Bayreuth nach dem Brexit

Von Frank Schmälzle
 Foto: red

Die Briten haben sich entschieden: Raus aus der EU. Reaktionen dazu aus Bayreuth. Und wie hier der Brexit eingeschätzt wird.

 
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Schüleraustausch

Am Tag nach der Brexit-Entscheidung lebt die englisch-deutsche Partnerschaft weiter. Eine Gruppe von Schülern der Bishop Vesey’s Grammar School for Boys and Girls aus Birmingham kommt am Samstag in Bayreuth an. Seit Ende der 1990er Jahre gibt es den Schüleraustausch zwischen der Schule in Birmingham und dem Wirtschaftswissenschaftlichen Gymnasium (WWG). Uwe Scheler ist Fachbetreuer für Englisch am WWG, er sagt:  Nimmt man die vergangenen Jahre zusammen, haben sich mehrere hundert Schüler aus Bayreuth und Birmingham über diesen Austausch kennengelernt. Wie es jetzt nach der Brexit-Entscheidung weitergeht? „Wir werden alles daran setzen, dass der Austausch wie gehabt fortgesetzt wird“, sagt Scheler. Und er ist zuversichtlich: Die Entscheidungen auf großer politischer  Ebene sind das eine. Die persönlichen Beziehungen, die ein WWG-Lehrer mit einem Kollegen in Birmingham pflegt und auf denen der Austausch basiert, sind das andere. Und diese Beziehungen sind stabil, sagt Scheler. „Klar, nach der Brexit-Nachricht kommt erst einmal ein Schockzustand. Aber das wird sich beruhigen.“

 

Banken

Überraschend? Nein, sagt Jürgen Dünkel, Vorstand der VR-Bank Bayreuth. Damit, dass die Briten für einen EU-Austritt stimmen würden, musste man rechnen. Die Meinungsumfragen im Vorfeld der Abstimmung hatten beide Möglichkeiten nahe gelegt. Chaos? Nein, sagt Dünkel. Nur Stunden nach dem Bekanntwerden des Brexits am Freitagmorgen hat sich die Börse bereits wieder nach oben orientiert. Zur Tagesordnung allerdings könne nach dem EU-Ausstieg der Briten vor allem die Politik nicht übergehen. „Der Brexit wirft die Frage auf, was die Politiker vor allem auf europäischer Ebene daraus lernen werden“, sagt der Bayreuther Banker. „Das Abstimmungsergebnis zeigt eine Unzufriedenheit der Menschen mit der Europäischen Union.“ Eine der Ursachen dafür sieht Dünkel in der Überregulierung, die die EU zu verantworten habe. Dass eine Studie klären soll, ob alle Auflagen und Vorgaben, die die EU in den vergangenen Jahren den Banken gemacht haben, zueinander passen und in sich stimmig sind, ist für Dünkel symptomatisch. „Es ist an der Zeit zu fragen, ob das Verhältnis zwischen Europapolitik und nationaler Politik neu justiert werden muss.“ Für die kommenden zwei Jahre, in denen der Austritt Großbritanniens aus der EU vollzogen werden soll, erwartet der VR-Bank-Chef eine politische Gratwanderung. „Wir dürfen nicht alle Band zu Großbritannien zerschneiden“, sagt er. „Aber auf der anderen Seite: Draußen ist draußen. Wir dürfen wir nicht alle Hürde so gering wie möglich halten. Sonst ziehen andere Länder nach.“

 

Universität

Auf Facebook äußert sich der Präsident der Universität Bayreuth, Stefan Leible, zum Brexit. Aus seiner ganz persönlichen Sicht.  Er fordert ein neues Europa, das für jedermann verständlich und überzeugend ist.

„Juni 2012. Rock im Park. Die Sonne geht langsam hinter der Center Stage unter“, schreibt der eingefleischte Rock-Fan Leible. „Es spielen die Toten Hosen. Vor mir stehen ein Engländer, ein Pole und ein Deutscher, alle so um die 25 Jahre alt, unterhalten sich, lachen, trinken Bier, singen gemeinsam mit. Mir ging damals durch den Kopf: In was für einer glücklichen Zeit leben wir doch. Vor nicht einmal 70 Jahren haben Eure Großväter versucht, sich gegenseitig zu erschießen. Und nun steht Ihr zusammen hier und habt Spaß. Was für eine großartige Leistung unserer Großväter und -mütter, aus 50 Millionen Toten die richtigen Lehren gezogen und sich für ein Europa engagiert zu haben, das Frieden und Wohlstand sichert. Doch all dies und wofür Europa einstmals stand, scheint mehr und mehr in Vergessenheit zu geraten.“

Der Brexit, sagt Leible, bedeute nicht das Ende der EU. Er zeige aber eine immer stärker werdende, sich auch in anderen Staaten abzeichnende Tendenz zur Re-Nationalisierung auf. Der Brexit müsse Fanal für die verbleibenden Staaten sein, sich ernsthaft Gedanken über eine Neuaufstellung der EU zu machen. „Wir brauchen eine EU für die Bürger und keine EU der Bürokraten.“ Denn zu Europa gebe es, wie die Vergangenheit lehrt, keine echte Alternative. Jetzt bedürfe es einer neuen Europaidee, die für jedermann verständlich und überzeugend sein müsse.

