Bayreuths beschämendster Tag

Von Michael Weiser
Im Gedenken vereint: Oberbürgermeisterin Brigitte Merk-Erbe und Hanneliese Wandersmann bei der Gedenkstunde zum 75. Jahrestag der Deportation jüdischer Mitbürger. Foto: Andreas Harbach Foto: red

Vor 75 Jahren wurden die ersten 46 Bayreuther Juden deportiert. Die meisten von ihnen fielen der NS-Mordmaschinerie zum Opfer. Eine der wenigen Überlebenden: Hanneliese Wandersmann. Sie war gestern Ehrengast, als die Stadt Bayreuth ihrer verschleppten und ermordeten Bürger gedachte.

 
Schließen

Diesen Artikel teilen

Leopold Reinauer wusste um die drohende Gefahr. „Bei uns heißt es wieder einmal, dass wir in nächster Zeit schon fortkommen sollen“, schrieb er am 18. September 1941 in einem Brief an eine Freundin. „Wir hoffen ja, dass das Gerücht nur ein Greuelmärchen ist“, teilte Reinauer der Bekannten mit, für den anderen Fall aber vermachte er ihr den Hausrat der Familie. Und bat sie gleichzeitig um Stillschweigen über seine düsteren Ahnungen den Kindern gegenüber: "Sagen Sie aber bitte Max nichts davon, auch Hanne weiß nichts."

Zusammengetrieben im Morgengrauen

Dieser schlimmste Fall trat am 27. November 1941 ein, einem Donnerstag. Es war in den frühen Morgenstunden, als Kripobeamte 14 Adressen in Bayreuth aufsuchten. Alles war von langer Hand geplant, die Listen schon Wochen zuvor geschrieben worden. Die Polizisten nahmen 46 jüdische Bayreuther mit und brachten sie in die Rotmainhalle. Darunter die Reinauers. Zwei Namen konnten die Polizisten vorerst nicht abhaken: Eine Frau befand sich in einer Klinik in Fürth, eine andere hatte aus Angst vor der Deportation versucht, sich das Leben zu nehmen. Sie wurde in ärztliche Behandlung gegeben – und später deportiert. Die in der Rotmainhalle zusammengetriebenen Bayreuther wurden später auf einen Lastwagen verladen und nach Nürnberg gebracht, wo sie schließlich die Gestapo in Empfang nahm.

Denunziation der Ausgegrenzten

„Die meisten dieser Menschen dürften geahnt haben, was auf sie zukommt“, sagte Bayreuths Oberbürgermeisterin Brigitte Merk-Erbe bei der Gedenkfeier 75 Jahre nach dem Beginn der Deportation der Bayreuther Juden. Merk-Erbe erinnerte im Neuen Rathaus daran, wie die Nazis die Juden von den ersten Wochen ihrer Herrschaft an ausgrenzten und sprach von „immer schlimmeren Schikanen und Demütigungen“ auch in Bayreuth. Ende 1938 habe es kein jüdisches Geschäft mehr in der Stadt gegeben, Juden sei der Besuch von Konzerten und Theater verwehrt worden. Schließlich seien ihnen das Tragen eines gelben Sterns befohlen worden. Es habe Bayreuther gegeben, die sich nicht schämten, Juden bei der Polizei anzuzeigen, wenn sie den Stern nicht trugen, sagte Merk-Erbe, die vom 27. November 1941 als einem „beschämenden Tag“ sprach.

Ekkehard Hübschmann, der den Schicksalen der aus Franken deportieren Juden akribisch nachgespürt hat, berichtete anschließend von den Vorbereitungen einer gut geölten Vernichtungsbürokratie und stellte dem die Schicksale einzelner Bayreuther entgegen, die nach tagelanger Fahrt im Güterwaggon im Lager Jungfernhof nahe Riga ankamen. Zusammen mit rund tausend Leidensgenossen aus ganz Franken. Ein „lukratives Geschäft“ für die Reichsbahn, sagte Hübschmann, eine Reise ohne Wiederkehr für die meisten Deportierten: Nicht einmal jeder 30. kehrte zurück. Hübschmann berichtete, wie die Gefangenen an Unterernährung, den Folgen der Arbeitseinsätze oder an Krankheiten starben oder von den Wachmannschaften ermordet wurden.

"Ein sehr schwieriger Tag"

Zu den wenigen Überlebenden gehörte Hanneliese Wandersmann, jene Hanne, die ihr Vater Leopold Reinauer nicht hatte beunruhigen wollen. Leopold Reinauer starb im KZ, Hannes Bruder Max wurde bei einem Luftangriff getötet. Neben Hanneliese überlebte ihre Mutter den Nazi-Terror. Schreckliche Jahre, die Wandersmann nicht verbittern ließen. Merk-Erbe berichtete von der „Höflichkeit und Freundlichkeit“, mit der sie 1974 bei einem Besuch in Israel von der Familie empfangen worden sei.

Zusammen mit der 88-jährigen Hanneliese Wandersmann schritt Brigitte Merk-Erbe anschließend zum Denkstein im Rathaus, jenem Denkmal, das mit Steinen gefüllt ist, von denen jeder den Namen eines Shoa-Opfers aus Bayreuth trägt. Die beiden Frauen legten einen Kranz nieder. „Ein sehr schwieriger Tag“, sagte die 88-Jährige danach, „aber wichtig“. Hanneliese Wandersmann: Sie ist die letzte Überlebende eines Verbrechens, das sich mitten in der Stadt ereignet hat, vor aller Augen.

Bilder