Bei Anruf Facharzttermin

Von Joachim Bomhard
Fast 2,5 Millionen Anrufe haben die Mitarbeiterinnen der Gedikom in Bayreuth im vergangenen Jahr entgegengenommen. Am 25. Januar ist die Terminservicestelle hinzugekommen.⋌Foto: red Foto: red

Wer eine dringende Überweisung in den Händen hält, muss spätestens nach vier Wochen drankommen. Die Firma Gedikom in Bayreuth ist eine Ärztevermittlung, bei der im vergangenen Jahr fast 2,5 Millionen Anrufe eingingen.

 
Schließen

Diesen Artikel teilen

Die Frau aus dem südlichen Allgäu hat am Vortag die 09 21/7 87 76 55 50 20 gewählt. Sie brauche dringend einen Termin bei einem Psychiater, hat sie gesagt. Mit dieser langen Nummer ist sie in der Terminservicestelle der bayerischen Kassenärzte gelandet. Mittlerweile ist Dienstagmittag. Kerstin Bauer hat den Fall jetzt auf ihrem Bildschirm. Der Computer zeigt ihr fünf infrage kommende Praxen, die für die Patientin mit bis zu einer Stunde Fahrzeit erreichbar sind. Sie wählt eine Nummer nach der anderen. Im Augenblick, so scheint es, hat sie kein Glück. Überall nur der Anrufbeantworter.

Bayreuth, ein schmuckloses Bürogebäude aus den 1970ern, keine 200 Meter hinter dem Bahnhof. Sitz mehrerer Ärzteverbände und auch der Firma Gedikom, einer hundertprozentigen Tochter der Kassenärztlichen Vereinigung Bayern (KVB). Wer außerhalb der Praxisöffnungszeiten einen Arzt vom Notdienst braucht, landet schon lange telefonisch bei einem der 220 Mitarbeiter der Gedikom. Insbesondere an Wochenenden herrscht in der Ärztevermittlung rund um die Uhr Hochbetrieb. Fast 2,5 Millionen Anrufe gingen 2015 im Servicecenter der Gedikom ein, sagt dessen Leiter Florian Eagan. Am 25. Januar ist die Terminservicestelle hinzugekommen.

Ein neuer Fall auf dem Bildschirm von Kerstin Bauer. Eine Mutter braucht für ihre Tochter einen Termin beim Kinderorthopäden. Sie ruft aus dem Kreis Aschaffenburg an, haarscharf an der hessischen Grenze. Orthopäden, die sich auf Kinder spezialisiert haben, sind rar gesät. Kerstin Bauer, die wie alle ihre Kollegen eine medizinische Ausbildung hat und nochmals speziell geschult ist, klickt sich im Internet auf kvb.de durch die Arztsuche, die im Übrigen für jedermann zugänglich ist. Die nächste Praxis ist 66 Kilometer entfernt in Würzburg.

Regel: Fahrzeit plus 30 Minuten

Die Agentin am Servicecentertelefon hat diesmal Glück. Sie ruft in Würzburg an und bekommt für das Mädchen gleich einen Termin innerhalb der vorgegebenen Vier-Wochen-Frist. Kurz darauf ruft sie bei der Mutter an: Die stöhnt kurz angesichts der Entfernung, nimmt aber dann den Termin gerne an. Die Alternative wäre ein Spezialist im 200 Kilometer entfernten Zirndorf bei Fürth gewesen und damit auch außerhalb des Radius, in dem gesucht wird. Die Regel lautet: Fahrzeit zum nächsten Facharzt plus 30 Minuten, bei sehr spezialisierten Fachrichtungen darf eine Stunde mehr zugemutet werden.

In Bayreuth wird im Auftrag der Kassenärztlichen Vereinigung ein gesetzlicher Auftrag erfüllt. Die Kassenpatienten sollen weniger lang auf einen dringenden Facharzttermin warten müssen, hat die Koalition in Berlin beschlossen. Die Ärzte, die das selbst organisieren müssen, sagten, hier habe die Politik ein Problem gesehen, das es in Wirklichkeit gar nicht gibt. Bayerns Kassenärzte-Chef Wolfgang Krombholz, ein Allgemeinarzt, sagt, ihm sei in seiner langjährigen Praxis noch nie passiert, dass ein Patient keinen zeitnahen Termin beim Facharzt bekommen hat.

Die Zahl der Anrufe bei der Terminservicestelle scheint ihm recht zu geben. Vom Start im Januar bis Ende Februar konnten 400 dringende Fälle vermittelt werden, ein Bruchteil aller anfallenden Überweisungen. Hinzu kamen rund 800 weitere weniger akute Überweisungen, für die kein so enges Zeitkorsett besteht.