Was der Brexit für die Universität Bayreuth bedeutet, lässt sich nach Leibles Worten noch nicht absehen. Tatsache ist: Die Universität unterhält 29 Kooperationen mit Hochschulen in Großbritannien. Ein Punkt, der zu klären sein wird: Britische Universitäten verlangen von EU-Ausländern Studiengebühren in derselben Höhe wie von einheimischen Studenten. Für Nicht-EU-Ausländer sind die Studiengebühren höher. Sollten künftig auch Studenten aus Bayreuth an englischen Universitäten höhere Gebühren zahlen müssen, würde das die Zusammenarbeit komplizierter machen.

 

Unternehmen

„Reisende soll man nicht aufhalten“, sagt der Bayreuther Logistikunternehmer Christian Wedlich. Den Ausgang des Referendums in Großbritannien mag man nicht gut finden, dramatisieren müsse man ihn aber auch nicht. „Ich bin sicher, dass trotz des Brexits eine gewisse Freiheit in der wirtschaftlichen Zusammenarbeit zwischen Großbritannien und den EU-Ländern erhalten bleiben wird.“ Das sei allein schon im britischen Interesse. „Sie werden die Grenzen nicht hochziehen.“

Karin Schlömer von British American Tobacco (BAT) gibt sich gelassen: "Wir haben immer gesagt, dass wir nicht glauben, dass ein Brexit einen signifikanten Einfluss auf unser Geschäft haben wird", erklärt sie. "Unsere europäischen Tochtergesellschaften werden von unseren Fabriken in Kontinentaleuropa beliefert. Das Vereinigte Königreich macht nur einen kleinen Teil unseres EU-Geschäftes aus. Für uns ist heute ein normaler Geschäftstag." Auf Nachfrage betont die BAT-Sprecherin, dass die Standorte in Kontinentaleuropa, zu denen auch Bayreuth zählt, völlig losgelöst von der Brexit-Frage analyisert würden.

Tennet-Sprecherin Ulrike Hörchens sieht ihr Unternehmen vom Brexit nicht unmittelbar betroffen: "Wir müssen die Lage natürlich genau untersuchen, aber ich gehe davon aus, dass es keine Auswirkungen gibt", sagt sie. Tennet betreibt ein deutsches und ein holländisches Übertragungsnetz. Durch den Brexit seien diese nicht gefährdet. Da Tennet als reguliertes Unternehmen nur für die eigenen Regelzonen zuständig sei und diese in den Niederlanden und Deutschland lägen, ergäben sich keine Konsequenzen fürs Geschäft.

 

Reiseexperten

Abwarten und Tee trinken – vielleicht sogar britischen: Auf diesen Nenner kann man die Reaktionen Bayreuther Reisexperten auf den Brexit bringen. „Man muss erst mal sehen, welche Veränderungen es für Reisende überhaupt geben wird“, sagen Anja Kruse, Geschäftsführerin beim Tui Reisecenter, und ihr Kollege vom Derpart Reisebüro, Martin Bayer.

Etwa 50:50 – so schätzt Kruse die Anteile an touristischen und Geschäftsreisen auf die Insel, die in ihrem Büro verkauft werden. Und vor allem für die Privatkunden haben sie und Bayer eine gute Nachricht. „So, wie das Pfund heruntergerauscht ist, wird England gerade natürlich deutlich preiswerter“, sagt Bayer, und Kruse mutmaßt: „Vielleicht nutzt das ja jetzt der eine oder andere erst recht für einen Kurztrip. London zum Beispiel war zuletzt schon ziemlich teuer.“

Dass Kunden jetzt stark verunsichert sein könnten, wie es auf dem Höhepunkt der Schuldenkrise in Griechenland oder nach Attentaten in Ägypten oder der Türkei der Fall war, glaubt Kruse nicht: „Da können die Menschen schon gut unterscheiden.“

Bedenken haben beide eher bei Geschäftsreisen. „Wenn die Bedingungen für heimische Unternehmen in Großbritannien in Zukunft schwieriger werden, weil das Land nicht mehr zum Binnenmarkt gehört, dann werden wohl auch weniger geschäftliche Flüge gebucht“, sagt Bayer. Und Kruse weist auf die vielen kleinen Dinge hin, die sich in Zukunft ändern könnten. Nur ein Beispiel seien die Fluggastrechte: „British Airways ist künftig eine Fluggesellschaft von außerhalb der EU. Da gelten die nicht.“ sts

 

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