Dialektforscher Wagner zum Tag der Muttersprache: "Sprache integriert" Eberhard Wagner: "Bayreuth war unser Lampedusa"

Von Heike Hampl

Eberhard Wagner ist Dialekt-Forscher aus Bayreuth. Er ist bekannt für seine Mundart-Dichtung, egal ob in Reimen oder für die Bühne. Er hat außerdem hat ein fränkisches Dialektbuch geschrieben. Im Interview äußert er sich zu Heimat, Integration und seinem Lieblingswort.

 
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Herr Wagner, der Bayerische Rundfunk soll wieder mehr Dialekt-Sendungen in sein Programm aufnehmen. Das würde Sie freuen, oder?

Eberhard Wagner: Natürlich. Auf der anderen Seite gab es früher aber viele Mundart-Sendungen im BR, ich habe selbst an vielen mitgewirkt. Der Sender hat das nach und nach völlig zurückgefahren. Wenn der Sender jetzt sagt, er will wieder mehr davon, ist das auch ein Stück weit heuchlerisch.

Heute ist Internationaler Tag der Muttersprache. Feiern sie diesen Tag als Mundart-Forscher?

Wagner: Ehrlich gesagt ist mir das Wort Muttersprache gar nicht so wahnsinnig sympathisch. Das geht von einem überholten Familienbild aus, das es heute kaum mehr gibt. Das Baby liegt da, die Mutter spricht mit ihm, das Kind spricht es nach. Wo ist das in der Form heute noch üblich? Die Mutter daheim, der Mann verdient draußen das Geld. Diese Vorstellung ist sehr romantisch.

Erstaunlicherweise ist Fränkisch gar nicht Ihre Muttersprache, Sie wurden 1938 Thüringen geboren.

Wagner: Ich habe Fränkisch als Flüchtlingskind gelernt. Auf der Straße, bei den Bauern, in der Schule. Zu Hause hätte ich niemals Fränkisch sprechen können. Ich habe Fränkisch gelernt, damit ich das Gefühl hatte, dazu zugehören. Und auch deswegen, damit die anderen das Gefühl hatten, ich sei einer von ihnen. Die anderen haben ständig zu uns Flüchtlingskindern gesagt: Ihr könnt ja nicht mal richtig plaudern.

Hat die Sprache Ihnen geholfen?

Wagner: Heimat ist ein abstrakter Begriff. Darunter kann man viel verstehen. Aber der soziologische Zusammenhang: Zum wem gehöre ich? Mit wem spreche ich wie? Der entsteht eben durch Sprache. Sehen Sie, wir beide sprechen gerade in Hochdeutsch über Dialekt. Einfach, weil es nicht ginge, dass ich jetzt mit Ihnen Mundart spreche.

...obwohl ich auch Fränkin bin.

Wagner: Ja, wir reden ja beide auch ein fränkisch gefärbtes Hochdeutsch. Aber Mundart würde nicht passen -  da kommen Wörter vor, die gibt es im Hochdeutschen nicht und umgekehrt. Beide Sprachen haben ihre Berechtigung nebeneinander.

Sie waren Flüchtlingskind, heute sind wir mit dem Thema Flucht wieder konfrontiert. Was haben Sie aus Ihren Erfahrungen gelernt?

Wagner: Bayreuth war unser Lampedusa. Wenn ich heute lese, wie es all diesen Menschen geht, erinnere ich mich an früher. Sprache ist das beste Mittel zur Integration.

Kann man Dialekte lernen wie Fremdsprachen?

Wagner: Lernen kann man es sicher nicht im Unterricht. Der Wille dafür muss da sein. Es gibt natürlich im Dialekt oft Laute, die es im Hochdeutschen nicht gibt. Ich habe das gelernt, indem ich es mir bei anderen abgehört und dann einfach nachgemacht habe. In meiner Klasse, ich bin in einem Dorf bei Creußen groß geworden, gab es auch Kinder aus Schlesien, die haben nie Fränkisch gelernt. Die wollten es einfach nicht. So richtig gut funktioniert es übrigens nur bis zu einem gewissen Alter.

Früher war der Dialekt verpönt. Heute kommunizieren auch junge Leute wieder öfter in Mundart, auch in schriftlicher Form im Internet.

Wagner: Das finde ich gut. Früher mussten die Kinder vom Tag der Einschulung an Hochdeutsch sprechen. Viele haben dann einfach nichts mehr gesagt. Es hieß, man habe keine Karrierechancen, wenn man nicht Hochdeutsch spricht. Gott sei Dank sieht man heute, dass Mehrsprachigkeit gut ist für das Gehirn. Die jungen Leute heute sprechen zwar öfter im Dialekt, aber leider gehen trotzdem viele alte Begriffe verloren.

Welcher fränkische Begriff ist eigentlich Ihr liebster?

Wagner: Aweng. Das ist so vielseitig. Man kann aweng Geburtstag feiern. Man fragt: Wer ist denn aweng gestorben? Man kann aweng das Fenster aufmachen und sich aweng a Tüte geben lassen. Wunderbar!

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