Antwort auf "Welt"-Artikel über Bayreuth Bayreuth ist nichts für Anfänger

Von Florian Zinnecker
Bayreuth ist die urdeutsche Hölle? Na ja. Foto: Ritter Foto: red

Dennis Sand hat in Bayreuth studiert – und bezeichnet die Stadt in einem polemischen Beitrag für „Die Welt“ als Vorhof zur Hölle. Im Internet schlagen die Wellen hoch. Kurier-Kulturchef Florian Zinnecker hat ihm geantwortet.

 
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Nach den Regeln des Weltverbands der Amateurboxer sind Schläge mit der Faust auf Gesicht und Oberkörper des Gegners erlaubt. Schläge unterhalb der Gürtellinie gelten als Foul. Wenn der Gegner auf dem Boden liegt oder hilflos in den Seilen hängt, ist es verboten, ihn anzugreifen. Der Ringrichter muss in diesem Fall laut bis zehn zählen; steht der Gegner dann immer noch nicht, hat er verloren.

Aber Bayreuth steht noch.

Bayreuth ist im Moment ein wenig angeschlagen und nicht ganz auf der Höhe seiner Kräfte, es gibt viele Baustellen und einige Krisen. Außerdem ist dieses Jahr ein einziges Preisboxen.

Schläge von allen Seiten

Erst kam ein Kollege von Zeit Online, er verschwand nach zweieinhalb Tagen wieder und berichtete, dass er es geschafft habe, sich in Bayreuth zu verlaufen; außerdem habe er in einem Bayreuther Kaufhaus nach dem Messerset Nothung gefragt.

Dann wünschte eine Kollegin der FAZ Bayreuth zum Festspielauftakt „einen handfesten Streit, einen kleinen Hakenkreuzskandal, einen fristlosen Rauswurf, eine einstweilige Verfügung oder etwas anderes, was den Ruf der Festspiele, sie stünden im Fokus des nationalen oder gar internationalen Interesses, kräftigen könnte. In diesem Jahr gibt es einfach nicht viel, was sich wirklich zu berichten lohnte.“

Vor ein paar Tagen orakelte die Deutsche Presseagentur: „Droht Bayreuth die Götterdämmerung?“ – vor allem anlässlich der Tatsache, dass diesmal die Kanzlerin nicht zur Premiere gekommen war.

Und jetzt kommt die „Welt“. Dass neulich im Main die Fische gestorben sind, liegt – das wäre damit bewiesen – nicht am Main. Zurzeit scheint in ganz Deutschland das Trinkwasser nicht so ganz in Ordnung zu sein.

Im Ernst: Was ist los dieses Jahr? Woher kommt dieser geballte Hass? Die Stilform der Bayreuth-Beschimpfung an sich ist ja gar nicht neu. Bayreuth ist „eine furchtbar stumpfsinnige Kleinstadt“, schrieb George Bernard Shaw. Wiglaf Droste nannte Bayreuth ein „deutsches Kaff“, ein „geistiges Erdloch“, „einen Kuhdunghaufen, aus dem turnusmäßig Größenwahnfried quillt“. Bayreuth sei ein leerer Wahn, sagte Alban Berg, ein „Ort suggestiven Schwindels“, sagte Thomas Mann. Einen Knockdown schaffte keiner.

Anders als die zitierten Herren will der Kollege der „Welt“ ja nur ein bisschen schlägern – und sucht sich einen leichten Gegner. Es ist sehr leicht, Bayreuth nicht zu mögen, vor allem von Berlin aus, denn die Schwächen der Stadt sind leicht zu erkennen und von weitem sichtbar. Aber er macht es sich zu leicht.

Ein Faktencheck

Als im Winter eine Kollegin im Feuilleton der FAZ über den Odenwald schrieb, „es blieb einem nichts übrig, als im Alter von elf Jahren das Rauchen anzufangen, zu kiffen, bis man nichts mehr sah, und zu klauen, um sich irgendwie zu unterhalten“, reagierte der Landrat, daraufhin erklärte der Feuilletonchef den Text zur Literatur und empfahl ihn den Odenwäldlern als Schullektüre.

Diesen Gefallen tun wir der „Welt“ natürlich nicht, denn um als Schullektüre in Frage zu kommen, müsste der Text fehlerlos sein, und das ist er nicht. Ein kleiner Fakten-Check:

> Der Fluss, der durch Bayreuth plätschert, heißt Roter Main, nicht Rotmain.

> Prominente kommen zur Festspieleröffnung schon lange nicht mehr, sondern meist nur Angehörige der Bayerischen Staatskanzlei und manchmal Roberto Blanco.

> Franz Liszt ist zufällig in Bayreuth gestorben, nicht Jean Paul – der hatte 21 Jahre dort gewohnt.

> Das beleuchtete Rinnsal auf dem Marktplatz nennen wir nicht „Todesrinnsal“, sondern „TodesRINNE“, aber nur, weil einmal ein Festspielgast und dann ein Drehorgelspieler darin steckengeblieben sind. Und wir meinen das als Witz.

> Die Todesrinne wird nachts nicht abgesperrt, sie wird nur im Winter geschlossen, denn sie ist zu schmal zum Schlittschulaufen (die Platten, mit denen sie verschlossen wird, sind dafür richtig, richtig glatt).

