Bezug auf diesen Ring. Und er zwingt sie in einen eigenen Weg. Aber sie bleibt sich immer treu, bis zum Ende, als sie genau sieht, was passieren muss. Das wusste auch Wotan – das einzige, was den Fluch des Rings rückgängig machen kann, ist ein eigenes Opfer. Wotan war nicht bereit, dieses Opfer zu bringen, also versuchte er, einen Helden zu finden, der das für ihn erledigt. Und dieser Held ist nicht Siegfried, sondern Brünnhilde. Kein Mann, interessanterweise. Die Person, die die Welt rettet oder einen Menschen, ist bei Wagner immer eine Frau. Ich finde das sehr interessant.
In dem Moment, in dem Brünnhilde ihre ersten Erfahrungen als Mensch sammelt, schaut das Publikum in Bayreuth aktuell auf drei Krokodile, die über die Bühne kriechen. Stört Sie das? Beeinflusst Sie das?
Foster: (lacht): Nein, das ist eigentlich nur ein Gedanke von Frank Castorf. Er möchte das so haben, das ist sein Konzept, und es ist unser Job, die Ideen des Regisseurs aufzunehmen und umzusetzen. Nein, es stört mich eigentlich nicht.
Merkt man auf der Bühne, ob das Publikum aufmerksam oder abgelenkt ist?
Foster: Ja, natürlich, im Zuschauerraum sitzen ja 2000 Leute. Man spürt, was das Publikum fühlt, zumindest manchmal. Nur wenn ich sehr vertieft bin, spüre ich gar nichts. (lacht)
Wie gehen Sie als Sängerin damit um, wenn das Publikum die Ideen des Regisseurs ablehnt? Macht das Ihre Arbeit schwer?
Foster: Ach, alles hat seinen Platz, es ist Geschmackssache. Ich sage immer zu Leuten, die mich nach der Inszenierung fragen: Kommt, schaut es Euch an, und dann entscheidet selbst, ob es euch gefällt oder nicht. Ich kenne Leute, denen die Inszenierung von Frank Castorf sehr gefallen hat, ich weiß, dass darin sehr viele Gedanken und Ideen stecken, aber Regie ist Geschmackssache. Auch Stimmen sind Geschmackssache. Jeder hat das Recht, zu denken, was er will.
Stimmt es, dass Sie in der Walküre-Premiere 2013 im dritten Aufzug ungebremster gesungen haben, nachdem Sie nach dem zweiten ein paar Buhs bekommen haben?
Foster: Nein, ich habe alles so gesungen, wie es geprobt war. Im zweiten Aufzug ist nun einmal sehr viel Pianissimo, und im dritten spielt das volle Orchester. Es ist ganz einfach: Ich mache meinen Beruf, und entweder mögen das die Leute, oder sie mögen es nicht. Und es freut mich sehr, dass es genügend Leute mögen, damit ich jetzt in Bayreuth sein kann. Es ist wunderbar, hier zu sein. Im Grunde ist es für mich ja gar kein Beruf mehr – seit ich meinen Job als Hebamme gekündigt habe, mache ich mein Hobby. Und ich bin sehr froh darüber, dass das geht. Ich versuche, so wie Brünnhilde, immer noch weiter zu lernen, mir selbst immer treu zu bleiben, immer noch besser zu werden. Und das macht es für das Publikum auch interessant, hoffe ich. Wenn es beginnt, ein Job zu werden, dann bin ich zu lange in diesem Job. Aber so weit bin ich noch nicht (lacht).
Woher kommt Ihre Begeisterung für das, was Sie da tun?
Foster: Ich habe die Brünnhilde jetzt mit 18 verschiedenen Dirigenten gesungen. Jeder bringt eine eigene Perspektive mit. Bei der Regie ist das genauso, wir haben die Musik und die Wörter im Libretto, für jeden Menschen kann das etwas anderes bedeuten. Und das macht es interessant. Ich frage mich ja manchmal selbst: Warum streiten nach 150 Jahren immer noch so viele Menschen darum, wie man dieses Werk verstehen soll und wie nicht. Ich glaube, das würde Wagner freuen, denn so lange wir ihn nicht fragen können, hat niemand endgültig recht. In Weimar kam einmal der Wagner-Weltverband zu einer Vorstellung – der hatte 800 der 880 Plätze gekauft. Mein Mann saß im Publikum, er sagte danach, er habe so etwas noch nie erlebt. Die Italiener haben aus vollem Hals gebuht, die Franzosen haben laut gejubelt... Wunderbar! So viel Gefühl! Das ist genau das, was man braucht. Man kann das, was wir machen, hassen oder lieben. In der Mitte ist es uninteressant.
Das Gespräch führte Florian Zinnecker.