Beckmesser in Wahnfried

Von Frank Piontek
Johannes Martin Kränzle in Haus Wahnfried. Foto: Andreas Harbach Foto: red

Kein reiner Liederabend, fast schon ein Theaterstück: Johannes Martin Kränzle sang in Wahnfried - und sorgte für einen Höhepunkt der Festspielzeit.

 
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Bayreuth

Gerade war er, in der schönsten Festspielpremiere seit Herheims „Parsifal“, in der berührenden Interpretation des Beckmesser zu erleben. Beckmesser ist in Koskys Deutung „der Jude“, also Hermann Levi, der von Wagner in Sachen Judentum getriezt wurde und zu Zeiten der „Parsifal“-Uraufführung in Wahnfried ein und aus ging.

Nun steht er, der in der entsetzlichen Prügelszene zum Zerr- und Hassbild eines Juden gemacht wird und auf der Festwiese schier mitleiderregend versingt – nun steht Johannes Martin Kränzle mit Unterstützung und Anteilnahme des erstklassigen Begleiters Hilko Dumno und der Gesellschaft der Freunde von Bayreuth in eben jenem Saal, in dem in Koskys Meister-Inszenierung das Unglück beginnt. Kränzle alias Levi alias Beckmesser ist gleichsam an den Ort zurückgekehrt, an dem ihm Wagner/Sachs die Rolle des Beckmesser aufdrängte.

Und da all das, was er an diesem Abend im ausverkauften Haus bringt, mit der Interpretation seines Beckmesser zu tun hat, gewinnt der Abend eine in die Tiefenschichten des Hauses Wahnfried, Bayreuths und der Musikgeschichte hineingreifende Bedeutung. Sie aber wird nicht allein – welcher Beckmesser wüsste das nicht? - durch die Werke selbst verbürgt. Es ist der Vortrag, der den Meister macht. Was wir erleben, ist kein klassischer „Liederabend“, sondern ein dramaturgisch stimmiges – und das Auditorium sichtlich bewegendes - Musiktheater. Kein Wunder, dass wohl keiner der Hörer sich allein auf das Ohr verließ: Kränzle spielte seine Lieder, indem er sie sich körperlich und seelisch zu eigen machte.

Fünf Lieder aus des Knaben Wunderhorn

Fünf Lieder aus dem Wunderhorn-Zyklus des jüdischen, zum Christentum konvertierten Gustav Mahler; Frank Martins sechs Monologe aus „Jedermann“, eine intensive Auseinandersetzung mit Tod und Glauben; zwei hebräische Lieder Maurice Ravels und zuletzt die „Zwölf Songs nach alten jiddischen Weisen“ von Richard Rudolf Klein, die Kränzle 1984 uraufführte: dies ist insgesamt ein einziges Psychodrama, das mit dem jiddischen Liederzyklus einen heiteren Abschluss, mit dem letzten Lied, „Abschied“, ein schier bewegendes Finale findet.

Um dies zu begreifen, muss der Hörer nicht einmal wissen, dass der Sänger, der von einem sterbenden Kind erzählt, das seinen Eltern ein gesundes Leben wünscht, gerade eine seltene Knochenmarkserkrankung überlebt hat.

Vorher aber hörten wir mit den zwölf Liedern eine Art heiteres Gegenstück zu Mahlers Wunderhorn-Liedern, in denen es ja auch um die sogenannten kleinen Leute mit ihren großen und kleinen Leiden und Freuden geht. Kränzle singt diese jiddischen Kabinettstücke (in Wahnfried!) als Apotheose des einstigen Judentums, zudem mit einer Stimme und mit einer Haltung, die auf die Identifikation mit den Menschen hinausläuft, die sich selbst nicht gar so ernst nehmen und sich, wie nur Juden das tun können, über ihre Eigenheiten lustig machen: doch mit menschenfreundlichem Augenzwinkern. „Wohin jiddisch?“ Das kommt so authentisch wie aberwitzig lustig.

Ein singender Schauspieler

Vorher erzählte uns Kränzle, im Stil eines Erzählers, der sich tief in die Schmerzen und Absurditäten der Wunderhorn-Welt hinein gekniet hat, von Mahlers Welt, von robusten Landsknechten, bitteren Abschieden und satirischen Tieren. Frank Martins Jedermann-Monologe verlegte er mit unverstelltem Pathos auf die Intensivstation der Angst und des Todes: nicht als bloßer Sänger, nicht als singender Schauspieler, sondern als Mann, der um sein Leben kämpft.

So etwas nennt man wohl eine Sternstunde.