Dass die meisten Patienten sich in der Regel selbst einen Facharzt suchen, zeigt diese Zahl der Kassenärztlichen Vereinigung: Innerhalb eines Jahres (von April 2014 bis März 2015) gab es 36,45 Millionen Behandlungsfälle bei bayerischen Fachärzten. Davon resultierten 12,66 Millionen aus Überweisungen. Laboraufträge sind da noch einmal mit enthalten.

Die KVB hat das mal in Relation gesetzt zu den Anfragen in der Terminservicestelle: Danach wären es gerade mal knapp 0,1 Promille aller bayerischen Überweisungsfälle, in denen die Bayreuther Agenten terminvermittelnd eingreifen müssen. Innerhalb von vier Wochen müssen die Patienten also einen Termin beim Facharzt bekommen. Das ist die Vorgabe.

Überweisungsschein als dringend kennzeichnen

Allerdings müsse der überweisende Arzt den Fall auf dem Überweisungsschein durch ein großes T als dringend kennzeichnen, sagt Zeynep Alca, die an diesem Tag Schichtleiterin in der Servicestelle ist. Eine Woche Zeit haben die Gedikom-Agenten, um einen Arzt zu finden. Die Praxis der vergangenen Wochen hat gezeigt, dass es im Schnitt höchstens zwei Tage dauert. Und bis jetzt, so Florian Eagan, ist es noch immer gelungen, rechtzeitig einen Termin zu vermitteln. Manchmal geht es auch innerhalb zwei Stunden, wie bei jenem Mann aus dem Kreis Ansbach, der eine MRT-Aufnahme des Schädels braucht. Schon beim ersten Anruf in einer radiologischen Praxis bekommt Elvira Bauer einen Termin. Umgehend ruft sie den Patienten an. Der bekommt die nötigen Informationen, und der Fall kann als erledigt abgehakt werden.

Eigentlich gilt in Deutschland die freie Arztwahl. Wer die Dienste der Terminservicestelle in Anspruch nimmt, verzichtet weitgehend auf dieses Recht und muss zu dem ihm vermittelten Arzt oder der Ärztin gehen.

Es gibt weder einen Wunscharzt noch einen Wunschtermin, sagt KVB-Sprecherin Birgit Grain. Einmal darf der Patient auch einen vorgeschlagenen Mediziner ablehnen, wenn ihm etwa der Weg zu weit erscheint. Das muss er aber noch am gleichen Tag mitteilen. Nur dann wird für ihn ein weiteres Mal gesucht. Wenn es dem Patienten wieder nicht passt, dann muss er sich selbst helfen.

Unterdessen nimmt Agent Alexander Ludewig einen Anruf aus dem Kreis Günzburg auf. Eine Frau hat gerade von ihrem Hausarzt eine Überweisung zum Gastroenterologen für eine Magenspiegelung bekommen. Ludewig tippt Name und Adresse der Patientin in den Computer, notiert den Namen des Hausarztes und den Zweck der Überweisung. Was ihn aus Datenschutzgründen nicht interessiert: Geburtsdatum (auch wenn das bei der Terminsuche häufig die erste Frage der Praxismitarbeiterinnen ist), Krankenkasse und eine mögliche erste Diagnose. Dann aber fragt Ludewig noch, ob sonst etwas auf dem Schein vermerkt ist. Die Frau verneint, das große T für dringlich hat der Hausarzt entweder vergessen oder nicht für nötig erachtet. Nichtsdestotrotz wird die Frau wohl schon bald einen Anruf aus Bayreuth mit dem gewünschten zeitnahen Termin bekommen.

Termin um Termin per Telefon

Weil die Fachärzte verpflichtet sind, Termine zur Verfügung zu stellen, sind einige sogar dazu übergegangen, bestimmte Zeiten dafür freizuhalten. Freilich muss dennoch Termin um Termin telefonisch vereinbart werden. Im Fall der Frau aus dem Allgäu wird es die Terminservicestelle am nächsten Tag nochmals bei einem der fünf Allgäuer Psychiater auf der Computerliste versuchen müssen. Sie alle haben einen Anrufbeantworter geschaltet, auf dem sie entweder mitteilen, dass Terminanfragen nur am Morgen zu einer bestimmten, manchmal auch extrem eng begrenzten Zeit möglich sind oder dass sie gerade im Urlaub sind. Da brauchen Kerstin Bauer, Alexander Ludewig und ihre Kollegen bestimmt noch eine Portion Glück, um auch diesen Serviceauftrag abhaken zu können.

Bilder