Gar nicht so leicht, zeigt die Auftaktveranstaltung zum Aktionsplan Inklusion Bayreuth will Barrieren abbauen

Von Katharina Wojczenko
„Das fühlt sich an, wie auf rohe Eiern zu gehen“: Für Reinhold Richter ist das abschüssige Kopfsteinpflaster am Durchgang zum Rotmaincenter seit Jahren ein Problem. Der gehbehinderte Vorsitzende des Behindertenbeirats hofft, dass der Aktionsplan Inklusion auch hier Hilfe bringt. Foto: Andreas Harbach Foto: red

Mehr als jeder zehnte Bayreuther ist schwerbehindert. Noch größer ist der Anteil derer, die eine körperliche oder geistige Einschränkung haben. Der Aktionsplan Inklusion soll Barrieren in der Stadt abbauen. Schon bei der Auftaktveranstaltung im Rathaus zeigt sich: Einfach wird es nicht.

 
Schließen

Diesen Artikel teilen

Die größte Gruppe ist am Samstag ausgeschlossen, kritisieren mehrere Teilnehmer im Sitzungssaal: Von den Schwerbehinderten haben 27 Prozent eine geistige oder psychische Behinderung. Doch um sie einzubinden, müssten separate Veranstaltungen her, sagt Michael John, Geschäftsführer des Basis-Instituts, das den Entstehungsprozess des Aktionsplans begleitet.

Mit kleinen Gruppen, einem langsameren Tempo, leichter Sprache. "Der Aufwand ist zu hoch, dafür reichen die Ressourcen nicht", sagt John. Das hätte ein paar tausend Euro mehr gekostet.

Apropos Kommunikation: Kurier-Reporterin Katharina Wojczenko hat ihr erstes Interview mit Hilfe eines Gebärden-Dolmetschers geführt. Thomas Kufner vom Bayreuther Gehörlosenverein hat einen gehörlosen Freund in Italien, mit dem er sich super versteht, erzählt er. Aber als er von seiner Tochter erzählt, stutzt Dolmetscherin Kristin Günther. Denn auch in der Gebärdensprache ist Fränkisch offenbar ein Dialekt. Sehen Sie selbst:

So gebärdet der Bayreuther Thomas Kufner "Tochter". Und so Dolmetscherin Kristin Günther aus Zwickau:

 

Oberbürgermeisterin: "Behinderung kann jeden treffen"

Bis zur vollständigen Inklusion ist es also noch weit. Oberbürgermeisterin Brigitte Merk-Erbe betont, dass diese Menschen "trotz ihrer Einschränkung und Behinderung vollwertige Mitglieder unserer Gemeinschaft sind". "Behinderung kann jeden treffen", erinnert sie. Und fordert auf: "Nutzen Sie dieses Angebot der Mitgestaltung!" Wer da ist, tut das lebhaft.

Fehlende Dolmetscher, kurze Ampelphasen, Vorurteile

Beispiele für Verbesserungsbedarf gibt es viele, zeigt sich in den ersten Arbeitsgruppen. Zwar ist der Bayreuther Sitzungssaal schwellenfrei erreichbar, aber Gehörlose und Schwerhörige haben Probleme, sich politisch zu beteiligen: Anders als bei der Auftaktveranstaltung gibt es sonst weder Gebärdendolmetscher noch induktive Höranlagen.

Die kurze Grünphase der Fußgängerampeln am Hohenzollernring macht vielen Behinderten Probleme. Die Gruppe Wohnen bemängelt, dass es in Bayreuth keine Wohnanlage für Menschen mit und ohne Behinderung gibt.

Die Gruppe Freizeit regt an, mit einer gemischten Gruppe Freizeiteinrichtungen zu prüfen und bei der Umsetzung der Barrierefreiheit zu helfen. Um Vorurteile abzubauen, empfiehlt eine Arbeitsgruppe, dass Menschen mit Behinderung Kindergärten, Schulen und Betriebe besuchen.

Startschuss zwei Jahre später als geplant

Um den Aktionsplan-Prozess zu begleiten, hat die Stadt für 30.000 Euro das Bamberger Institut angeheuert. Die Stadt Bayreuth sei die erste in Nordbayern, die sich um einen Aktionsplan kümmere, sagt John dem Kurier. Das sei bei der angespannten Haushaltslage keine Selbstverständlichkeit.

Schon vor zwei Jahren sollte es losgehen. Dann kamen viele Flüchtlinge nach Bayreuth. Die Mitarbeiter im Sozialamt mussten sich erst einmal um sie kümmern, für beides reichte das Personal nicht.

Bitte Mikros verwenden

Michael John moderiert am Samstag professionell, liest alle Ergebnisse für die Sehbehinderten vor, versprachlicht Schaubilder und erinnert mehrfach daran, Mikrofone zu verwenden, damit die Hörbehinderten über die Induktionsschleife alles mitbekommen.

Er fordert alle auf, "nichts zu akzeptieren, weil es schon 30 Jahre so ist". Und nicht zu überlegen, ob die Stadt allein dafür zuständig ist.

2000 Fragebögen werden verschickt

Darum kümmert sich die Steuerungsgruppe im Sozialamt und die Begleitgruppe, in der Institutionen von Nahverkehr bis Wohnungsbau eingebunden sind.

Noch diesen Monat werden etwa 2000 Fragebögen an Behinderte und ihre Angehörige verschickt. John rechnet, dass etwa 30 Prozent antworten werden. Parallel führen Johns Mitarbeiter zehn ausführliche Interviews, um zu erfahren, wo es hakt. 

93 Menschen sind gekommen

Behindertenbeauftragte Bettina Wurzel ist optimistisch. Oft habe sie gehört: "Das bekommen wir hier doch nicht hin." Jetzt sei der erste Schritt getan. Dass am Samstag 93 Menschen gekommen sind, übertrifft ihre Erwartungen deutlich. Manche mit dem Taxi, weil um diese Zeit noch kein Bus fährt.

In einem Dreivierteljahr soll der fertige Aktionsplan vorgestellt werden und dem Stadtrat zum Beschluss vorliegen.

Hintergrund: So geht es mit den Arbeitsgruppen weiter

Die Ergebnisse der Auftaktveranstaltung sollen Anfang übernächster Woche auf der neuen Internetseite stehen. Die Arbeitsgruppen werden an drei Terminen fortgesetzt. Jeder kann teilnehmen. Anmeldung bei bettina.wurzel@stadt.bayreuth.de.

Die ersten Termine:

Wohnen: Montag,  21. November, von 17 bis 19 Uhr im Rathaus; Information, Öffentlichkeitsarbeit, Barrierefreiheit in den Köpfen: 19.30 bis 21.30 Uhr;

Mobilität und Barrierefreiheit: Dienstag, 22. November, von 17 bis 19 Uhr; Freizeit, Kultur und Sport: 19.30-21.30 Uhr;  Arbeit und Ausbildung: Donnerstag, 24.November, von 17 bis 19 Uhr.

Der Termin für frühkindliche Bildung und Schule steht noch nicht fest.

Mehr zum Thema:

Was sich in Bayreuth ändern muss: Das sagen Teilnehmer der Auftaktveranstaltung.

"Ich bin blind, nicht blöd": Vier Behinderte aus Bayreuth sagen, was sie nervt und lieben.

Rollstuhlfahrer macht den Weg frei: Die Bayreuther Wheelmap

Bilder