> Die toten Fische im Main – das war nicht der liebe Gott, sondern mutmaßlich ein Mitarbeiter des Eisstadions, der aus Versehen Ammoniak im Main entsorgt hat.

> Seinen berühmten Bayreuth-Satz schrieb Friedrich Nietzsche schon 1873, da war er noch nicht wahnsinnig. Später begann er Bayreuth aus tiefstem Herzen zu verachten, und erst danach kam der Wahnsinn. In dieser Reihenfolge. Heute ist das Zitat wirklich nur noch dazu gut, um Einheimische anzuöden – und um elegant aus einer Bayreuth-Beschimpfung herauszufinden, weil man keine bessere Idee fürs Ende hat. (Ich habe das selbst schon so gemacht).

Über die Ansichten eines Autors, der den Unterschied zwischen richtig und falsch nicht kennt, müssten wir eigentlich nicht weiter reden. Aber das wäre schade, denn sehr vieles andere an diesem Text stimmt haargenau.

Bayreuth ist zäh

Dass Bayreuth ein Problem mit neuen Ideen hat, dass es hier mehr Bier als Kultur gibt (es gibt hier wirklich sehr viel Bier), die Sache mit der „Basst scho“-Mentalität – das ist alles gar nicht so falsch.

Neue Ideen haben es hier schwer, schwerer als in Berlin. Das liegt auch daran, dass es in Berlin so viele davon gibt, dass eine Idee mehr oder weniger nicht weiter stört.

In Bayreuth fallen neue Ideen auf. Sie müssen also, wenn daraus etwas werden soll, unbedingt gut sein. Die meisten Ideen sind nicht gut. Die Bayreuther haben darum gelernt, skeptisch zu sein. Und so passiert es manchmal, dass auch Ideen scheitern, die vielleicht Potenzial gehabt hätten.

Außerdem ist Bayreuth an neue Ideen auch deshalb nicht gewöhnt, weil zu viele Bayreuther hier das Handtuch werfen und ihre guten Ideen anderswo haben. Ein Teufelskreis.

„Was bleibt, wenn alle Festspielgäste weg sind, das ist das Elend“, schreibt der Kollege in der „Welt“. „Das nackte Elend, ich weiß das, weil ich in diesem Elend gelebt habe. Drei ganze Jahre lang.“ Drei Jahre, wie niedlich.

Neulich bin ich durch den Hofgarten spaziert, ein Park auf dem langen Weg zwischen Innenstadt und Universität. Ein paar Studenten versuchten, auf einem zwischen zwei Bäumen gespannten Band zu laufen, das ist gar nicht so leicht, einer sagte nach dem missglückten ersten Versuch: Er glaube, das Band ist kaputt.

Aber der Fehler liegt nicht im Material. In Bayreuth zu leben und sich nicht unterkriegen zu lassen von den schlechten Angewohnheiten dieser Stadt, das ist das langsame Bohren richtig dicker Bretter. Bayreuth ist nichts für Anfänger.

Außer den weltberühmten Bayreuther Festspielen gibt es hier noch einen Basketball-, einen Eishockey- und einen Fußballverein, den die Bayreuther „Altstadt“ nennen. Die ersten Mannschaften sind nicht überragend, aber konkurrenzfähig, sie steigen erst auf, dann wieder ab und schließlich wieder auf, immer wieder sind die Vereine pleite, aber das macht nichts, es geht weiter. Das ist Bayreuth.

Noch ein Beispiel: Seit Beginn des Jahrhunderts wird hier versucht, das Richard-Wagner-Museum zu sanieren. Das ist eine gute Idee, aber es ist schwer, richtig schwer, ständig gibt es neue Probleme, von den ungelösten alten gar nicht zu reden, aber aufgeben? Niemals.

Bayreuth ist nicht kaputt, Bayreuth ist einfach nur zäh. Wie ein alter Boxer. Die Bayreuther haben so viel mitmachen müssen über die Jahrhunderte, die wollen – da haben Sie schon recht, liebe Welt – wirklich nicht mehr belästigt werden, schon gar nicht mit jedem Quatsch. Das auszuhalten ist manchmal unglaublich mühsam, aber das ist es: Man braucht eine gute Kondition, um nicht gleich zu Boden zu gehen.

Wir haben hier jedenfalls ganz andere Sorgen als fehlende Kugelschreiber in Bankfoyers, die von besoffenen Studenten abgerissen wurden. Die meisten Bayreuther machen ihre Überweisungen nämlich im Internet.

  • Dieser Artikel ist eine Antwort auf den "Welt"-Beitrag von Dennis Sand: Sie können ihn hier nachlesen.
  • Auch die Antwort von Florian Zinnecker ist auf der Internetseite der "Welt" erschienen.
  • Die Polemik von Dennis Sand hat für heftige Reaktionen gesorgt - bis hin zu Morddrohungen, wie er einige Tage nach der Veröffentlichung im Interview mit dem Kurier erzählt.

Info: Florian Zinnecker ist Kulturchef des Nordbayerischen Kuriers. Er ist in Bayreuth aufgewachsen und nach seinem Studium in Lüneburg und an der Henri-Nannen-Schule 
in Hamburg trotzdem zurückgekehrt.

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